„Neue Gesichter, neue Talente“ hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versprochen und das schnell. Ganz so flott ging es dann doch nicht. Erst am frühen Montagabend stand endlich die Regierungsmannschaft fest von Frankreichs neuem Premierminister Jean Castex. Und das Erste, was einem bei der neuen Mannschaft einfällt, ist Shakespeare: Viel Lärm um nichts.

Am heutigen Dienstag nahm die neue Regierung dann doch ihre Arbeit auf, es gab die erste Kabinettssitzung: Die 16 Ministerinnen und Minister wurden in ihre Ämter eingeführt. Dem Kabinett unter Premierminister Jean Castex gehören jeweils acht Frauen und Männer an.

Kritik gab es an der Ernennung des bisherigen Haushaltsministers Gérald Darmanin zum neuen Innenminister. Die Justiz ermittelt gegen den 37-Jährigen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung. Vor der Amtsübergabe protestierten rund 20 Frauenrechtlerinnen vor dem Innenministerium. Sie skandierten "Ein Vergewaltiger im Innenministerium, ein Komplize der Justiz".

Aus dem Umfeld Macrons hieß es, die Ermittlungen seien "kein Hindernis", da Darmanin nicht offiziell von der Justiz beschuldigt sei. Der Minister selbst bestreitet die Vorwürfe einer früheren Prostituierten. Darmanin löst den bisherigen Innenminister Christophe Castaner ab, der wegen der Gewalt in der "Gelbwesten"-Krise unter Druck geraten war.

Neue Regierung, viele bekannte Gesichter

Die neue Regierung, mit der Macron gleichzeitig die Post-Corona-Wirtschafskrise zu lösen versucht und die ökologische Wende durchsetzen will, ist vorwiegend konservativ. Viele Gesichter bleiben gleich, einige Minister verlieren oder gewinnen an Kompetenz. Gehen mussten lediglich der umstrittene Innenminister Christophe Castaner und die nicht weniger unbeliebte Justizministerin Nicole Belloubet.

Wichtigster Minister der französischen Regierung ist der Sozialist Jean-Yves Le Drian, der nicht nur Außenminister bleibt, sondern sich zusätzlich auch um Europa kümmern darf. Platz zwei nimmt die neue Umweltministerin Barbara Pompili ein, eine frühe Getreue des Präsidenten, die eine der ersten Ministerinnen unter François Hollande war, die sich Macron angeschlossen hatte.

Pompili hatte 2015 die französischen Grünen (EELV) verlassen, die sie zu links fand und deren antiliberalen Positionen sie als realitätsfern kritisierte. Zwischenzeitlich hatte sie eine eigene Partei gegründet, später ist sie Macrons Regierungspartei LREM beigetreten und ins Parlament gewählt worden. Pompili war dann aber mutig genug, von der Parteilinie abzuweichen. So stimmte sie beispielsweise gegen den verlängerten Einsatz von Glyphosat. Innerhalb Macrons Mehrheitspartei hat sie mit „En Commun“ eine neue „soziale und ökologische“ Strömung gegründet, der sich 46 Abgeordnete angeschlossen haben.

Die einzige Überraschung der neuen Regierung ist der Rechtsanwalt Eric Dupond-Moretti, Frankreichs bekanntester Strafrechtsanwalt, der zuletzt Abdelkader Merah verteidigt hat, den Bruder des Terroristen Mohamed Merah.

Frankreichs neuer Justizminister Eric Dupond-Moretti
Frankreichs neuer Justizminister Eric Dupond-Moretti © AFP

Dupond-Moretti, der auch schon einmal vor die Kamera geht und in Fernsehfilmen mitspielt, wird in Frankreich nur der „Acquittator“ genannt, von „acquitter“, freisprechen. Er ist eine Art Terminator-Anwalt, der selbst in den unwahrscheinlichsten Fällen Freisprüche erwirkt. Vielleicht erhofft sich Macron von ihm, dass er auch die Bürgerinnen und Bürger überzeugt und mit der Justiz versöhnt.

