Der Geschäftsführer der Firma Reisswolf, Siegfried Schmedler, hat gegenüber der Wochenzeitung "Falter" von einem ungewöhnlichen Vorgang rund um die Schredderung von gesamt fünf Datenträgern durch einen ÖVP-Mitarbeiter berichtet. In der 25-jährigen Geschichte des Unternehmens sei "noch nie passiert", dass jemand "unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten vernichten hat lassen".

Der Mann habe sich bereits bei der Anmeldung "nervös verhalten" und wollte "auf keinen Fall die Festplatten aus der Hand geben", schilderte Schmedler am Dienstag in einem Videobeitrag auf "Falter.at". Zudem habe er auf drei Schredder-Durchgängen bestanden, so Schmedler: "Er hat unsere Mitarbeiter immer wieder aufgefordert, die schon geschredderten Partikel wieder auf das Förderband zu legen und neuerlich zu schreddern." Normalerweise reiche ein Vorgang, um eine normgerechte Vernichtung sicherzustellen, hieß es.

Das Video des Schredder-Vorgangs finden Sie hier:

Rechnung nicht bezahlt

Zudem habe er darauf bestanden, die geschredderten Teile wieder mitzunehmen. Einer der Reisswolf-Mitarbeiter habe ihn dann bei der Abschlussrede von Sebastian Kurz in der politischen Akademie wiedererkannt. Über die angegebene Telefonnummer, sei man auf seinen richtigen Namen gekommen. Weil er die Rechnung von rund 76 Euro nicht bezahlt habe, habe man Anzeige erstattet. Der Geschäftsführer sei laut eigenem Bekunden dann an die zuständige Staatsanwältin in der Ibiza-Affäre vermittelt worden.

Ungewöhnlich: in dem Falter-Beitrag ist der ÖVP-Social-Media-Mitarbeiter sogar auf einer Video-Aufnahme zu sehen, wie er die Schredder-Aktion beobachtet.

SPÖ und Neos senden Anfrage

Die Parteien abseits der ÖVP nehmen die Schredder-Affäre dankbar auf und bombardieren die Regierung mit parlamentarischen Anfragen. So wollen SPÖ und NEOS unter anderem wissen, wer von der Datenvernichtung der Kanzleramtsdateien wusste, ob Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seiner Nachfolgerin Akten überlassen hat sowie weswegen nun genau ermittelt wird. Auch die FPÖ zweifelt an den VP-Angaben.

NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper erfragt bei Justizminister Clemens Jabloner, gegen wie viele Personen in der Causa ermittelt wird und wegen welcher Sachverhalte und Delikte. Ebenso von Interesse ist für sie, wie viele Personen schon einvernommen wurden und ob Kurz und sein Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) darunter waren. Auch Auskunft begehrt wird, ob die Strafverfolgungsbehörden Anhaltspunkte dafür fand, dass auf der Festplatte Daten mit Bezug zur Ibiza-Affäre, zur illegalen Parteienfinanzierung sowie zum Platzen der Regierung gespeichert waren. Schließlich soll Jabloner bekannt geben, ob Weisungen erteilt wurden.

Fragen an Kanzlerin

Die SPÖ wendet sich nur an die Kanzlerin und möchte wissen, wie viele Datenträger aus dem Kanzleramt gelöscht wurden und das in welcher Form. Interessiert ist man auch daran, wer die Drucker verwendet hat, deren Festplatten zum Schreddern außer Haus gebracht wurden. Auch ob es ein Backup der Daten gibt, soll Bierlein bekannt geben. Schließlich will man wissen, ob Kurz, Blümel und ihre Kabinettsmitglieder Handys mitgenommen oder zurückgegeben haben.

Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried pocht indes auch weiter auf Aufklärung durch Kurz selbst. Dieser schweige am Tag vier nach dem Bekanntwerden der "rechtswidrigen Vertuschung" weiter darüber, welche Daten geschreddert und ob damit auch Verweise auf das Ibiza-Video vernichtet worden seien. Leichtfried meint zu wissen, dass das bisher Bekannte in der "Vertuschungsaffäre" nur die Spitze des Eisbergs sei.

