Sie haben gerade Ihre europäischen Amtskollegen getroffen, davor die Kollegen in den Visegrad-Staaten und den stellvertretenden Innenminister in der Türkei. Wie ist die Situation an der Außengrenze der EU?

WOLFGANG PESCHORN: Allen ist klar, dass der Migrationsdruck auf Europa nicht geringer wurde sondern wächst. Als wachsamer Innenminister muss mansich auf das Schlimmste vorbereiten. In der Türkei sind drei Millionen Flüchtlinge, aufhältig. Sie könnten jederzeit nach Europa kommen, wenn die Türkei die Schleusen öffnet oder sie nicht mehr zurückhalten kann.

Wird das der Fall sein?

Die Türkei ist genauso wie Bosnien, Serbien und Nordmazedonien stark von der Flüchtlingswelle betroffen. Das erzeugt hohe Kosten, sozialen Druck. Die Türkei braucht unsere Unterstützung, ungeachtet anderer Vorgänge in der Region und türkisch-innenpolitischer Entwicklungen.

Was können wir bieten?

Nur ein gerechter Deal ist ein guter Deal. Ich führe nicht die Verhandlungen, das macht die Europäische Union. Aber eine Vereinbarung muss beiden Seiten nützen, von beiden gewollt und eingehalten werden.

Welche Wünsche hat der Vize-Innenminister der Türkei genannt?

Er hat um Verständnis für seine Situation geworben. Die Türkei aber auch Nordmazedonien, Bosnien und Serbien haben den Wunsch, dass man auf Augenhöhe mit ihnen spricht.

Ist die EU bereit, das zu tun?

Aus meiner Sicht geht nur der gesamtheitliche Ansatz: Alle müssen an einem Strang ziehen. Ohne Gesamtpaket werden wir eine Migrationswelle nach Europa nicht stoppen.

Es wollen alle die Außengrenze sichern, aber keiner weiß so recht, wie das gehen soll. Wissen Sie es?

In den letzten Wochen hat sich viel getan. Jetzt besteht tatsächlich Einigkeit innerhalb der Staaten der Europäischen Union darüber, dass der Schutz der Außengrenze Vorrang hat. Auch die beiden neu zuständigen EU-Kommissare, Margaritis Schinas und Ylva Johansson, haben das deponiert. Wir werden Ressourcen freimachen, die Frontex-Einheiten aufstocken.

Das wurde doch verschoben.

Nein, dies wird beginnend mit 2020 schrittweise passieren. Wenn der gemeinsame politische Wille da ist, dann ist das Ziel leichter zu erreichen. Mit den Staaten vor der Außengrenze, der Türkei oder Tunesien, suchen wir ebenfalls Vereinbarungen. Wir wollen Staaten, die sich rechtskonform verhalten im Umgang mit Flüchtlingen, unterstützen mit allem, was Europa aufzubieten hat: Handelskontakte, Bildungsprogramme, etc. Das Ziel sind der Schutz der Außengrenze und der Integrität Europas sowie der Schutz des Lebens der Menschen die kommen wollen, aber nicht dürfen.

Was passiert mit jenen, die Anspruch auf Asyl haben?

Wir wollen das Verfahren an der Außengrenze führen. Wir brauchen dort eine rasche Abklärung, ob die Schutzbedürftigkeit gegeben sein könnte.

Wer soll den Schutz der Grenze und den Erst-Check durchführen, wem obliegt die Kontrolle?

Für den Grenzschutz ist Frontex zuständig, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Sie ist Dienstleister für die EU-Staaten, braucht selbst noch mehr Ressourcen und bedient sich der Strukturen der EU-Außengrenzstaaten. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, EASO, kann bei der Erst-Abklärung die nötige Unterstützung leisten und die Qualitätskontrolle über die Asylverfahren an der gesamten Außengrenze übernehmen. Dafür braucht es auch zusätzliche Ressourcen, denn es bedarf als ersten Schritt einer lückenlosen Registrierung aller Ankommenden.

