Soll man oder soll man nicht den Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz unterstützen? Bis zur Sondersitzung des Nationalrats muss man eine Gangart finden, eine Gangart auch für die Wochen danach. Den Sozialdemokraten geht es wie dem Führerscheinneuling am Steuer: Der Motor dreht sich auf vollen Touren, aber der Fahrer droht das Auto im Stand abzuwürgen.

Im Falle der SPÖ ist es eine Fahrerin, Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Der gescheiterte türkis-blaue Bundeskanzler hat ihr ein Ei gelegt. Die Blauen sind Sebastian Kurzabhandengekommen und damit die Mehrheit im Parlament. Die Liste Jetzt hat einen Misstrauensantrag eingebracht, die FPÖ stimmt möglicherweise dafür. Kurz hat den Absprung der FPÖ riskiert. Es hinge dann an den Stimmen der SPÖ, ob er bis zur Wahl Kanzler bleiben kann. Die SPÖ hat die Wahl zwischen „Pest und Cholera“:

Die Angst vor dem Stammtisch

Entweder man stürzt den Kanzler und zieht sich die Ablehnung derer zu, die um die Stabilität des Landes fürchten, auch das Missfallen der Leute am Stammtisch, die nicht verstehen, dass man Sebastian Kurz das „antut“. Oder man hält den Kanzler, im Wissen darum, dass man ihm damit einen Startvorteil für die Wahl gibt und die eigenen Leute die Partei als „Lulu-Fraktion“ erleben.

Was Letzteres schwierig macht, ist der bisherige Umgang der ÖVP mit der SPÖ. „Wir sollen dem ÖVP-Chef vertrauen, der uns zwei Jahre lang missachtet, uns von den Verhandlungstischen entfernt und auch noch nach dem Rücktritt Straches beschimpft hat?“, fragt sich Gewerkschafter Beppo Muchitsch, fragen sich viele in der Partei. Dass Kurz mit SP-nahen Experten lockte, ist wenig Trost: „Damit er im Sessel bleibt, sollen wir mitreden dürfen?“

Die Folgen von Ibiza

Doch es ist nicht nur die eigene Emotion, „die ist dem Wähler wurscht“, weiß ein anderer Funktionär. Es sind auch andere Überlegungen, die etwa Hans Peter Doskozil im Burgenland, Michael Ludwig in Wien, Michael Schickhofer in der Steiermark treiben. Schickhofer: „Es gibt im Strache-Video auch Spenden-Vorwürfe an die ÖVP, die gehören untersucht.“ Es bestehe Verdunkelungsgefahr, sagt Wiens Ludwig. Doskozil: Man könne „dieses parteipolitische Spiel auf dem Rücken der Republik“ nicht akzeptieren.

Es liege am Bundespräsidenten, für eine stabile Regierung zu sorgen, und Kanzler Kurz sei nicht alternativlos. Die Ablöse von Innen-, Justiz und Verteidigungsminister hatte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner gefordert. Mittlerweile hat man sich verständigt auf die Forderung nach einem „unabhängigen Expertenkabinett“, inklusive Ablöse von Kurz. „Der Staat wird deshalb nicht zusammenbrechen“, sagt Muchitsch. Schickhofer: „Es geht auch um das internationale Renommee, Kurz trägt die Verantwortung für das Desaster.“

Fischer & Fischler

Neben Ex-Bundespräsident Heinz Fischer wird von der SPÖ ganz bewusst auch Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, ein ÖVP-Mann, als Übergangskanzler ins Spiel gebracht. Und von Kurz gefordert, dass eigentlich er es sei, der aus staatspolitischer Räson den Weg dafür frei machen müsste.

Bemerkenswert ist, dass Kurz bisher nicht wirklich das Einvernehmen mit der SPÖ suchte. SPÖ-Vize-Klubchef Jörg Leichtfried erklärt sich das so: „Kurz fehlt das Verständnis für den Parlamentarismus. Er hat sich nie um Mehrheiten bemühen müssen.“ Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser rät zur Besonnenheit. Die Entscheidung müsse letztlich der Parlamentsklub fällen, mit Blick auf die Wochen danach: „Kann man sich noch auf Gemeinsamkeiten verständigen?“

Zweifel an der Front-Frau

Was der SPÖ zusätzlich zu schaffen macht, ist das mangelnde Vertrauen darauf, dass Pamela Rendi-Wagner die richtige Frontfrau für einen Angriffs-Wahlkampf ist. „Sie ist für den Sumpf nicht gerüstet“, sagt ein Beobachter. Aber es gebe keine Alternative. „Der Zug fährt, und er fährt gegen die Wand.“ Rendi-Wagner wird kampferprobte Haudegen als „Übersetzer“ für die Basis brauchen.