Die britische Premierministerin Theresa May hat im Streit um ihr Abkommen zum EU-Austritt Rückendeckung von Brexit-Befürwortern bekommen. Auf die Frage, ob May die volle Unterstützung des Kabinetts habe, sagte Umweltminister Michael Gove am Freitag "natürlich, vollkommen". Auch Handelsminister Liam Fox, ebenfalls ein überzeugter Brexit-Anhänger, sprach May sein absolutes Vertrauen aus.

Im Regierungssitz der Premierministerin dürfte das für Aufatmen gesorgt haben. Erst am Donnerstag hatte der Rücktritt mehrerer Minister und Staatssekretäre die Regierung in eine Krise gestürzt.

Vor allem der Rücktritt von Brexit-Minister Dominic Raab wog schwer. Sein Nachfolger ist der bisher eher unscheinbare AbgeordneteStephen Barclay, wie Downing Street am Freitag mitteilte. Er war zuvor Staatssekretär im Gesundheitsministerium. Allerdings werde May die letzten Tage der Verhandlungen mit der EU selbst leiten, wie ein Sprecher am Freitag sagte. Barclay, der bei dem Referendum 2016 für den Brexit gestimmt hatte, solle sich darum kümmern, den Ausstiegsvertrag durchs Londoner Parlament zu bringen. An die Stelle der zurückgetretenen Arbeitsministerin Esther McVey tritt die frühere Innenministerin Amber Rudd.

Auslöser für die Rücktritte am Donnerstag war der Entwurf des Brexit-Abkommens, das die Unterhändler Großbritanniens und der EU in Brüssel erarbeitet hatten. Das Dokument stößt in Großbritannien auf große Vorbehalte. Noch ist unklar, wie May eine Mehrheit dafür im Parlament bekommen will.

Hinterbänkler revoltieren

Unterdessen gab es heftige Spekulationen über eine unmittelbar bevorstehende Misstrauensabstimmung gegen May. Der einflussreiche Tory-Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg hatte der Regierungschefin am Donnerstag sein Vertrauen entzogen. Rees-Mogg steht einer Gruppe von rund 80 Brexit-Hardlinern in der Konservativen Fraktion vor.

Notwendig für den Misstrauensantrag sind 48 Briefe von Abgeordneten aus der Regierungsfraktion. Nicht bekannt ist, ob diese Zahl bereits erreicht wurde. Doch selbst wenn es so weit kommen sollte, ist nicht gesichert, dass die Rebellen May wirklich stürzen können. Sie brauchen dafür eine Mehrheit aller 315 konservativen Abgeordneten.

Abstimmung könnte auch Stärkung sein

Eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal pro Jahr stattfinden. Sollte May als Siegerin hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt. Vize-Premierminister David Lidington sagte voraus, May würde eine Misstrauensabstimmung deutlich gewinnen.

Das größte Problem für May bleibt aber die Frage, wie sie ihr Brexit-Abkommen durchs Parlament bringen will. Sowohl die nordirische DUP, von der ihre Minderheitsregierung abhängig ist, als auch Dutzende Parteifreunde versagen ihr die Gefolgschaft. Offenbar hofft sie auf die Unterstützung der Opposition. "Jeder einzelne Abgeordnete wird entscheiden müssen, wie er abstimmt, ob er von der DUP ist, den Konservativen, Labour, allen Parteien im Unterhaus", sagte May am Freitag im Interview des Rundfunksenders LBC.

Mehrheit für Vertrag auf der Kippe

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht den vorläufigen Brexit-Deal offenbar auf der Kippe. "Jetzt stehen wir an einem kritischen Punkt. Es ist vollkommen offen, ob es eine Zustimmung dafür in Großbritannien geben wird oder nicht", sagte Kurz am Freitag nach Gesprächen mit EU-Chefverhandler Michel Barnier und Ratspräsident Donald Tusk vor Journalisten in Brüssel.

Kurz warnte vor einem "harten Brexit" ohne Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien. Dieser würde "ganz massiv Großbritannien schaden". In Hinblick auf eine notwendige Abstimmung im britischen Parlament über den Brexit-Vertrag sagte Kurz: "Derzeit ist jeglicher Ausgang möglich." Der EU-Brexit-Sondergipfel am 25. November werde aber stattfinden. Dort wollen die EU-Staats- und Regierungschefs das Abkommen unter Dach und Fach bringen.

"Deal wird nicht am Fisch scheitern"

Für Unmut bei manchen EU-Staaten sorgt, dass über den geplanten Austrittsvertrag mit den Briten nicht geregelt wird, ob und wie europäische Fischer künftig Zugang zu den britischen Fischereigewässern haben werden. Diplomaten betonen allerdings, dass deswegen vermutlich niemand ein offizielles Veto einlegen werde. "Der Deal wird nicht am Fisch scheitern. Am Ende wird sich die Vernunft durchsetzen", heißt es aus EU-Kreisen zum Unmut von Ländern wie Frankreich, Dänemark oder Schweden.

Wie es mit den Fischereigebieten weitergeht, solle nun in den Verhandlungen mit den Briten über die geplante politische Erklärung erörtert werden, hieß bei einem Treffen von EU-Botschaftern am Freitag in Brüssel.

Ähnliches gilt für Bedenken, dass Großbritannien durch einen möglichen vorübergehenden Verbleib in der Zollunion wirtschaftliche Vorteile genießen könnte. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn die britische Regierung britischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile einräumen würde, die nicht für EU-Unternehmen gelten.