„Die Nagelprobe folgt jetzt“

Michael Stabenow, FAZ, Deutschland. "Das Lob, das Bundeskanzler Sebastian Kurz nach Ende des Salzburger EU-Gipfeltreffens von mehreren europäischen Amtskollegen gespendet wurde, fiel auffällig üppig aus. Dass Streit um die Flüchtlingspolitik und zum Reizthema „Brexit“ ausblieb, dürfte auch damit zu tun haben, dass auf informellen Gipfeln keine verbindlichen Beschlüsse fallen können. Die Nagelprobe folgt jetzt. So gut die Wiener Diplomatie die Brexit-Gespräche begleitet hat - der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in Wien, sondern in London und beim EU-Gipfel im Oktober. Auch in der Migrationspolitik bestehen - nicht nur zur Verteilung von Flüchtlingen - noch tiefe Differenzen. Dass Kurz dem Anspruch, auch hier „Brückenbauer“ zu sein, kaum gerecht werden kann, liegt auch daran, dass Wien eindeutig Partei für die Quotengegner ergriffen hat."

„Wiens Spielraum ist begrenzt“

Adriana Cerretelli, Il Sole 24 ore, Italien. "Kein turnusmäßig wechselnder Ratsvorsitz kann in sechs Monaten Wunder vollbringen. Nicht einmal Österreich hat dieser Regel entkommen können. Das Land ist gezwungen, sich in einem Europa zu bewegen, das immer schwieriger zu regieren ist. Zwischen den EU-Partnern haben sich zu viele Meinungsverschiedenheiten und ungelöste Interessenkonflikte angehäuft. Armut und innere soziale Spannungen werden größer. Und dann ist da noch die Migration, die all das verstärkt und unter ihrem Schub Populismus und Nationalismus wachsen lässt. Österreich selbst und die Koalitionsregierung von Bundeskanzler Kurz sind Ausdruck der Probleme, die Europa belasten. Der Spielraum des Landes ist beschränkt. Der österreichische EU-Vorsitz strengt sich daher an, das zu tun, was er kann."

„Ein Moderator, der sich selbst lobt“

Stephan Israel, Tages-Anzeiger, Schweiz. "Sebastian Kurz hat sich vor dem Start von Österreichs Ratspräsidentschaft als Brückenbauer angepriesen. Keine einfache Aufgabe in einer zwischen Ost und West sowie Nord und Süd zerrissenen EU. Allerdings hat man bisher nicht immer den Eindruck, dass Kurz ernsthaft versuchen würde, Gräben zu überwinden. Ja, vielleicht ist er ja sogar Teil des Problems. So scheint Österreichs rechtsnationale Regierung vor allem ihre eigene Migrationsagenda mit dem engen Fokus auf Abschottung voranzutreiben. Auch lässt Kurz keine Gelegenheit aus, um seinen Beitrag bei der Schließung der Balkanroute hervorzuheben. Ein Moderator, der vor allem sich selber lobt, das geht gar nicht. Aber noch bleibt für den Kanzler die zweite Halbzeit, um Österreichs traditionelle Qualitäten als Land des Ausgleichs zu demonstrieren."

„Begrenzte Möglichkeiten“

Peter Zerjavic, Delo. "Slowenien Österreich hat aus eigenen Stücken entschieden, den Fokus seiner Ratspräsidentschaft auf das Thema Migration zu legen. Das neue Paradigma, das nur auf dem Außengrenzschutz basiert, ist allerdings nicht ausreichend. Die gestärkte Frontex-Agentur kommt erst in ein paar Jahren. Eigentlich müssten wir in der EU entscheiden, wie wir mit der Migration umgehen werden. Diese Frage steht aber lediglich im Hintergrund. Die Ambitionen der österreichischen Präsidentschaft sind realistischer geworden, weil es nur begrenzte Möglichkeiten für Fortschritt und Ergebnisse gibt. Beim Brexit kommen turbulente Zeiten auf Wien zu. Ansonsten agiert die Präsidentschaft sehr professionell. Man merkt, dass dies nicht der erste EU-Vorsitz ist und dass die österreichische Diplomatie eine lange Tradition hat."

„Jetzt muss geliefert werden“

Christoph Schiltz, Die Welt. "Deutschland Die Erwartungen an Österreichs EU-Ratspräsidentschaft sind immens. Nicht zuletzt, weil Kanzler Kurz sie geweckt hat. Er gilt als Macher in Brüssel, der anpackt, unkonventionell denkt und Dinge durchsetzen kann. Bisher ist davon eher wenig zu sehen. Es sind die Mühen der Ebene, mit denen sich Kurz herumschlägt: Detailarbeit, störrische Partner, Egoismus auf vielen Seiten. Wien hat nur noch gut drei Monate Zeit, muss erheblich an Tempo zulegen, wenn die Präsidentschaft erfolgreich sein soll. Bisher ist noch nichts Wegweisendes passiert. Brexit, Migration, Haushalt, Trump - jetzt muss geliefert werden. Und die Brücken, die Kurz in der EU zwischen den Lagern bauen will, müssen errichtet werden. Alle schauen auf ihn, von Vizekanzler Strache ist nichts zu sehen. Er spielt keine Rolle auf der EU-Bühne."

„Die Bilanz ist durchwachsen“

Matthew Karnitschnig, Politico, USA. "Die Bilanz der österreichischen Präsidentschaft ist „durchwachsen“. Obwohl Kurz ein Star der europäischen Politik ist, dessen ruhige Art geschätzt wird, blieben echte Fortschritte bei wesentlichen EU-Fragen bisher aus. In Salzburg standen die Brexitverhandlungen und die Migration ganz oben auf der Agenda, ein Durchbruch ist der Regierung in ihrer Vermittlerrolle nicht gelungen. Der Kanzler hat selbst entschieden, die Migration in den Fokus „seiner“ Präsidentschaft zu rücken. Das ist verwunderlich, da das Thema die EU seit drei Jahren tief spaltet. Angesichts der andauernden Spannungen beim Grenzschutz und der Verteilung von Flüchtlingen war vielen europäischen Diplomaten klar, dass es kaum Hoffnung geben würde, die Differenzen während Österreichs sechsmonatiger Präsidentschaft zu überwinden."