Vordergründig geht es um das Erdgas in der Ägäis: Wem gehört es? Wer darf es fördern? Doch dieser türkisch-griechische Konflikt ist weit älter und sehr vertrackt und reicht bis ins Osmanische Reich zurück. Das Problem: Der Konflikt im östlichen Mittelmeer hat sich in den vergangenen Monaten wieder extrem hochgeschraubt. 

Heute soll in Ankara ein Treffen des griechischen Außenministers Nikos Dendias mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu die Wogen glätten. An wurde das Treffen geplant, um die Möglichkeiten eines Kompromisses auszuloten. Cavusoglu hatte angekündigt, es diene aber auch dazu, ein Gespräch zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorzubereiten. Doch die Dialogbereitschaft wird wieder geringer und das jüngste Treffen einer EU-Delegation mit Präsident Erdogan führte nicht zuletzt durch "SofaGate" wie berichtet zu einem Desaster. 

Provokationen

Zuletzt war es immer wieder zu kleineren Provokationen gekommen. In den vergangenen Wochen beklagte das griechische Verteidigungsministerium Dutzende Luftraumverletzungen seitens der Türkei. Im Vorjahr wurde von türkischer Seite das Forschungsschiff „Oruc Reis“ ins östliche Mittelmeer geschickt, um dort nach Erdgas zu suchen. Die griechische Regierung hatte daraufhin der Türkei vorgeworfen, die Suche innerhalb der Wirtschaftszone Griechenlands durchzuführen. Inzwischen hat die Türkei Schiffe aus dem umstrittenen Gebiet allerdings wieder abgezogen.

Und doch: Der Ton wurde in der Ägäis-Frage immer rauer und Griechenland und Zypern entdeckten türkische Marineschiffe in Gewässern, wo sie sie nicht haben wollten. Immer mehr Akteure waren daraufhin im östlichen Mittelmeer militärisch unterwegs, auch Frankreich verstärkte seine Präsenz, die EU ist bis heute alarmiert.

Es geht um einen Grenzkonflikt, genauer gesagt um einen See-Grenzkonflikt. Geregelt durch das Seerechts-Übereinkommen der UN: Es geht um Wirtschaftszonen, Meilen, Rechte und Territorien - und es ist alles sehr kompliziert, zumal die Türkei das Abkommen der UN nicht anerkennt und sich benachteiligt fühlt.

Da die Türkei

Die Türkei lehnt die Auffassung ab, dass auch von Inseln eine Wirtschaftszone abgeleitet werden kann. Viele griechische Inseln liegen nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste, die die türkische Wirtschaftszone beschneiden. Auch Zypern steht im Weg. So hat die Türkei eine vergleichsweise kleine Wirtschaftszone. Nach türkischem Verständnis hört die türkische Wirtschaftszone allerdings erst am Ende ihres Territoriums auf, nicht am Ende des Kontinentalschelfs. Im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen wurde der Name Kontinentalschelf rechtlich definiert als der Abschnitt des Meeresbodens, der an die Küste eines bestimmten Landes angrenzt, zu dem er gehört.

Dort Griechenland

Auf der anderen Seite steht Griechenland. Und auch die griechischen Forderungen sind nicht gering. Ein Beispiel ist die kleine Insel Kastelorizo, die direkt vor der türkischen Küste liegt, und durch seine Territorialansprüche die Türkei vollends beschneidet. Kompromissbereitschaft wäre auch auf griechischer Seite gefragt.

Doch es geht um den Fund von Ergasfeldern vor Zypern und die Vermutung, dass da noch viele viele Bodenschätze liegen.

Für Europa ist es ein gefährlicher Konflikt. Zypern und Griechenland sind Teile der EU, Griechenland und die Türkei sind beide Nato-Mitglieder. Angesichts der schwierigen Ausgangslage kann immer etwas schief- und eine Bombe hochgehen.

Als Athen zuletzt immer vehementer darauf pochte, die Seegrenzen der griechischen Inseln zu respektieren, entgegnete der türkische Präsident, man werde sich "nicht dem Versuch beugen, uns mit ein paar Quadratkilometer Inseln auf unserem Festland einzusperren".

Friedensvertrag von Sèvres

Dahinter liege, so erklären Experten, ein nationales Trauma: Der Friedensvertrag von Sèvres, der im August 1920 das Ende des Osmanischen Reichs besiegelte. Den Siegermächten des Ersten Weltkriegs schwebte damals eine komplette Zerstückelung des untergegangenen Riesenimperiums vor: Nicht nur seine arabischen und nordafrikanischen Provinzen sollten den Besitzer wechseln, auch weite Teile der heutigen Türkei wurden bei den Verhandlungen im Pariser Vorort Sèvres umverteilt. Im Osten sollten formal unabhängige Territorien für Armenier und Kurden entstehen, die Ägäis-Küste und der Balkanzipfel westlich von Istanbul waren für Griechenland vorgesehen, den muslimischen Türken sollte nur ein Rumpfstaat im mittleren Anatolien bleiben. Vereiteln konnte diese Pläne Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, der mit seiner Befreiungsarmee das heutige türkische Kernland zurückeroberte und den Besatzern 1923 im Vertrag von Lausanne neue Konditionen abverhandelte.

Allein bei den Inseln der Ägäis und des östlichen Mittelmeers blieb es bei den Abmachungen von Sèvres: Sie gingen nahezu komplett an Griechenland – auch solche, die wie die umstrittene Mini-Insel Kastelorizo mehr als 500 Kilometer von der griechischen, aber weniger als drei Kilometer von der türkischen Festlandküste entfernt liegen. Nicht ganz unbegründet macht das türkische Außenministerium im aktuellen Konflikt gerne darauf aufmerksam, dass diese geographischen Gegebenheiten die Definition von Seegrenzen im östlichen Mittelmeer schwierig machen.