1 Wer kämpft gegen wen?
„Krieg“, hatte Äthiopiens Premier und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed bei seiner Dankesrede vor einem Jahr in Oslo gesagt, „ist der Inbegriff der Hölle für alle Beteiligten.“ Nun kommt es zu den schwersten Auseinandersetzungen seit Jahren in dem ostafrikanischen Land. Das Schlachtfeld ist die abtrünnige Region Tigray. Dort hat Premier Abiy Ahmed die äthiopische Armee auf die regionale „Volksbefreiungsfront von Tigray“ (TPLF) angesetzt.

2 Worum geht es eigentlich?
Ursache ist ein Konflikt zwischen Äthiopiens Zentralregierung und der TPLF, der Volksbefreiungsfront von Tigray, die auch die Regionalregierung dort stellt. Die TPLF war außerdem die beherrschende Kraft in der Koalition Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker, EPRDF, die von Addis Abeba aus drei Jahrzehnte regierte. Premier Abiy Ahmed versucht seit seinem Amtsantritt 2018, die Macht der TPLF, die vor allem die Sicherheitsapparate des Landes beherrschte, zu beschneiden. Die TPLF wehrt sich.

3 Warum vertraut der Friedensnobelpreisträger der Macht der Waffen?
„Weil in der gängigen Lesart äthiopischer Politik von Premier Abiy Ahmed nun Stärke und Durchsetzung gefragt sind“, erklärt Äthiopienexperte Magnus Treiber, Professor an der LMU (Ludwig-Maximilians Universität) München. Das „historische Leitbild des militärpolitisch agierenden Kaisers“ verdränge Abiys bisherigen Weg des „Medemer“ - friedlich für eine gemeinsame Sache einzutreten. Allerdings habe die TPLF mit dem Überfall auf Garnisonen der zentralstaatlichen Armee in Tigray auch den Bogen überspannt.

4 Kann es im Vielvölkerstaat Äthiopien zu einem „Balkankrieg“ kommen, in dem die Ethnien aufeinander losgehen?
„Zweifelsohne“, sagt Treiber, „allerdings gehen nicht die Ethnien aufeinander los, sondern radikale Politiker, radikalisierte Jugendgruppen und Guerillas. Die zunehmende Gewalt nötigt die Menschen, sich unter ethnische „Schutzdächer“ zu begeben. Doch nicht alle Äthiopier sehen sich als ethnisch zugeordnet, selbst wenn es in ihrem Pass steht.

5 Droht ein Flächenbrand in der gesamten Region?
„Die militärischen Auseinandersetzungen treiben sehr viele Menschen in Nachbarländer, die selbst momentan mit Herausforderungen zu kämpfen haben, etwa mit der jüngsten Flutkatastrophe im Sudan“, sagt uns Stefan Hlavac, Büroleiter der Austrian Development Agency (ADA) in Addis Abeba. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg warnte bei einer EU-Videokonferenz: „Der militärische Konflikt in Äthiopien ist brandgefährlich. Es braucht nur wenige Schritte bis zum Flächenbrand.“

6 Wie sehr wirkt sich die Coronakrise in der Region aus?
„Äthiopien, Somalia sowie der Nord- und Südsudan sind stark betroffen, insbesondere die dicht besiedelten Gebiete, darunter auch Flüchtlingslager. Gleichzeitig muss das Leben weitergehen“, sagt der Äthiopienexperte Magnus Treiber. Bei all den politischen Spannungen und Ausbrüchen von Gewalt in Äthiopien und in der gesamten Region Horn von Afrika und der existenziellen Notwendigkeit, den Lebensunterhalt verdienen zu müssen, „sind nicht alle Menschen in der Lage, sich angemessen um Corona zu kümmern“, erklärt Treiber.