Das Video dauert fünf Minuten und 19 Sekunden und hat das Zeug, Emmanuel Macrons Regierung ins Wanken zu bringen. Seit es Ende der Woche vom Onlinemagazine „Loopsider“ veröffentlicht wurde, geht ein Aufschrei durch Frankreich: Zu sehen ist, wie drei uniformierte Polizisten einen Mann verprügeln, angeblich, weil er keine Corona-Schutzmaske trug. Doch das Opfer gibt zu Protokoll, mehrfach als „dreckiger Schwarzer“ beschimpft worden zu sein. Und die Macht der bewegten Bilder ist erschütternd.

Zwölf Millionen Franzosen haben das Video innerhalb weniger Stunden gesehen. Macron selbst sei schockiert, heißt es aus dem Élysée-Palast. Schockiert sind auch Fußballstars wie Kylian Mbappé und Antoine Griezmann. „Ich schäme mich für Frankreich“, schrieb Nationalstürmer Griezmann auf Twitter. Ein Berater des Präsidenten wird von der Abendzeitung „Le Monde“ mit den Worten zitiert: „Man könnte denken, dass dieses Video aus dem Chile Pinochets stammt!“

Überwachungskamera

Das Video zeigt, offenkundig aus der Perspektive einer Überwachungskamera, wie der Musikproduzent Michel Zecler in den Flur seines Pariser Tonstudios kommt, gefolgt von drei Polizisten, die bald auf ihn einschlagen. Mit Fäusten und Schlagstöcken prügeln sie auf Zecler ein, versetzen ihm Fußtritte. Das Opfer wehrt sich nicht gegen die Misshandlung. Nach einigen Minuten kommen Mitarbeiter Zeclers hinzu, die die Polizisten zurückschieben und schließlich zur Haustür hinaus drängen.

Die Polizisten zünden – als weißer Nebel auf den Videobildern zu erkennen – eine Tränengasgranate und gehen draußen vor dem Haus in Stellung. Zwei Frauen filmen vom Balkon, was sie für einen Terroreinsatz halten. Zecler wird danach, blutig geschlagen, 48 Stunden im Polizeirevier festgehalten. Gegen ihn wird Anzeige wegen Beleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt erstattet. Nur den Videos ist es zu verdanken, dass der Angeklagte als das eigentliche Opfer erkennbar wird: Vier Polizisten sind bereits vom Dienst suspendiert. „Sie haben ihre Uniform beschmutzt“, sagt Innenminister Gérald Darmanin.

Landauf, landab ist die Empörung groß. Der Skandal berührt neuerlich das Selbstbild der Republik, die sich als Hort der Freiheit seit jeher versteht und sich heute als eine der letzten Bastionen der Presse- und Meinungsfreiheit sieht, die die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen auch dann noch beschützt, wenn sie von Terroristen als Tatmotiv zitiert werden.

Das ganze Bild ist weniger schmeichelhaft. Im Ranking der weltweiten Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ belegt Frankreich einen wenig glorreichen 32. Platz. Ein weiterer Abstieg droht, weil Macrons Mehrheit in der Nationalversammlung vergangene Woche neue, verschärfte Sicherheitsgesetze verabschiedet hat, gegen den Widerstand praktisch aller großen Namen der französischen Medienwelt. Das Timing des neuen Polizeiskandals könnte für die Regierung nicht schlechter sein.

Das „Gesetz zur globalen Sicherheit“ legt in seinem Artikel 24 fest, dass die Gesichter von Polizisten während ihrer Einsätze nicht mehr gefilmt und die Aufnahmen nicht verbreitet werden dürften, wenn dies in „böswilliger“ Absicht geschehe. Nur ist der Text so vage formuliert, dass Frankreichs Medien die berechtigte Frage stellten, ob es hier nicht in Wahrheit um die Absicht des Staates gehe, gewalttätige Übergriffe seines Sicherheitsapparats in Zukunft besser kaschieren zu wollen.

Rassistisch motivierte Gewalt

Die Kette rassistisch motivierter Gewalttaten, verübt von Polizisten, ist in Frankreich sehr lang. Mit Beginn der Bewegung „Black Lives Matter“ in den USA waren im Sommer Tausende Franzosen auf die Straße gegangen, um an den Tod des 24-jährigen Adama Traoré zu erinnern, der 2016 bei seiner Verhaftung starb. Dieser Tage beginnt ein Prozess gegen Polizisten, die vor Jahren einen Jugendlichen lebensgefährlich verletzten, indem sie ihn im Analbereich mit einem Schlagstock misshandelten.

Im Jänner erst lief eine Verkehrskontrolle in Paris aus dem Ruder, als Cédric Chouviat, ein Motorradlieferant, von Polizisten zu Boden gebracht und dort so brutal fixiert wurde, dass er danach mit gebrochenem Kehlkopf im Krankenhaus starb.

Der jüngste Skandal erhärtet die These, dass Polizeigewalt und Rassismus, oftmals in Kombination, in bestimmten Kreisen der Ordnungskräfte strukturell verankert sind. Das ist eine schlechte Nachricht für Präsident Macron, der den neuen Innenminister Darmanin erst im Sommer berufen hat, um die unzufriedenen Polizeigewerkschaften mit einem Hardliner zu beruhigen. Darmanin soll mit Blick auf die Wahlen in anderthalb Jahren außerdem ein klares Bekenntnis zu Recht und Ordnung verkörpern, um konservative Wechselwähler zu erreichen.

Der Innenminister wird nun fürs Erste wohl zurückrudern müssen. Das neue Sicherheitsgesetz ist zwar bereits verabschiedet, sein umstrittenster Artikel 24 aber soll auf Geheiß von Premierminister Jean Castex von einer unabhängigen Kommission neu formuliert werden.