Einige Getreuen von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy sind auf wichtige Posten befördert worden. Darunter nicht nur Ex-Finanzminister Gérald Darmanin, der das wichtige Amt des Innenministers bekommt. Auch das Portfolio von Wirtschaftsminister Bruno Le Maire wächst an. Er ist in Zukunft auch für die Finanzen und den Aufschwung verantwortlich. Roselyne Bachelot wird Kulturministerin. Ein Kommentator wertet das als Versuch, sich die konservative Mitte zu sichern: „Macron ist dabei, den Sarkozysten Honig ums Maul zu schmieren“, so Serge Rafy vom linken Nachrichtenmagazin „L’Obs“.

Für Regierungschef Castex dürfte es kein Problem sein, diese neue-alte Mannschaft auf Linie zu halten. Castex, ein unbekannter Provinzpolitiker mit dem charmanten Akzent des Südwestens, gleichzeitig ein brillanter Technokrat und treuer Staatsdiener, war bis zu seiner Nominierung ein unbeschriebenes Blatt, wie eine Meinungsumfrage gezeigt hat. Dreiviertel der Befragten hatten seinen Namen zuvor noch nie gehört. „Ich habe das Amt nicht angetreten, um im Rampenlicht zu stehen. Ich bin hier, um Resultate zu liefern“, kontert der der Betroffene. Wenn überhaupt war der 55-Jährige den Franzosen als „Monsieur Déconfinement“ bekannt, als Manager der schrittweisen Lockerung der Ausgangssperre.

Castex ist ein klassischer Konservativer, der aber lediglich als Bürgermeister gewirkt und nie eine größere Aufgabe in seiner Partei „Les Républicains“ (LR) angestrebt hat. Aus dieser ist er kurz vor seiner Nominierung ausgetreten. Beobachter sind sich in ihrer Analyse deshalb einig: Castex ist politisch profillos und deshalb nur die Marionette von Macron.  Es sei kein Anliegen des Staatschefs, aus ihm einen „Untergebenen zu machen, der sich nur zweitrangigen Aufgaben widmet“, wehrt sich Castex gegen solche Unterstellungen.

Doch mit der Nominierung eines No-Name-Kandidaten hat Macron das ohnehin geschwächte Amt des Premierministers de facto abgeschafft. Er ist nun selbst Staats- und Regierungschef in Personalunion. In Macrons Umfeld scheut man sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. „Macron wird fortan Präsident und Premierminister in einem sein“, ließ sich ein Vertreter der Regierungspartei „La République en Marche“ (LREM) anonym zitieren. „Der Präsident will in den nächsten zwei Jahren alleine regieren“, zitiert wiederum „Le Monde“ die Worte eines anderen Macron-Vertrauten.

Sowohl Paris als auch Provinz

Mit etwas Abstand betrachtet hat Macron mit Castex eine Idealbesetzung für sein politisches Leitmotiv des „sowohl als auch“ gefunden. Das gilt vor allem für den Hauptwiderspruch Frankreichs: den tiefen Graben zwischen Hauptstadt und abgehängten Regionen. Castex ist beides, sowohl Paris als auch Provinz. Er ist einerseits hoher Staatsbeamter, der den Zentralstaat kennt wie seine Westentasche; andererseits war er zwölf Jahre lang Bürgermeister des südwestfranzösischen Städtchens Prades und kann von sich stolz behaupten, mit allen 6000 Bürgerinnen und Bürgern seiner Kommune gesprochen zu haben.

Das „sowohl als auch“ gilt auch politisch, wenn auch erst beim zweiten Blick hinter die Kulissen. Denn Castex mag zwar ein klassischer Konservativer sein, der 2011 für Nicolas Sarkozy als Präsidentenberater im Elysée tätig war, aber Macron hat ihm einen engen Freund als Kabinettschef vor die Nase gesetzt: Nicolas Revel.

Revel sei der eigentliche Premierminister, wird in Paris geunkt. Der Sohn zweier bekannter Schriftsteller- und Journalisten, Enkelsohn der berühmten Schriftstellerin Nathalie Sarraute, und Halbbruder des Zen-Mönchs Matthieu Ricard, gilt als links und als Garant für Macrons soziale Wende.

Mit diesem Duo setzt der Präsident ein deutliches Signal: Er will 2022 wieder antreten. Und er will gewinnen. Anstatt nach der Wahlschlappe seiner Partei bei den Kommunalwahlen den jungen, urbanen Wählern der „grünen Welle“ die Hand zu reichen, konzentriert sich Macron ganz auf das Mitte-Rechts-Spektrum, wo in Frankreich die Mehrheit zu holen ist.