Schritt eins war der Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Schritt zwei die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl. Schritt drei der Rückzug aller anderen FPÖ-Minister, Schritt vier der Misstrauensantrag der Liste "Jetzt" gegen ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz. Und Schritt fünf könnte die Entlassung sämtlicher türkiser Regierungsmitglieder oder überhaupt der kompletten gerade erst neu zusammengesetzten Regierung sein. Kanzler Kurz selbst geht bereits fix von seiner Abwahl aus und wird am Abend eine Erklärung dazu abgeben.

Am Tag nach der Europawahl bleibt in Österreich vermutlich politisch kein Stein mehr auf dem anderen.

Der Antrag der Liste "Jetzt" von Peter Pilz, der derzeit auf dem Tisch liegt, bezieht sich nur auf das Vertrauen gegenüber dem Kanzler. Sowohl in SPÖ als auch in FPÖ mehren sich jedoch die Stimmen, die fordern, es müsse "tabula rasa" gemacht werden nach den eruptiven Ereignissen der letzten Tage.

Die SPÖ hat für Sonntagabend, 21 Uhr, ihr Präsidium einberufen. Nachdem die Landesparteiobleute in ihren Wahlzentralen den vermutlichen Wahlausgang mit ihren Genossinnen und Genossen beraten haben (zu dieser Zeit liegen nur Wahltagsbefragungen vor, das Ergebnis verkündet das Innenministerium erst um 23 Uhr), pilgern sie nach Wien. Womöglich verkündet mit Eckart Ratz ein Innenminister dieses Endergebnis, der gerade erst ins Amt gekommen ist und zu diesem Zeitpunkt schon befürchten muss, dass er tags darauf wieder Geschichte ist.

Der Kärntner Landeshauptmann und SPÖ-Chef Peter Kaiser fährt nicht zur Sitzung des Bundesparteipräsidiums. Der Bundesparteichef-Vize wird sich via Skype von Klagenfurt aus zur Sitzung der Parteigremien zuschalten, um über das SPÖ-Verhalten bezüglich Misstrauensvotum zu beraten. Kaisers Sprecher Andreas Schäfermeier sagte Sonntagnachmittag zur Kleinen Zeitung, dass es auch seit dem Treffen der Landeshauptleute mit Kurz vergangenen Freitag "keine Hinweise des Kanzlers gegeben hat, wie er sich das Vertrauen der Parlamentsparteien erarbeiten will".

Der steirische Parteivorstand tagte bereits um 15.30 Uhr, damit Parteiobmann Michael Schickhofer rechtzeitig nach Wien kommt. Zu später Stunde tagt in Wien noch das Parteipräsidium, um die Gangart für Montag festzulegen. In der Vorstandssitzung wurde der Nationalratsabgeordnete Jörg Leichtfried bei drei Gegenstimmen zum steirischen Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl gewählt.

Vier Varianten für die Sondersitzung des Nationalrats liegen auf dem Tisch:

Variante 1: Kein Misstrauen

Die FPÖ gibt einem Misstrauensantrag gegen Kurz oder Teilen seiner Regierung keine Zustimmung, weil sie der SPÖ den Triumph nicht gönnen und es sich mit der ÖVP nicht ganz verscherzen will. Dann ist alles abgeblasen, ohne FPÖ haben die anderen Parteien keine Mehrheit. Das ist allerdings eher unwahrscheinlich. Ex-Infrastrukturminister Norbert Hofer und Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner wären für eine gemäßigte Linie, aber Ex-Innenminister Herbert Kickl macht seit seiner unfreiwilligen Ablöse mobil. Der ÖVP warf er "Machtbesoffenheit" vor, Bundespräsident Alexander Van der Bellen sei der "Steigbügelhalter" der ÖVP.

Am Samstag legte er bei Wolfgang Fellner in oe24 noch einmal nach: Im Innenministerium sitze mit Eckart Ratz jetzt "ein Platzhalter für alte ÖVP-Seilschaften", der möglicherweise die Ermittlungen zudecken solle. Denn der in die Entstehung des Ibiza-Videos verwickelte Anwalt M. sei auch der Anwalt zweier ÖVP-naher Mitarbeiter des BVT, Kickl stellt einen Zusammenhang in den Raum. Die nunmehr in der Regierung sitzenden "Experten" seien nur "für die Auslage", würden von Kurz und Kanzleramtsminister Gernot Blümel gesteuert, den einzig verbliebenen Politikern in der Regierung. Er, Kickl, wäre für einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung. All das klingt nicht nach Vertrauensvorschuss der Partei für Kurz als Übergangskanzler.

Variante 2: Abwahl von Kanzler Kurz

Das ist der Antrag der Liste "Jetzt", der derzeit auf dem Tisch liegt. Die Neos sprachen sich dagegen aus, was von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger inzwischen allerdings relativiert wurde: Die Art, wie die Opposition in den vergangenen Stunden von Kurz behandelt wurde, könnte noch eine Änderung der Meinung nach sich ziehen.

Variante 3: Abwahl aller türkisen Minister

Eine Variante, die in den vergangenen Stunden insbesondere in den Reihen der SPÖ intensiv diskutiert wurde. Betroffen davon wären neben Kurz Kanzleramtsminister Blümel, aber auch Hartwig Löger, der gerade erst zum Vizekanzler wurde, und Elisabeth Köstinger. Ein hoher SPÖ-Funktionär bestätigte der Kleinen Zeitung Samstagabend, dass ein entsprechender Vorstoß aktuell aus Sicht der SPÖ die wahrscheinlichste Variante ist.

Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hatte sich von Anfang an dafür ausgesprochen, die gesamte türkis-blaue Regierung durch ein Expertenkabinett zu ersetzen. Die SPÖ will gleiche Voraussetzungen für alle für den Nationalratswahlkampf. Es sei nicht einzusehen, warum man dem Chef einer gescheiterten Regierung den Kanzlerbonus überlassen solle.

Variante 4: Abwahl aller Minister

Dies wäre ein Affront gegenüber Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der das neue Kabinett gerade erst angelobt hat - im Einvernehmen mit dem Kanzler. Genau das kreidet ihm die SPÖ ein wenig an, dass in den vergangenen Monaten eine Nähe zwischen Kanzler und Präsident entstanden sei, die das Pendel im Zuge der Neuordnung zu sehr zugunsten der ÖVP ausschlagen lasse.

Die Alternative wäre ein Antrag, der gesamten Regierung das Misstrauen auszusprechen und die Ressorts bis zur Neuwahl von hohen Beamten leiten zu lassen. Ein Vorschlag, dem etliche ranghohe SPÖ-Vertreter aber auch  - siehe oben - auch Teile der FPÖ nicht abgeneigt wären.