Die golden gefärbten Haare waren nicht so perfekt geföhnt wie sonst, die Krawatte fehlte und der Patient atmete merklich schwer. Aber die Botschaft an die Welt war unmissverständlich: Seht her, ich lasse trotz Corona meine Amtsgeschäfte nicht ruhen!

Am Wochenende hat sich Amerikas Präsident Donald Trump zum ersten Mal seit seiner Einlieferung in das Walter-Reed-Militärspital, in dem er wegen einer Corona-Infektion seit Freitag behandelt wird, in einem vierminütigen Video an die Öffentlichkeit gewandt. Es ginge ihm schon erheblich besser. „Wir werden das Coronavirus besiegen“, zeigte sich Trump kämpferisch und versprach, schon bald wieder seine Wahlkampftätigkeiten aufzunehmen. Nach wie vor herrscht Unklarheit über den genauen Gesundheitszustand des mächtigsten Mannes der Welt.

Trump im Konferenzraum des Walter Reed-Militärspitals
Trump im Konferenzraum des Walter Reed-Militärspitals © AFP

Verwirrende Angaben aus dem Weißen Haus

Hatte Trumps Leibarzt Sean Dooley am Samstagvormittag verkündet, dass es seinem 74-jährigen Patienten sehr gut gehe und der Präsident fieberfrei sei, schlug Trumps Stabschef, Mark Meadows, laut „New York Times“ am gleichen Tag dagegen alarmistische Töne an. „Die Werte des Präsidenten in den vergangenen 24 Stunden waren sehr besorgniserregend“, meinte Meadows. Die nächsten 48 Stunden seien entscheidend. Am Sonntag bestätigten die Ärzte, Trump habe am Donnerstag und am Freitag Sauerstoff zugeführt und ein Medikament verabreicht bekommen, das Studien zufolge die Überlebensrate von klinischen Covid-19-Patienten erhöhen soll. Zugleich stellten sie eine Rückkehr des Präsidenten ins Weiße Haus schon ab heutigem Montag in Aussicht. „Dem Patienten geht es immer besser“, sagte Dooley.

Es ist auch nach wie vor unklar, wann und wo sich Trump mit dem Virus angesteckt hat. Ein Indiz dafür, dass es vielleicht früher geschah als der vom Weißen Haus verkündete Zeitpunkt am Donnerstagabend: Immer mehr Berater und Mitarbeiter im Umfeld des Präsidenten wurden in den letzten Tagen positiv auf Corona getestet. Zuletzt traf es den ehemaligen Gouverneur von New Jersey Chris Christie der Donald Trump auf seine erste Debatte mit dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden vorbereitet hatte.

Bis dato keinen positiven Coronavirus-Bescheid erhalten hat Vizepräsident Mike Pence. Sollte Trump den Amtsgeschäften wegen seiner Krankheit nicht mehr nachkommen können, würde Pence laut dem 25. Zusatzartikel der Verfassung diese Aufgaben übernehmen. Mit anderen Worten: Pence würde dann US-Präsident werden.  Das Weiße Haus betonte am Wochenende, dass es keine solchen Pläne für die Übergabe der Amtsgeschäfte von Trump an seinen Vizepräsidenten gebe.

Nur dreimal, seit der Ratifizierung des Zusatzartikels 1967, hat ein Präsident für wenige Stunden seine Amtsbefugnisse an seinen Vertreter delegiert. Einmal geschah das unter Ronald Reagan 1985, zweimal unter George W. Bush. In allen drei Fällen waren es nur wenige Stunden, weil sich die Präsidenten wegen Gesundheitsuntersuchungen in Vollnarkose begeben mussten. Der Hintergrund für die spärliche Anwendung des Artikels: Er vermittelt persönliche und politische Schwäche. Zum Beispiel weigerte sich Ronald Reagan trotz seiner schweren Verletzungen nach einem Attentatsversuch 1981, Amtsbefugnisse abzutreten. In einem Wahlkampfjahr ist es also kaum vorstellbar, dass Donald Trump freiwillig solch einen Schritt setzen wird.

Der willkürliche Verlauf einer Coronavirus-Infektion wirft aber dennoch die Frage auf: Was wäre wenn? Abgesehen von rechtlichen Unklarheiten, die so eine Amtsübergabe aufwerfen würde: Wäre Mike Pence überhaupt fähig, das Präsidentenamt zu übernehmen?

Pence ist im Gegensatz zu Trump Berufspolitiker. Er hat gute Kontakte und ein enges Arbeitsverhältnis zu den republikanischen Abgeordneten im Kongress. Und er weiß, wie Regieren funktioniert. Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2016, nach Bekanntwerden des „Access Hollywood Tape“, eines heimlich aufgenommenen Skandalvideos, in dem Trump einem Reporter gegenüber auf zotige, verächtliche Weise über Frauen spricht, wollte Pence die republikanische Kandidatur an sich reißen. Er gilt auch als Kandidat für das Präsidentenamt 2024. Aus diesem Grund versuchte er in den letzten Jahren gezielt, eigene Netzwerke in den diversen Regierungsinstitutionen zu etablieren.

Der frühere Gouverneur von Ohio ist streng religiös und erzkonservativ und würde wohl eine „klassische“ republikanische Agenda verfolgen: sozialkonservativ, wirtschaftlich liberal. Pence würde wohl alles tun, um Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich zu verhindern, Steuern senken und Märkte weiter deregulieren. Auch würde er wohl staatliche Interventionen, sei es im Bereich des Gesundheitswesens oder bei Umweltbestimmungen, auf das Minimum reduzieren.

Außenpolitisch wäre für Pence vermutlich die Sicherheit Israels oberste Priorität.Das bedeutet zwangsläufig einen harten Kurs gegen den Iran. Querschüsse gegen EU, UNO und andere internationale Organisationen wären wahrscheinlich auch zu erwarten. Und Pence würde einen harten Kurs gegen China und Russland fahren.

Sein größtes Handicap wäre aber, dass er nicht zu sehr vom Trump’schen Kurs abweichen könnte. Denn Mike Pence fühlt sich der Agenda des gewählten Präsidenten verpflichtet und in den Schlüsselpositionen im Weißen Haus sitzen Trump-Vertraute. Das bedeutet, dass ein kompletter politischer Richtungswechsel nur schwer durchführbar wäre. Sollte Mike Pence also tatsächlich zum Zug kommen, wäre seine Präsidentschaft in den nächsten Monaten mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fortsetzung der Trump’schen Politik – allerdings ohne Twitter.