Hoch gepokert und knapp gewonnen: Ursula von der Leyen wird die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission. Nachdem lange unsicher war, ob die die deutsche CDU-Politikerin überhaupt die nötige absolute Mehrheit im Europaparlament bekommen würde, fiel das Ergebnis mit nur neun Stimmen Vorsprung am Dienstag äußerst knapp aus. Die 60-Jährige tritt damit am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker an.

Es war eine große Überraschung, als die EU-Staats- und Regierungschefs von der Leyen Anfang Juli für den Spitzenposten nominierten. Dass sie keine Spitzenkandidatin der Parteien bei der Europawahl war, belastete jedoch den Start der Kandidatin mit großen Vorbehalten im EU-Parlament.

Zwei Wochen lang kämpfte von der Leyen: Sie stampfte ein Programm für fünf Jahre als EU-Kommissionspräsidentin aus dem Boden, stellte sich stundenlangen Anhörungen im Europaparlament und justierte ihre Versprechen für Europa etwa beim Kampf gegen den Klimawandel immer wieder nach.

Am Montag erhöhte von der Leyen nochmals den Einsatz: Sie kündigte an, unabhängig vom Ausgang der Abstimmung am Mittwoch als deutsche Verteidigungsministerin zurückzutreten.

Erste deutsche Verteidigungsministerin

Diesen Posten hatte von der Leyen seit Ende 2013 inne, auch hier war sie die erste Frau im Amt. Die ausgebildete Ärztin kennt damit den Brüsseler Politikbetrieb und nahm regelmäßig an den Treffen mit ihren EU-und NATO-Kollegen teil.

Die von ihrer vertretende Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik ist auch eines der zentralen Reformprojekte von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Aus französischen Regierungskreisen hieß es, es sei Macron gewesen, der von der Leyen im Brüsseler Personalpoker ins Spiel gebracht habe.

In Brüssel geboren

Von der Leyen spricht fließend Englisch und Französisch. Die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ist in Brüssel geboren und dort auch in den ersten Jahren zur Schule gegangen. "Ich bin Europäerin gewesen, bevor ich später gelernt habe, dass ich Deutsche bin und Niedersächsin", sagt sie. "Und deshalb gibt es für mich nur eines: Europa einen und stärken."

Ihre politische Karriere ging die Mutter von sieben Kindern zielstrebig an. Sie ist seit 1990 CDU-Mitglied. 2003 wurde sie in Niedersachsen Ministerin für Frauen, Familie und Gesundheit und gehört seit 2004 dem Präsidium der CDU an. 2005 wurde sie Bundesfamilienministerin. Dort setzte sie das Elterngeld durch. 2009 übernahm sie das Bundesarbeitsministerium.

Von der Leyen galt zwischenzeitlich als mögliche Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch ihr fehlt eine wirkliche Hausmacht in der Partei. Und einigen in der CDU war ihr Ehrgeiz immer suspekt.

Zuletzt schien ihr Stern zu sinken. Turbulenzen gab es um Plagiatsvorwürfe um ihre Doktorarbeit. Die Medizinische Hochschule Hannover entschied aber 2016, dass sie trotz "klarer Mängel" beim Zitieren den Titel behalten darf.

Unglücklich im Amt

Unglücklich agierte von der Leyen in der Affäre um rechtsextreme Tendenzen in der deutschen Bundeswehr. Nachdem 2017 aufflog, dass sich ein Oberleutnant monatelang als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte und offenbar einen rechtsradikal motivierten Anschlag plante, warf sie der Truppe in einer ersten Reaktion ein "Haltungsproblem" vor. Dies wurde ihr als Pauschalkritik in der Bundeswehr übel genommen.

Dann geriet die Ministerin mit der Affäre um die Kostenexplosion bei der Sanierung des Segelschulschiffs "Gorch Fock" in die Schlagzeilen. Sie brachte von der Leyen den Vorwurf fehlender Kontrolle ein und aus der Opposition Rücktrittsforderungen.

Auch wegen Rüstungsprojekten, vielfältiger Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr und einer Affäre um externe Berater wurde ihr Ministerium immer wieder kritisiert. Dass sich von der Leyen trotz dieser Turbulenzen im Amt hielt, zeigt ihre politische Zähigkeit. Die hat sich im Poker um die Juncker-Nachfolge nun erneut ausgezahlt.