Der Libanon kämpft mit seiner größten Krise seit 30 Jahren. Die Stimmen mehren sich, dass die Lage jetzt sogar schlimmer sei, als im 15 Jahre dauernden Bürgerkrieg. Die einstige "Schweiz des Orients" ist wirtschaftlich und politisch ausgeblutet, die Armut hat längst auch die Mittelschicht erreicht.

Es ist erst wenige Wochen her, dass der 85-jährige Präsident Michel Aoun die politische Elite zu einem nationalen Krisentreffen zusammenrief. Gleich mehrere frühere Premiers boykottierten die Runde und sprachen von Zeitverschwendung. Über dem Land liege ein „Klima von Bürgerkrieg“ erklärte Staatschef Aoun daraufhin.

Präsident ist Christ, Regierungschef Sunnit

Die libanesische Regierung muss allen im Land vertretenen Konfessionen politische Repräsentation einräumen, dies ist ein Vermächtnis der französischen Kolonialherrschaft. Im politischen System des Libanon sind die Spitzenposten unter den wichtigsten Religionsgruppen aufgeteilt. So ist der Präsident ein Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.

Anders als die anderen führenden christlichen Politiker im Libanon entstammt Michel Aoun nicht einer der einflussreichen Familien, er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Nach dem Studium an der Militärakademie in Beirut wurde er Offizier und stieg während des Bürgerkriegs im Alter von 48 Jahren zum jüngsten Oberbefehlshaber der libanesischen Armee auf.

Jahre im Exil

Wegen seines Widerstandes gegen das Friedensabkommen von Taif zwang ihn die syrische Besatzungsarmee 1990 allerdings zur Flucht ins französische Exil. Die jungen christlichen Libanesen, die vor allem im Bürgerkrieg aufgewachsen waren, aber teilweise auch muslimische Libanesen protestierten vehement für den damals so populären "General", woraus eine politische Bewegung entstand.

Erst 2005, nach dem Rückzug der syrischen Armee, kehrte Aoun in den Libanon zurück. Seitdem stellt die Freie Patriotische Bewegung, deren Vorsitzender er ist, die größte christliche Fraktion im Parlament. 2006 ging sie ein Bündnis mit der vom Iran unterstützten schiitischen Hisbollah ein, womit nach Aouns Ansicht ein christlich-muslimischer Bürgerkrieg verhindert werden konnte.

Seit dem 31. Oktober 2016 ist Michel Aoun Präsident des Libanon.  Nach dem Rücktritt Saad Hariris in Folge der Proteste im Libanon 2019 kam dem dreifachen Vater eine Schlüsselrolle bei der Bildung einer neuen Regierung zu.

Nach der Explosionskatastrophe in Beirut rief Michel Aoun nun eine Dringlichkeitssitzung des Kabinetts ein, um die Ursachen zu klären. "Ich werde nicht ruhen, ehe ich den Verantwortlichen kenne und ihm die härsteste Strafe gebe", erklärte er zu Beginn der Sitzung.