Herr Nationalratspräsident Sobotka, wie haben Sie das Ende der Regierung Kurz erlebt?

Wolfgang Sobotka: Es war das erste Mal in der Zweiten Republik, dass eine Regierung abgewählt wurde. Es stellt dem Parlament ein gutes Zeugnis aus, dass es mit so einer heiklen Situation so gut umgegangen ist.

Wie schätzen sie das Kabinett Bierlein ein?
Ich habe frühere Regierung nicht kommentiert und werde es auch nicht gegenüber der neuen Regierung tun. Ich habe mit der Bundeskanzlerin mehrere Gespräche geführt und ihr die Usancen des Parlaments näher gebracht.

Kann man sagen, das es zum ersten Mal wirkliche Gewaltenteilung gibt? Die Regierung exekutiert, die Legislative liegt im Parlament?
Das war immer so. Die Regierung ist in ihrer Arbeit nicht gehemmt, die Bundeskanzlerin hat nur von Haus aus gesagt – und das ist auch der Wunsch der Bundespräsidenten –, sie wolle eine ordnungsgemäße Verwaltung organisieren.

Wird das Klima jetzt härter?
Vielleicht wird es konfrontativer werden, aber wenn wir den Vorsätzen der Parteien glauben dürfen – und ich bin Optimist und glaube das – wird man keine Beschlüsse fassen, die nachhaltig das Budget belasten. Ich vertraue hier der Verantwortung der Abgeordneten.

Bisher war es oft so.
2017 war es nicht so schlimm wie 2008, abgesehen von der Aufhebung des Pflegeregresses.

Für Oppositionsparteien, und das sind jetzt alle, ist es eine gute Bühne für den Wahlkampf.
Ich halte wenig davon, den Wahlkampf ins Parlament zu verlegen.

Sie haben viel Kritik zu hören bekommen für die Verlegung des Misstrauensvotums gegen die Regierung bis nach der EU-Wahl.
Ich glaube, es war im Nachhinein absolut richtig, die Parlamentssitzung nach der EU-Wahl abzuhalten. Hätten wir sie vorher abgehalten, wäre es zu einer Verflechtung von Innenpolitik und Wahlkampfrhetorik gekommen – das wollte ich vermeiden. Wollte ich parteipolitisch agieren, hätte ich sie vorher abgehalten.

Womit rechnen Sie noch in den nächsten vier Monaten?
Man wird sehen, was die Fraktionen vorhaben. Zuerst müssen wir einen Wahltermin festlegen.

Steht der nicht schon?
Da müssen noch die Beschlüsse gefasst werden. Bis dahin bin ich vorsichtig. Und es wird sicher eine Diskussion über die Parteifinanzen stattfinden.

Die wäre am ehesten für die ÖVP unangenehm, weil sie hohe Spenden bekommt.
Jede Partei hat den Wahlkampf mit den gesetzlichen Vorgaben zu bestreiten. Man kann über unsere sehr hohe Parteienfinanzierung diskutieren, über Spenden und über Transparenzbestimmungen auch.

Soll die Parteifinanzierung gekürzt werden?
Wir müssen darüber diskutieren, was eine Demokratie wert ist. Andere Länder haben weniger staatliche Förderung und mehr private. Bei uns werden Spenden immer mit Lobbyismus und Stimmenkauf in Verbindung gebracht. In anderen, ebenso gut ausgebauten Demokratien ist das überhaupt nicht so. Selbstverständlich vertritt jeder Mandatar auch seine Wähler und Wählerinteressen. Zu glauben, dass man mit Geld einen Wahlkampf gewinnt, ist aber ein großer Irrtum.

Was dann?
Kreativität, eine gute Position in den sozialen Medien, eine untadelige Persönlichkeit, die das Charisma hat, Wählerinnen und Wähler anzuziehen, ein guter Organisator. Geld ist der geringste Faktor.

Waren die 13 Millionen beim letzten ÖVP-Wahlkampf dann hinausgeworfenes Geld?
Das müssen sie die Verantwortlichen in der ÖVP fragen, ich bin nicht der Wahlkampfmanager. Ich würde eher die Transparenz stärken, da ist sicher Luft nach oben.

Soll der Rechnungshof mehr prüfen dürfen?
Auch das müssen die Parteien festlegen. Wie die Geldmittel letztlich im Wahlkampf eingesetzt wurden, kann man schon dem Rechnungshof klar darlegen. Ich weiß aber nicht, ob es die Parteien befürworten, dem Rechnungshof die gesamten Parteikassen offenzulegen.

Eher nicht, aber es kann ja trotzdem sinnvoll sein.
Hinter den Zahlen steckt natürlich auch die Strategie. Da würde ich schon einen Wettbewerbsnachteil sehen, wenn erkennbar wird, wie einzelne Parteien sich strategisch mit ihren Beschäftigten aufstellen. Die stehen ja im Wettbewerb.

Was verraten die Zahlen?
Die Zahlen zeigen, wer setzt mehr fürs Internet ein, wer investiert in welchen Bereich der PR, da sieht man die Strategie. Parteien sollen ihre Intimsphären haben, wo sie ihre strategischen Überlegungen machen können, die sich natürlich in Geld manifestieren. Derart weitreichende Entscheidungen sollte man in Zeiten eines Vorwahlkampfes nicht forcieren. Man kann einen Beschluss fassen über Summen und Obergrenzen, aber mehr würde ich derzeit nicht tun.

Ex-Vizekanzler Strache wird sein EU-Mandat voraussichtlich annehmen. Was halten Sie davon?
Wenn Sie mich fragen: Ich würde es natürlich nicht tun. Das ist meine Haltung. Objektiv betrachtet würde ich den Strafrahmen und die Strafermittlungen als wesentliche Kriterien sehen. Neben der strafrechtlichen Dimension gibt es vor allem auch eine moralische Verantwortung, der man sich als Politiker jederzeit bewusst sein sollte.