Es gab Zeiten, da war Alexander Lukaschenko bekannt für seine „Schaukel-Diplomatie“: nicht, weil er besonders spielerisch an die Politik heranginge, nein, das ist seine Sache nicht. Der schnauzbärtige Staatschef Weißrusslands verstand es meisterhaft, sich und sein Land zwischen russischen Begehrlichkeiten im Osten und der EU im Westen durchzulavieren, ohne sich besonders festzulegen.

Mit dem Schaukeln ist es jetzt endgültig vorbei: Vorigen Sonntag ließ Lukaschenko Flug FR4989, eine irische Passagiermaschine, die vom EU-Land Griechenland ins EU-Land Litauen unterwegs war, von einem Kampfjet begleitet in Minsk zwangslanden – um dann den weißrussischen Blogger Roman Protassewitsch und dessen Freundin herauszuholen, zu verhaften und in die Minsker Folterkeller zu entführen. Seitdem hagelt es Sanktionen aus Europa.

Zu retten ist hier ohnehin nichts mehr. „In die Arme Putins treiben“, wie viele lange fürchteten, können die Sanktionen Lukaschenko nicht mehr: Dort ist er längst. Und nicht wegen Europa. Die eigene Bevölkerung hat dem Mann, der mittlerweile seit 26 Jahren an der Macht ist, die Gefolgschaft aufgekündigt. Mit gefälschten Wahlen hatte er sich im Vorjahr erneut an die Spitze gesetzt. Es folgten massive, friedvolle Massenproteste, die Menschen fordern Neuwahlen. Lukaschenko reagierte mit brutalster Repression. Er liebe sein Land – „und was man liebt, gibt man nicht her!“, schmetterte er der Opposition entgegen. Die Wahrheit und das Volk, so viel ist klar, liebt er nicht.



„Wir haben alles unter Kontrolle“, dröhnt der 66-Jährige immer wieder. Seine Mittel: Massenverhaftungen, prügelnde Sicherheitskräfte, Vergewaltigung, Überwachung. Die Bilder der blutüberströmten Gesichter der Demonstranten gingen um die Welt; auch Fotos von gefolterten, geschundenen Körpern von Inhaftierten. Mehr als 33.000 Demonstranten wurden verhaftet, es gab mehrere Tote. Dass Lukaschenko die Macht überhaupt noch in seinen gewalttätigen Händen hält, hat er Wladimir Putin zu verdanken. Der russische Präsident schickt Lukaschenko Geld, um seinen schlägernden Sicherheitsapparat bei Laune und bei der Stange zu halten. Er schickt Militärberater und Strategen, um die Unterdrückung der Proteste durchzuziehen. Milliardenkredite, um die weißrussische Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren.

Zweckgemeinschaft

Freunde waren Lukaschenko und Putin nie; doch jetzt eint sie der Wille, um jeden Preis an ihrem Amt festzuhalten: Einen demokratischen Machtwechsel in Minsk kann Putin nicht gebrauchen. Auch er lässt Oppositionsproteste im Keim ersticken – Kritiker wie Alexej Nawalny landen mit Nowitschok vergiftet im Koma oder Straflager. Nicht wenige Weißrussen fürchten, dass Putin von Lukaschenko jetzt doch noch den gewünschten gemeinsamen „Unionsstaat“ bekommt – es wäre das Ende der Unabhängigkeit Weißrusslands.

Sowchos-Direktor

Dabei hatte alles so ruhig begonnen. Lukaschenko, der Sohn einer Melkerin und eines Textilarbeiters, wurde früh Funktionär der sowjetischen Jugendorganisation „Komsomol“, studierte Geschichte und Agrarökonomie, wurde Direktor einer Sowchose und schließlich Instrukteur des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Der heißt in Lukaschenkos Weißrussland noch heute so. 1991 unterstützte er den August-Putsch in Moskau gegen Michail Gorbatschow. Reaktionär war dann seine eigene Präsidentschaft.

Sohn als Wunsch-Nachfolger

Dass Herrschaft nichts ist, was man bei Wahlen abgibt, war für Lukaschenko immer klar: Gern zeigt er sich mit seinem dritten Sohn, Nikolai, der 2004 geboren wurde. 2013 verkündete der Staatschef, sein Sohn solle eines Tages Präsident werden. Im Vorjahr tauchten dann verstörende Bilder auf, die den damals 15-Jährigen mit Sturmgewehr, Schutzhelm und in Tarnuniform an der Seite seines Vaters zeigen – offenbar als Leibwächter, spekulierten weißrussische Medien. Auch der Staatschef selbst lief mit einer Kalaschnikow herum.
Früher inszenierte Lukaschenko sich gern als „Batka“, als volksnahes „Väterchen“. In der Zwischenzeit hat seine Brutalität das Volk traumatisiert.