Wie beurteilen Sie die politische Lage?
Dieter Böhmdorfer: Fakt ist, dass Österreich ein katastrophales Bild in der Weltöffentlichkeit abgibt. Allerdings glaube ich, dass Österreich den Imageschaden hätte begrenzen können.

Wie?
Natürlich ist das alles furchtbar, und ich will auch nichts relativieren. Dennoch war meines Erachtens die erste Festlegung des Kanzlers die angemessene: Die beiden Hauptbeteiligten treten zurück und die Regierung arbeitet weiter ab. Das soll der Kanzler der FPÖ ursprünglich zugesagt haben. Das wäre für beide Parteien schwierig gewesen, aber es wäre ein Akt der Schadensbegrenzung gewesen.

Hat nicht die Dimension des Enthüllten einen kompromisslosen Schnitt geradezu erzwungen?
Wenn die Forderung nach der Kickl-Ablöse in Einheit erhoben worden wäre, hätte ich es noch verstanden: Kickl muss zurück und die beiden müssen gehen, dann machen wir weiter. So aber hat der Kanzler die Methode des Zug-um-Zug gewählt. Das war für mich eine Überdehnung. Wenn das so war, dann ist für die Regierungsauflösung eigentlich die mangelnde Zustimmung der FPÖ zur Kickl-Ablöse verantwortlich und nicht das Video. Das Bild in der Weltöffentlichkeit sieht anders aus. Entschlosseneres Handeln des Bundeskanzlers und vor allem auch des Herrn Bundespräsidenten wäre möglich und angebracht gewesen. Damit ist kein Wort der Entschuldigung für die Vorgänge rund um das Video und in dem Video gesagt.

Gerade der Bundespräsident wird von vielen für sein ausgleichendes Wirken in dieser Krisensituation gewürdigt.
Ich hatte das Gefühl, dass beide vom Sog der Ereignisse ein wenig überrascht waren: zu wenig Erfahrung und zu wenig Selbstsicherheit in der Krisensituation. Was mir grundsätzlich fehlt, ist ein Hinweis des Herrn Bundespräsidenten: dass das Video, das Entsetzliches zutage gebracht hat, menschenrechtswidrig zustande gekommen ist und nicht zum Tagesgeschäft von Medien werden darf. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Methoden, wie dieses Video bestellt, bezahlt, hergestellt, verwendet und verbreitet wurde, legitim sind. Sonst besteht die Gefahr, dass hier eine Methode der politischen Erpressung entsteht. Das muss allen, die dazu schweigen, bewusst sein.

Was wird aus der FPÖ?
Die FPÖ wird – wenn nicht ein Wunder geschieht – an diesen Problemen noch lang zu leiden haben. Das Wunder könnte nur eintreten, wenn politische Persönlichkeiten mit Sachkompetenz und hoher Reputation nunmehr die Geschicke der Partei in die Hand nähmen. Die Abgrenzung vom extrem rechten Rand ist eine Dauerpflicht.

Bei unserem letzten Gespräch billigten Sie der Führung der Partei einen höheren Reifegrad als damals unter Schüssel zu. Ein Fehlbefund.
Ich habe mich getäuscht. Man kann das nicht erklären. Es ist einfach die Enttäuschung da. Es geht nicht nur um die FPÖ. Es droht der Rückfall in die Hegemonie von ÖVP und SPÖ, und ich bin überzeugt, dass diese für eine dynamische Willensbildung im Land zu wenig sind. Neos erinnern mich manchmal an die engagierte FPÖ unter Gredler und Zeilinger. Sie war aber zu klein, um etwas zu bewirken.

Das Skandal-Video wirft ein Schlaglicht auf die Praxis verdeckter Parteienfinanzierung. Wie klassifizieren Sie die enthüllten Äußerungen Straches?
Ich möchte die Äußerungen im Video keinesfalls beschönigen oder relativieren. Das ist alles schlimm und bedrückend. Es handelt sich dabei aber zweifellos um ein rauschunterlegtes Geplauder. Strafrechtlich sind das straflose Vorbereitungshandlungen, wie das auch der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien angedeutet hat. Wenn man das mit dem vergleicht, was sich im Jahr 2000 rund um den Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl abgespielt hat, muss man sagen, dort gab es wesentlich größere Summen und wesentlich größere kriminelle Energie sowie ein politisch wesentlich schädlicheres Versteckspiel. Deutschland hat das locker weggesteckt. Österreich redet sich mit heftiger Unterstützung von Deutschland in den Weltuntergang.

Wie lassen sich die moralischen Hohlräume, die sich aufgetan haben, wieder schließen?
Ich glaube, die Zukunft verlangt einen neuen Politikertyp: einen, der von Sachkunde und Integrität gezeichnet ist. Der derzeit dominierende Politikertyp ist von politischer Unkenntnis, ja geradezu politischem Desinteresse geprägt. Politische Tätigkeit ist ein Steigbügelhalter für jene geworden, die sich vor allem mit Medientraining und eingelernten Stehsätzen über Wasser halten. Einen Beweis dafür lieferte die ORF-Runde der EU-Kandidaten: Karas sollte eigentlich die größte Erfahrung haben und hätte alle mit seiner Kompetenz an die Wand spielen können. Tatsächlich ist er in Schlagworten und Worthülsen untergegangen.

Der Kanzler hat der Opposition angeboten, bis zur Wahl die Klubobleute zu den Regierungssitzungen hinzuzunehmen. Kann eine solche Aufhebung der Gewaltenteilung funktionieren?
Man könnte damit ausloten, ob bestimmte Vorhaben der Übergangsregierung im Parlament mehrheitsfähig sind. Es böte die Chance für einen sachkompetenten, integrativen Kanzler. Ist Kurz das? Wenn er es jetzt nicht beweist, wann dann? Dazu kommt die verfassungsrechtliche Bedeutung dieses Gremiums. Immerhin spricht hier das höchste Vollzugsorgan der Exekutive mit der Legislative. Politisch wäre diese Institution eine große Chance. Wenn sie allerdings von den Klubobleuten zur Selbstdarstellung, Blockade und politischen Agitation verwendet würde, stirbt auch dieser Gedanke. Zudem dürfte dieses Gremium nicht als huldvolle Gnade des Kanzlers eingerichtet werden, sondern als Gespräch auf Augenhöhe.

Die FPÖ ist drei Mal in Folge in und an der Regierungsverantwortung gescheitert. War’s das?
Ich bin Anwalt. Ich spreche keine ultimativen Verdammungen aus. Ich lote aus, ob ich helfen kann, das gilt auch bei allergröbsten Fehltritten.

Ist der FPÖ zu helfen?
Jedem ist zu helfen. Ich habe keine Kompetenz zu sagen, jemand hat eine schwere Verfehlung begangen, und jetzt muss eine Partei für immer weg. Es gehört alles aufgeklärt. Und ich frage Sie etwas: Wenn die Industriellenvereinigung Räume für eine Wahlveranstaltung des Herrn Kurz zur Verfügung stellt, wie würden Sie das nennen?

Eine Sachzuwendung.
Ja, und weil es eine Sachzuwendung ist, ist es eine Parteienfinanzierung. Dieser Startnachteil kann nur durch eine doppelte Solidität im politischen Bemühen wettgemacht werden. Die FPÖ steht vor der größten Anstrengung ihrer Geschichte. Wie und ob sie sie bewältigt, weiß ich nicht.