Alle gemeinsam sollen das Problem lösen, aber kein Land traut dem anderen über den Weg, oder?
Es gibt tatsächlich einen extremen Vertrauensverlust. Man vertraut nicht darauf, dass ein anderer Staat Verfahren korrekt abwickelt. Dieses Vertrauen müssen wir wieder herstellen. Das geht am besten, indem man die Abwicklung des Außengrenzschutzes und des Asylanspruchs gemeinsam organisiert, mit Mitarbeitern aus jedem EU-Land, die in ihre Heimat zurückmelden, wie es läuft. Die neuen Regeln müssen jedenfalls von allen bedingungslos akzeptiert werden, da orte ich viel Zustimmung. Vertreter aus 21 Staaten und Vertreter der EU haben schon beim Forum Salzburg im November gemeinsam an Vorschlägen für ein neues „Dublin“ gearbeitet. Auf diesen Ideen, die das widerspiegeln, was die Staaten selbst wollen, kann die EU-Kommission dann aufbauen.

Wer soll künftig die Verfahren von Asylwerbern, die über die Außengrenze kommen, abwickeln?

Die nationalen Einrichtungen der Staaten an der Außengrenze, Griechenland, Bulgarien oder Italien, nach nationalem und nach Unionsrecht. Auch die Berufungsverfahren würden dort abgewickelt.
Und dann bleiben sie auf den Asylberechtigten „sitzen“?
Wenn es einen funktionierenden Außengrenzschutz und ordentliche, schnelle Verfahren gibt, inklusive volle Unterstützung der Außengrenz-Staaten bei den Ressourcen, dann käme die Binnenmigration zum Stillstand, dann könnten wir uns auf eine neue Solidarität innerhalb der EU verständigen.

Welche Maßnahmen braucht es bis dahin an unseren Grenzen?

Wenn es nach mir geht, sollten wir an den großen Grenz-Übertrittsstellen Bauten schaffen, wo wir Polizeikräfte unterbringen, und wo wir auch, wenn wieder viele Flüchtlinge kommen, die Erstversorgung und eine erste Überprüfung der Schutzbedürftigkeit vornehmen können. So könnten wir endlich klare Strukturen in unsere Erstmaßnahmen bringen und ein Zeichen setzen: Nur Schutzbedürftige kommen nach Österreich hinein.

Häuser statt Zelte?

Ja. Wir müssen Strukturen aufbauen, für das Normalszenario, das Belastungsszenario, das Worst-Case-Szenario. Wir müssen über alle Gebietskörperschaften hinweg die entsprechenden Kapazitäten organisieren, was Personen, Unterkünfte und Sonstiges. Ich habe begonnen, diese Überlegungen zu Papier zu bringen, jetzt brauchen wir einen politischen Beschluss, einen breiten Konsens.

Ex-Innenminister Herbert Kickl wollte die Zahl der Asylwerber auf Null senken. Ist das auch Ihr Ziel?

Mein Ziel ist, dass wir gesetzeskonform mit den Menschen umgehen. Dazu gehört, dass wir zwischen Asyl und Migration unterscheiden. Verfolgte Leute haben ein Recht auf Schutz.

Sollen auch Flüchtlinge, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, Aufnahme bei uns finden?

Es ist eine politische Frage, wie viel legale Migration man zulassen will, man muss auch das klar aussprechen und zuordnen: wie viele kommen dürfen, unter welchen Voraussetzungen, mit welcher Perspektive für eine Staatsbürgerschaft, etc. Diese Zuwanderung ist dann aber nicht über das Asylgesetz sondern über das NAG, das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, zu regeln.

Sollen Asylberechtigte dauerhaft in Österreich bleiben dürfen?

Von der Genfer Flüchtlingskonvention her gibt es ein Recht auf Asyl nur so lange wie der Betroffene in seiner Heimat Verfolgung fürchten muss. Daran anknüpfend kann man sich die Frage stellen, warum jemand, der als Asylsuchender kommt, schlechter behandelt werden soll als einer, der als Arbeitsmigrant kommt. Wenn der politische Wille der ist, dass es ein dauerhaftes Bleiberecht gibt, müsste man das im NAG regeln. Diese Möglichkeit eines „Spurwechsel“ sollte nicht im Asylrecht abgebildet werden.

Möchten Sie eigentlich  Innenminister bleiben?

Es sind wahnsinnig viele interessante Themen, die in diesem Ressort abzuarbeiten sind. Ich  glaube, dass ich viele Lösungen anzubieten habe, dass die Organisation einer Neustrukturierung harrt.  Und es macht mir Spaß, das, was ich gelernt habe, für die Menschen, die keine Stimme haben, einzubringen und kluge Gesetze zu machen. Aber mein Lebensplan besteht darin, in die Finanzprokurator zurückzukehren. Jeder künftige Innenminister kann auf den Präsidenten der Finanzprokuratur  als Berater zurückgreifen.