So wurden die Festplatten vernichtet

Ein enger Vertrauter des Bundeskanzlers sucht wenige Tage vor dem Misstrauensantrag mit fünf Druckerfestplatten unter dem Arm die Firma Reißwolf auf, die auf die systematische Vernichtung von Akten und Datenträgern spezialisiert ist. Er gibt sich mit falschen Namen aus, besteht darauf, dass die Speicherplatten in seiner Anwesenheit dreifach geschreddert werden, hinterlässt aber seine richtige Telefonnummer, seine Mail- und Postadresse. Weil die Rechnung in Höhe von 76 Euro nicht rechtzeitig beglichen wird, wird die Polizei eingeschaltet. Am letzten Donnerstag wird er von Beamten an seinem Arbeitsplatz in der ÖVP-Zentrale abgeholt, auch seine Wohnung wird durchsucht. Fündig wird man nicht, mit leeren Händen ziehen die Beamten ab. Der Mitarbeiter hätte mit dem Kanzler ins Silicon Valley mitfliegen sollen, nun ist er auf Urlaub.

Weil der dubiose Vorgang wenige Tage nach Auftauchen des Ibiza-Videos geschehen ist, nimmt sich die „Soko Ibiza“ der Causa an. Nach wie vor sind die Hintergründe des denkwürdigen Abends auf der Balearen-Insel unklar, die ÖVP behauptet, die SPÖ stünde dahinter, es könnte aber auch anders sein. Dass die Koalition mit der FPÖ beendet und Herbert Kickl als Innenminister in die Wüste geschickt wurde, hat der ÖVP nicht geschadet. im Gegenteil: Die ÖVP steuert auf ein Ergebnis um die 35 Prozent zu.

Dass Datenträger geschreddert worden sind, stellt man in der ÖVP-Zentrale gar nicht in Abrede. ÖVP-Chef Sebastian Kurz spricht am Rande seines Besuchs im Silicon Valley von einem „üblichen Vorgang“. Auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein sieht es ähnlich: „Die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten entspricht der üblichen Praxis bei Regierungswechseln.“ Nicht üblich ist, dass ein Kurz-Mitarbeiter inkognito beim Schredderspezialisten der Republik vorbeigeschaut hat - und man das Löschen nicht den IT-Spezialisten des Kanzleramts überlassen hat.

ÖVP wollte "auf Nummer sicher gehen"

In der ÖVP tischt man die Erklärung auf, dass man „auf Nummer sicher gehen“ wollte, gebe es doch im Kanzleramt immer noch „rote Netzwerke“. Verwiesen wird auf das berüchtigte Strategiepapier über die türkise Machtübernahme in der ÖVP, das den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hat. Damals dürfte, so die Vermutung, die Speicherplatte eines Druckers in falsche Hände gefallen sein. Angeblich war der Termin bei den externen Schredderspezialisten mit den IT-Experten im Kanzleramt abgesprochen. „Die Kollegen waren nicht glücklich darüber“, so ein Insider, um dem hinzuzufügen: „So oder so wären die Speicherplatten geschreddert worden.“

Eine ehemalige Mitarbeiterin im Kanzleramt weiß zu erzählen, dass sie vor ihrem Abgang alle Mails gelöscht hatte, nach Monaten wegen einer offenen Frage im Kanzleramt vorstellig geworden ist – und zur Klärung der Causa von einem IT-Spezialisten alle Mail wieder hergestellt wurden.

Schreddern üblich. Peter Bußjäger, Universitätsprofessor für Verwaltungslehre, verweist auf das Bundesarchivgesetz, das Präsidenten, Kanzler, Minister verpflichtet, beim Ausscheiden aus der Politik das wichtigste Schriftgut dem Staatsarchiv zu übergeben. Was wichtig ist, lässt das Gesetz offen. „Es ist unklar, was man dem Archiv übergibt und was geschreddert wird“, so Bußjäger. „Schreddert man zu wenig, erstickt das Archiv in Aktenmaterial. Schreddert man zu wenig, wird der Nachwelt was vorenthalten.“ Die Unterlagen werden dem Staatsarchiv versiegelt übergeben und dürfen erst nach 25 Jahren geöffnet werden. Übrigens: Kickl hat seine Kisten übergeben, bei Kurz wartet man noch.