Im Asylstreit der deutschen Unionsparteien zeigen sich die Kontrahenten hart in der Sache, aber auch bereit zu einer Verständigung. "Wir wollen endlich eine zukunftsfähige Lösung für die Zurückweisung von Flüchtlingen an unseren Grenzen", sagte Innenminister Horst Seehofer der "Bild am Sonntag". Zugleich machte er deutlich, dass er eine Einigung mit Kanzlerin Angela Merkel für möglich hält.

Am Montag will sich Seehofer von seiner Partei Rückendeckung für seinen Kurs geben lassen. Die CDU-Chefin pocht weiter auf eine europäische Lösung. Am Sonntagabend kam sie mit Spitzenvertretern ihrer Partei in der Berliner Parteizentrale zusammen, um über einen möglichen Ausweg aus der Krise zu beraten. Zur Entschärfung des Konflikts will die Kanzlerin in den nächsten Tagen mit einzelnen EU-Staaten Abkommen zur Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze schließen. Auch Österreich könnte darunter sein.

"Kein Interesse, die Kanzlerin zu stürzen"

"Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft aufzulösen oder die Koalition zu sprengen", sagte Seehofer der "Bild am Sonntag". In einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" deutete er an, dass er Merkel Zeit für Verhandlungen bis zum EU-Gipfel geben will. "Es ist (...) von entscheidender Bedeutung, dass der EU-Gipfel Ende Juni endlich zu Beschlüssen kommt, die Deutschlands Lasten in der Migrationspolitik anerkennen und einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen und eine faire Verteilung der Menschen mit Bleiberecht ebenso gewährleisten wie eine schnelle Rückführung der Menschen ohne Bleiberecht."

Zugleich schrieb Seehofer, der Zusammenhalt Deutschlands und Europas stehe auf dem Spiel. "Die Lage ist ernst, aber sie ist bewältigbar." Als Innenminister müsse er das Recht haben, Migranten, denen "nach Auslegung europäischen Rechts" eine Zuwanderung nach Deutschland nicht zustehe, an der Grenze zurückweisen zu lassen. "Darüber sollten wir in CDU und CSU diskutieren, gemeinsam und mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung."

"Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten"

Zusätzliche Brisanz bekommt die Auseinandersetzung durch angebliche Äußerungen Seehofers in einer internen Runde zur Zusammenarbeit mit Merkel. "Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten", sagte er laut "Welt am Sonntag" bei einem Treffen der CSU-Regierungsmitglieder mit Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Seehofer und die CSU fordern die Zurückweisung von Migranten, wenn sie schon in einem anderen EU-Land registriert wurden. Merkel hat sich bereit erklärt, diejenigen zurückzuweisen, die bereits einen Asylantrag gestellt haben und abgelehnt wurden. Zudem sollen auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen Zurückweisungen von Menschen möglich werden, die einen Asylantrag in einem anderen europäischen Land gestellt haben. Dazu hat sich Merkel zwei Wochen Zeit bis zum nächsten EU-Gipfel erbeten. In ihrem wöchentlichen Podcast betonte sie, die Migration sei eine europäische Herausforderung, "die auch eine europäische Antwort braucht".

Die CSU will gleichwohl bei ihrer Vorstandssitzung am Montag in München beraten, ob sie Seehofer grünes Licht für einen Alleingang gibt, damit er Zurückweisungen an den Grenzen anordnet. Würde sich Seehofer über die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin hinwegsetzen, könnte Merkel ihn entlassen. Die Folge dürften ein Regierungsbruch und das Ende der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU sein. Ein Bericht der "Bild"-Zeitung, wonach die CSU Merkel eine Frist bis zum EU-Gipfel Ende Juni einräumen will, wurde von CSU-Generalsekretär Markus Blume als "pure Desinformation" dementiert.

Gespräche über bilaterale Abkommen

Wie ein Regierungssprecher am Sonntag in Berlin mitteilte, führt die Bundesregierung im Zusammenhang mit Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze "Gespräche mit unterschiedlichen Mitgliedstaaten und der Kommission" über mögliche bilaterale Abkommen. Die Rede ist von Griechenland, Italien oder Bulgarien. Ob mit diesen Staaten bei einem gemeinsamen Treffen verhandelt wird oder getrennt, ließ der Sprecher offen.

Einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge strebt die Kanzlerin noch vor dem regulären EU-Gipfel am 28. und 29. Juni ein Asyltreffen mit mehreren EU-Staaten an. Es liefen dafür schon konkrete Planungen, so die Zeitung. Die CDU-Chefin wolle in den kommenden Tagen unter anderem mit Griechenland, Italien und Österreich über Lösungen für die Flüchtlingskrise beraten, berichtete das Blatt unter Berufung auf Regierungskreise mehrerer EU-Staaten.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bekräftigte in der "BamS", die Hand der CDU bleibe ausgestreckt. Beide Parteien hätten das gemeinsame Ziel, dass weniger Menschen über die Grenze nach Deutschland kommen sollten. "Wir sind uns einig, dass diejenigen, die woanders Asyl beantragt haben, gar nicht erst ins Land gelangen sollen." Das solle auf der Grundlage der Vereinbarungen mit betroffenen Ländern wie Italien, Griechenland und Bulgarien erreicht werden. "Ein nationaler Alleingang kann unsere Verhandlungsposition schwächen und möglicherweise Auswirkungen auf anderen Feldern haben, zum Beispiel beim Euro."

Unterstützung bekam Merkel von ihren Stellvertretern an der CDU-Spitze: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", der europäische Geist gehöre zur Seele der CDU. "Die werden wir nicht verkaufen." Sein hessischer Kollege Volker Bouffier sagte: "Der Vorschlag von Angela Merkel ist vernünftig, und diese zwei Wochen zu nutzen, ist für niemanden eine Zumutung."

Laschet und Bouffier gehörten auch zu einer Runde von CDU-Spitzenpolitikern, die am Sonntagnachmittag in der Berliner Parteizentrale zusammenkamen. Es handle sich um ein Vorbereitungstreffen für die Gremiensitzungen am Montag, hieß es in CDU- und Teilnehmerkreisen. An dem Treffen nahmen auch Merkel und Kramp-Karrenbauer teil.