Das Scheidungspapier, die 585 Seiten des Brexit-Vertrages, der nach zähem Ringen den Rahmen für einen geordneten Ausstieg Großbritanniens aus der EU vorgibt, ist zwar ein herbeigesehnter Durchbruch, gleichzeitig aber auch der Auftakt zu noch intensiveren Verhandlungen. Und so wurde es gestern für die Botschafter der EU-27 nichts mit der Sonntagsruhe, stattdessen trafen sie sich in Brüssel zur Abstimmung über die Details des Plans und zur Vorbereitung des Sondergipfels am kommenden Sonntag. Man wolle kein Öl ins britische Feuer gießen, sagte einer der Diplomaten nach dem Treffen und meinte damit, dass es vonseiten der EU-27 keine Änderungswünsche beim Vertrag geben werde. So sei der Streit um die Fischereirechte hintangestellt worden, auch Spanien sprach Unklarheiten um Gibraltar zunächst nur am Rande an.

Egal, was bis Sonntag passiert, der Gipfel findet auf jeden Fall statt, sagte ein hochrangiger Ratsvertreter. Entweder geht es dann wie geplant darum, den Austrittsvertrag anzunehmen und wie man sinnvoll weiter vorgeht – oder wie man mit dem Chaos fertig wird, das bis dahin in London angerichtet wurde. Denn mehr noch als für die Europäische Union steht für das Vereinigte Königreich die Zukunft auf dem Spiel. Niemand kann voraussagen, was in den kommenden sieben Tagen und danach dort passiert.

Misstrauensantrag gegen May ungewiss

Ein parteiinterner Misstrauensantrag gegen Theresa May kommt vielleicht gar nicht erst zustande. 48 Stimmen wären nötig, bis gestern Abend lagen kaum mehr als 20 offiziell auf. Doch selbst wenn es morgen zum Misstrauensantrag kommt, bedarf es einer Mehrheit der 315 Abgeordneten, um May aus dem Amt zu drängen, was als nicht wahrscheinlich gilt. Die Frage ist vermutlich eher, ob der Ausstiegsvertrag durch das Unterhaus kommt, was sehr bezweifelt wird. Diese Abstimmung gibt es erst im Dezember, letztgenannter Termin ist der 10. – drei Tage, bevor in Brüssel der reguläre Wintergipfel beginnt, der sich, auch wenn man das vermeiden wollte, ebenfalls nur um den Brexit drehen wird.

In Brüssel hat man ohnehin keinen Einfluss auf die Geschehnisse jenseits des Ärmelkanals und arbeitet unter österreichischem Ratsvorsitz am Modell „geordneter Brexit“ weiter. Heute, Montag, halten sich für ihre jeweiligen Fachgebiete die Minister Kunasek, Kneissl, Löger und Köstinger in Brüssel auf, das Hauptaugenmerk wird aber auf Europaminister Gernot Blümel liegen, der den Brexit-Rat leitet und voraussichtlich am Vormittag mit EU-Chefverhandler Michel Barnier vor die Presse tritt. Morgen soll dann dem Zeitplan nach ein Papier der EU-27 zu den künftigen Beziehungen mit Großbritannien veröffentlicht werden – „ohne Überraschungen“, wie ein Diplomat der APA verriet. Wie berichtet, können die tatsächlichen Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen erst nach dem Austritt beginnen.

Während sich in London bereits vor allem die zurückgetretenen Regierungsmitglieder als potenzielle May-Nachfolger in Stellung bringen und May angekündigt hat, noch vor dem Gipfel am Sonntag ein weiteres Gespräch mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker führen zu wollen, erreicht die Brexit-Debatte auch das österreichische Parlament. Die SPÖ fordert eine „Brexit-Erklärung“ von Kanzler Sebastian Kurz als Grundlage für eine gemeinsame österreichische Position. Die Erklärung soll am Mittwoch oder Donnerstag im Rahmen der Plenarsitzung stattfinden.