"Alles war wie auf einer Bühne: der schrei­en­de Mob, über dem aus den Fens­tern des Volks­hau­ses die Flam­men zün­gel­ten. Für mich war es das Ende der Welt. Ich be­griff, dass ich als Slo­we­ne ver­schwin­den soll­te und meine Mut­ter­spra­che nicht mehr spre­chen durf­te. Das war, als ob man mir das Leben neh­men würde.“ Mit die­sen ein­dring­li­chen Wor­ten be­schrieb der da­mals 101-jäh­ri­ge Boris Pahor im Jahr 2014 im Ge­spräch mit der Klei­nen Zei­tung die Brand­schat­zung des slo­we­ni­schen Volks­hau­ses auf der Piaz­za Ober­dan in Tri­est.

Der Schrift­stel­ler Boris Pahor er­leb­te als sechs­jäh­ri­ger Bub den Brand des slo­we­ni­schen Volks­hau­ses in Tri­est am 13. Juli 1920 mit
Der Schrift­stel­ler Boris Pahor er­leb­te als sechs­jäh­ri­ger Bub den Brand des slo­we­ni­schen Volks­hau­ses in Tri­est am 13. Juli 1920 mit © Wolfgang Zajc

Die von den Fa­schis­ten am 13. Juli 1920 ver­üb­te Untat, die der slo­we­ni­sche Schrift­stel­ler als Bub mit­er­leb­te, bil­de­te den Auf­takt zur grau­sa­men Ita­lia­ni­sie­rung sei­ner Hei­mat­stadt durch Mus­so­li­nis Schwarz­hem­den. Für Pahor, den die Nazis im Zwei­ten Welt­krieg wegen sei­ner Zu­ge­hö­rig­keit zum slo­we­ni­schen Wi­der­stand auf eine Höl­len­fahrt durch die To­des­la­ger schick­ten, dau­er­te es viele Jahre, bis er sich vom „töd­li­chen Nebel“ der grau­en­haf­ten Stim­mung be­frei­en konn­te, die sich an die­sem Ju­li­n­ach­mit­tag in sein Be­wusst­sein ein­ge­fres­sen hatte.

Doch erst am gest­ri­gen Mon­tag, auf den Tag genau 100 Jahre spä­ter, hat die Ge­schich­te, so­weit das mög­lich ist, dann doch noch ein gutes Ende ge­fun­den. Da wurde der Nar­od­ni dom im Bei­sein der Staats­prä­si­den­ten von Ita­li­en und Slo­we­ni­en fei­er­lich an die slo­we­ni­sche Min­der­heit von Tri­est zu­rück­ge­ge­ben. Und Boris Pahor wurde mit den höchs­ten Orden bei­der Län­der ge­ehrt. Er widme die Aus­zeich­nun­gen allen Toten der Dik­ta­tu­ren, die er sel­ber er­lebt habe: „Es sind so viele, so viele.“

Das ausgebrannte slowenische Volkshaus in Triest

„Die Ge­schich­te lässt sich nicht aus­lö­schen, das Leid der Men­schen die­ses Land­strichs wird nie ver­ges­sen“, sagte Ita­li­ens Prä­si­dent Ser­gio Mat­ta­rel­la. Das Un­recht wurde wie­der­gut­ge­macht, der Ge­rech­tig­keit ge­dient, mein­te sein slo­we­ni­scher Amts­kol­le­ge Borut Pahor.

Keine gemeinsame kollektive Erinnerung

Um den hohen Sym­bol­wert der Re­sti­tu­ti­on zu er­mes­sen, muss man wis­sen, dass in Tri­est kaum etwas so um­strit­ten ist wie die Er­in­ne­rung. Eine „un­si­che­re Pe­ri­phe­rie“ hat der His­to­ri­ker Giam­pao­lo Val­de­vit die ehe­mals ös­ter­rei­chi­sche Ha­fen­stadt ge­nannt, zu deren tra­gi­scher Ge­schich­te nicht nur der Ter­ror der Fa­schis­ten und nach der Ka­pi­tu­la­ti­on Ita­li­ens 1943 die Ver­bre­chen der deut­schen Be­sat­zer ge­hö­ren, son­dern eben auch die Gräu­el von Titos Par­ti­sa­nen.

Vier­zig Tage trie­ben sie im Früh­jahr 1945 in Tri­est ihr Un­we­sen. Es waren düs­te­re Wo­chen, in denen un­zäh­li­ge ita­lie­ni­sche Zi­vi­lis­ten für immer in den tie­fen Karst­höh­len des Hin­ter­lan­des ver­schwan­den. Diese be­rüch­tig­ten „Foibe“ ste­hen seit­her im Mit­tel­punkt eines er­bit­ter­ten Kul­tur­kamp­fes um die Er­in­ne­rung, der nicht nur Slo­we­nen und Ita­lie­ner spal­tet, son­dern auch in­ner­halb Ita­li­ens tobt. Wäh­rend die Linke stets die Op­fer­zahl klein­re­de­te, spricht die Rech­te gar von Völ­ker­mord.

Doch Rom und Lai­bach woll­ten am gest­ri­gen Tag auch die­sen Streit be­er­di­gen. Zum ers­ten Mal ver­neig­ten sich die Staats­ober­häup­ter bei­der Län­der in Ba­so­viz­za ge­mein­sam erst am Ein­gang eines der grau­si­gen To­des­schlün­de vor den Er­mor­de­ten der Foibe, um we­ni­ge Meter wei­ter dann fünf slo­we­ni­scher Wi­der­stands­kämp­fer zu ge­den­ken, die die Fa­schis­ten 1930 nach einem Schau­pro­zess hin­ge­rich­tet hat­ten. Und um diese Stern­stun­de der Aus­söh­nung für je­der­mann zu ver­deut­li­chen, hiel­ten sie wie einst Hel­mut Kohl und François Mit­ter­rand in Ver­dun dabei ein­an­der an der Hand.