Er war eine bemerkenswerte Formulierung, die Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch in der ZiB 2 gewählt hat. Auf der Rückfahrt von einer Ehrung in München und einem Termin bei CSU-Chef Markus Söder war er von seinem Anwalt telefonisch darüber informiert worden, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Falschaussage im U-Ausschuss eingeleitet hatte. Im Kern geht es um den Vorwurf, dass seine Version über die in der Staatsholding Öbag getroffenen Personalentscheidungen nicht durch die Chatprotokolle von Öbag-Chef Thomas Schmid gedeckt sind. Auf die Frage von Armin Wolf, ob er bei einer Anklage zurücktreten werde, meinte der Kanzler: „Ich bin zweimal gewählt worden. Ich war heute mit vielen in der ÖVP in Kontakt, die mir gesagt haben: Man darf sich so was nicht gefallen lassen. Ich werde mir das nicht gefallen lassen.“ Was insinuiert: Sollte es wider Erwarten zu einer Anklage kommen, würde er sich ein drittes Mal der Wahl stellen – mit dem Slogan: Wir lassen uns nicht unterkriegen.

Noch hat die WKStA den Kanzler nicht einvernommen, noch ist nicht Anklage erhoben worden. Sollte es dazu kommen, was viele Strafrechtsexperten nach Lektüre des 58-seitigen Ermittlungsstandes nicht ausschließen, würde Österreich in eine schwere innenpolitische Krise schlittern. Bis jetzt herrschte Konsens darüber, dass eine Anklage zum Rücktritt führt. Kurz hält die Vorwürfe für überzogen und denkt nicht an Rücktritt.

Van der Bellen hüllt sich in Schweigen

Die Situation bringt unweigerlich die Grünen in die Bredouille, die ihrer unruhigen Basis die Erzählung auftischen: Nur weil die Grünen der Regierung angehören und die Justizministerin stellen, wird überhaupt ermittelt. In jeder anderen Konstellation wäre, wie es Grünenchef Werner Kogler formuliert hat, das Verfahren „daschlogn“ worden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hüllt sich derzeit in Schweigen. Wie lange noch?

Grüne hoffen auf Diversion

Im Umfeld des Juniorpartners hofft man, dass es gar nicht so weit kommt. In grünen Zirkeln wird die Idee der Diversion ins Spiel gebracht. Eine solche hatte bereits dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser in der Top-Team-Inseratenaffäre das politische Überleben gesichert bzw. ihn vor der Anklage bewahrt. In türkisen Zirkeln ist man ohnehin der Ansicht, dass die WKStA über das Ziel hinausgeschossen hat, weil der Kanzler nicht vorsätzlich die Unwahrheit im Ausschuss aufgetischt habe. Und sollte es doch anders kommen, Anklage erhoben, der Kanzler wegen Falschaussage verurteilt werden?

Ein Kabinett Bierlein-2 ist unwahrscheinlich

Niemand in Wien will Neuwahlen, keine einzige der fünf Parlamentsparteien – aus gutem Grund. Es kann durchaus sein, dass wir sehenden Auges in Neuwahlen schlittern. Eine Verurteilung würde unweigerlich zum Ende der Koalition führen. Ein fliegender Wechsel (welche Konstellation?) oder ein Kabinett Brigitte Bierlein 2, das über keine feste parlamentarische Mehrheit verfügen würde, ist unwahrscheinlich. Beides müsste von Bundespräsident Van der Bellen eingefädelt werden.

Hofer oder Kickl?

Keine der fünf Parteien hat Interesse an Neuwahlen. Die Grünen müssen fürchten, nach dem kurzen türkis-grünen Intermezzo wieder Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte auf die Oppositionsbank verbannt zu werden. Sympathisanten der Freiheitlichen stehen vor dem Dilemma, sollten sie am Wahlsonntag FPÖ ankreuzen, wüssten sie nicht, ob sie damit Norbert Hofer oder Herbert Kickl den Rücken stärken. In der SPÖ würde mit einem Schlag die Frage aufbrechen, ob Pamela Rendi-Wagner die richtige Spitzenkandidatin ist. Zwar hat die ausgebildete Epidemiologin in der Pandemie eine überzeugende Figur abgegeben, doch reicht das für einen Wahlkampf? 2019 konnte die SPÖ keinen Nutzen aus dem Ibiza-Debakel ziehen. Bei den Neos läuft es derzeit unrund, enttäuschte ÖVP-Anhänger müssten in großen Scharen zu den Pinken wechseln.

Tauchen neue Chats auf?

Die besten Karten haben vielleicht noch die ÖVP und der Kanzler, dessen Glanz zwar ordentliche Kratzer abbekommen hat, der sich aber als politischer Märtyrer, als Opfer innenpolitischer Intrigen im fernen Wien inszenieren würde – es sei denn, es tauchen in den nächsten Wochen und Monaten weitere wenig schmeichelhafte Chats auf.

Keine Mehrheit links der Mitte

Das wenig Charmante an Neuwahlen ist eine andere Frage: Was dann? Welche Koalition ist möglich? Türkis-Blau 2? Türkis-Grün 2? Oder doch eine Große Koalition mit der SPÖ? Mit den Neos dürfte es sich nicht ausgehen. Eine Mehrheit links der Mitte ist ohnehin nicht in Sicht.