US-Präsident Joe Biden hat sich am Donnerstagabend beim Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs eingeschaltet. Dies teilte der Sprecher von EU-Ratschef Charles Michel auf Twitter mit. Biden wollte eine kurze Ansprache zum Neustart der transatlantischen Beziehungen halten. Erklärtes Ziel des US-Präsidenten ist es, im Kampf gegen die Corona-Pandemie und gegen die Erderwärmung mit Europa zusammenzuarbeiten und die gemeinsamen Handelsbeziehungen zu stärken.

Die Teilnahme von US-Präsidenten bei EU-Gipfeln ist selten. 2009 war der damalige Präsident Barack Obama bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs dabei. Damals fanden die Gespräche mit US-Präsident Barack Obama im Rahmen eines EU-USA-Gipfels statt.

"Wenn die EU und die USA Schulter and Schulter zusammenstehen, können sie zeigen, dass Demokratien am besten geeignet sind, die Bürger zu schützen, die Würde zu fördern und Wohlstand zu schaffen", erklärte Ratspräsident Michel auf Twitter. Er hatte zuvor angekündigt, er habe Biden eingeladen, damit dieser "seine Sicht auf unsere künftige Zusammenarbeit" darlege. Es sei Zeit, "unsere transatlantische Allianz wiederaufzubauen".

"Wir hatten heute einen guten Austausch mit US-Präsident Joe Biden über gemeinsame Herausforderungen, wie die COVID-19 Pandemie und den Klimawandel. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen braucht es eine starke transatlantische Partnerschaft", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Analyse zum Rendezvous mit Brüssel

Wie Balsam auf den wunden Europäer-Seelen klingen die Worte, mit denen US-Präsident Joe Biden und sein Außenminister Anthony Blinken das für Donnerstagabend geplante Rendezvous mit Brüssel einleiteten. "Sehr wichtig" sei Europa für die USA, ließ der freundliche neue Herr im Weißen Haus ausrichten. "In den USA haben wir in letzter Zeit zu oft vergessen, wer unsere Freunde sind. Das hat sich bereits geändert", sagte wiederum Anthony Blinken. Der hatte sich diese Woche gleich vier Tage Zeit genommen, um Europa einen Besuch abzustatten - und zwar nicht nur der Nato, sondern auch den Spitzen der EU-Kommission.

Selbstverständlich mag das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis 2016 gewesen sein. Doch dann kam Donald Trump, und der "America First"-Präsident machte um Brüssel und die komplizierten Europäer am liebsten einen großen Bogen - oder gar heftige Vorwürfe, zu wenig Geld in die Nato-Töpfe zu bezahlen.

Eine Zäsur

Bidens Versuch, die einst engen transatlantischen Beziehungen wiederzubeleben und verlorenes Vertrauen wieder herzustellen, bedeutet somit tatsächlich eine Zäsur. Sowohl Biden als auch Blinken, der in Paris zur Schule ging, kennen Europa gut; "Multi-Lateralismus" gilt ihnen nicht als Schimpfwort. Dass Biden noch an Tag 1 seiner Präsidentschaft ins Klimaabkommen und die WHO zurückkehrte, sorgte in Europa für Erleichterung.

Auch mit dem Begriff "Wertegemeinschaft", der in Trump-Zeiten unter die Räder geriet, kann die neue Führung in Washington etwas anfangen: Biden betreibt seine Außenpolitik auch mit dem Anspruch, das westliche Modell von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Sowohl Russland als auch China bekamen das in den ersten Wochen seiner Amtszeit bereits zu spüren. Putin  bekam zu hören, dass ihn Biden für einen "Killer" hält; China bekam vor den Kameras der Welt eine Liste seiner Menschenrechtsverletzungen präsentiert.

Europäer im Spagat

Und genau bei diesen Themen zeigt sich auch, dass für die Europäer auch unter Biden nicht alles einfach wird. Wertegemeinschaft bedeutet für die USA, dass sich die Europäer auch dann solidarisch zeigen, wenn es darum geht, die aufstrebende Supermacht China - wichtiger Handelspartner der EU - gemeinsam mit Washington in die Schranken zu weisen. Dass Brüssel kürzlich erstmals seit 30 Jahren Sanktionen gegen Peking verhängte, ist wohl auch in diesem Kontext zu sehen. Gewaltige Gewitterwolken über dem Atlantik gibt es auch beim Thema Russland und der Nordstream 2 Pipeline, das - unter Umgehung der Ukraine - Gas aus Russland direkt nach Deutschland bringen soll. Ganz offen drohte Blinken allen Beteiligten des Projekts, zu denen auch die österreichische OMV zählt, mit Sanktionen. Hier wird die wiederbelebte transatlantische Liebe in den nächsten Wochen noch gewaltig auf die Probe gestellt werden.

Freundliche Nüstern

Aber Donnerstagabend werden einmal alle freundliche Nüstern machen und sich über den neuerdings wieder höflichen Tonfall freuen.  "Wir werden uns häufig und frühzeitig mit unseren Freunden beraten," stellte Biden den Europäern schon in Aussicht. Dies sei ein "Schlüsselelement" seiner Regierung. Gut so. Beratungsbedarf wird es reichlich geben.