Ist der Tod von Prinz Philip eine Zeitenwende für die Monarchie in Großbritannien?
Melanie Sully: Ja, ich denke schon. Wir befinden uns in der letzten Phase der elisabethanischen Ära. Wir haben jetzt quasi eine Übergangszeit, wie es sie in der Politik nach einer Wahl gibt und vor einer Angelobung. Wir befinden uns in dieser Phase aber schon seit Längerem, denn die Königin hat schon viele Agenden übergeben und die Jungen in die Welt zu Besuchen geschickt. Es gibt ein Kernteam von Senior Royals, die die Funktionen von Prinz Philip bereits in den vergangenen Jahren übernommen haben und nun auch weiterhin übernehmen werden. Prinz Edward, der jüngste Sohn von Prinz Philip und Queen Elizabeth, hatte man jahrelang nicht gesehen, in den vergangenen Jahren tauchte er vermehrt auf mit seiner Frau, und beide sind sehr sympathisch.

Was, wenn die junge Garde den Platz, der leer geworden ist bzw. noch leer werden wird, gar nicht in alter Manier ausfüllen möchte?
Melanie Sully: Harry ist ja schon jetzt das beste Beispiel dafür. Andererseits: Dinge können sich rasch ändern. William galt lange als der lazy William, er war beschäftigt mit seiner Familie, mit seinem Leben und auch nicht so pflichtbewusst in Bezug auf die Monarchie. Diese Generation ist nicht geprägt vom Zweiten Weltkrieg, es gibt nicht dieses große Ethos von Pflicht und Arbeit, es ist einfach eine andere Zeit.

Politologin Melanie Sully
Politologin Melanie Sully © Weingartner

Aber müsste sich nicht auch die Monarchie neu erfinden? Es gibt ja den schönen Spruch: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
Melanie Sully: Die Royals haben sich sehr wohl auch angepasst. Sie gehen mit den Medien heute anders um, sie haben mehr Kontakte zur Bevölkerung – zumindest war das bis zur Pandemie so. Die Royals hören auch mehr auf die Stimmung im Lande, aber die Frage ist: Wie weit soll die britische Monarchie, der immer etwas Geheimnisvolles angehaftet hat, überhaupt gehen und sich verändern? Skandinavische Monarchien sind da ja ganz anders. Aber die britische Monarchie ist nun einmal eine erzkonservative Institution.

Wie kommt das heute noch in der jungen Bevölkerung an?
Melanie Sully: Laut aktuellen Umfragen ist die jüngere Generation nicht so begeistert von den Royals. Die 18- bis 24-Jährigen könnten sich auch ein Ende der Monarchie vorstellen. Das Vereinigte Königreich ist aber auch in dieser Frage wie schon beim Brexit tief gespalten. In Schottland gibt es zum Beispiel zwar schon eine Mehrheit für die Monarchie, die ist aber nicht so stark wie in England und Wales. Der nächste Monarch muss mit einem Land umgehen, in dem die Akzeptanz für die Monarchie nicht so groß ist wie in den Generationen davor.

Das zeigte sich auch am Tag des Todes von Prinz Philip, als die BBC das Programm daraufhin komplett umstellte und nur noch über den Verstorbenen berichtete. Der Sender war einem gewaltigen Shitstorm ausgesetzt.
Melanie Sully: Ja, das ist durchaus ein Signal dafür, dass die Monarchie aufpassen muss. Für jüngere Generationen wird die Monarchie nicht mehr selbstverständlich sein.

Was ist eigentlich problematisch daran?
Melanie Sully: Es gab in der Vergangenheit viel mehr, das die Gesellschaft in Großbritannien wie Klebstoff zusammengehalten hat. Da zählt beispielsweise das britische Weltreich dazu. Und nicht zuletzt hat auch das EU-Recht dazugehört, das war verbindend. Auch die anglikanische Kirche war für die britische Gesellschaft immer ein Klebstoff, auch deren Einfluss wird weniger. Wenn nun auch noch das britische Königshaus diese Rolle verliert, besteht natürlich die Gefahr, dass da etwas auseinanderreißt.

Die Queen hat seit ihrer Krönung im Jahre 1953 15 Premierminister erlebt, darunter große Staatsmänner wie Winston Churchill und Politiker wie Boris Johnson, der gern wie Churchill wäre. Regierungen kommen und gehen, Pandemien kommen und gehen, was aber bleibt, ist das Königshaus. Oder?
Melanie Sully: Ja, das ist Kontinuität. Und auch in den jüngsten britischen Umfragen zeigte sich, dass die Bevölkerung zwar unzufrieden mit der Monarchie ist, aber noch unzufriedener ist sie mit den gewählten Politikern. Die Politik wird als dysfunktional bewertet. Das könnte im Zweifelsfall der Monarchie sogar aus der Patsche helfen.

Was passiert, wenn die Queen stirbt? Ist es denkbar, dass Prinz Charles in der Erbfolge übersprungen wird und gleich Prinz William übernimmt?
Melanie Sully: Es ist ganz klar, dass Prinz Charles der Nachfolger ist. Würde man das anders wollen, bräuchte es dazu einen Parlamentsbeschluss, aber nicht nur in Großbritannien, sondern in allen Commonwealth-Ländern, in Kanada, Australien, Papua-Neuguinea, Jamaica etc., und es ist nicht sicher, dass die zustimmen würden, weil sie sagen könnten, wir wollen keinen Monarchen mehr als Staatsoberhaupt, wir wollen eine Republik sein – Tendenzen, die übrigens in Kanada und Australien immer stärker werden. Und dann muss man überlegen, wenn wir Prinz William als König haben: Was, wenn ihm was passiert? Denn seine Kinder sind noch zu jung. Am beliebtesten ist jedenfalls bis heute die Queen, dann kommt Prinz William, dann kommt seine Frau Kate, dann kommt Prinz Harry, der besonders bei den jungen Leuten gut ankommt. Er gibt ein bisschen den anarchistischen Rebell. Und in der Beliebtheit ganz unten, da rangiert Prinz Charles.

Zuletzt hatte man den Eindruck, dass Großbritannien mittlerweile ganz gut aus der Pandemie herauskommt. Im Vorjahr war es ja ein Horror, mit so vielen Toten!
Melanie Sully: Großbritannien hat manchmal die Fähigkeit, aus einer absoluten Katastrophe gestärkt herauszukommen. Am Beginn der Pandemie im Vorjahr herrschte das absolute Chaos, das Land war nicht vorbereitet, das Gesundheitswesen nach der ersten Welle am Ende. Dann wurde der britischen Regierung klar: Wir können diese Pandemie nicht mehr mit normalen Methoden bekämpfen. Der Kampf gegen die Pandemie wurde ein militärischer Einsatz. Das Land war im Kriegsmodus, eine Taskforce wurde gegründet, die rund um die Uhr arbeitete. Johnsons Auftrag war klar: keine Toten mehr!