Andrzej Duda kämpft. Beherzt. Mitunter aggressiv. Gelegentlich schießt er sogar scharf, wenn auch nur verbal. In der Kreisstadt Bytow zum Beispiel, in der nordpolnischen Provinz.  „Marionette“, ruft dort ein Mann dem Präsidenten zu, der auf Wahlkampftour ist. „Sie unterschreiben doch alles, was der Vorsitzende will.“ Gemeint ist Jaroslaw Kaczynski, der mächtige Chef der rechtsnationalen Regierungspartei PiS, als deren Kandidat Duda vor fünf Jahren in den Präsidentenpalast einzog. Nun will er sich im Amt bestätigen lassen. Am letzten Juni-Sonntag wird gewählt. Also geht er auf den Störenfried zu, der ihm vorwirft, die PiS zerstöre die Unabhängigkeit der Justiz. Duda jedoch will von unpolitischen Richtern nichts wissen: „Meinen Sie etwa diese Kommunisten? Die haben uns doch während des Kriegsrechts in den 80er Jahren verurteilt. Machen Sie keine Witze.“

Lustig ist das tatsächlich nicht.Darin immerhin sind sich die meisten Menschen im politisch tief gespaltenen Polen einig, wenn auch von entgegengesetzten Standpunkten aus. Denn seit die PiS 2015 die Präsidenten- und die Parlamentswahl gewonnen hat, baut sie das Land um. In einen autoritären, antiliberalen Staat, sagen die einen. So sieht es die Opposition in Warschau, aber auch die EU-Kommission in Brüssel, die ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet hat. Kaczynski, Duda und die Anhänger der PiS dagegen sind überzeugt, die Nation vor einer „Rekommunisierung“ schützen zu müssen und mehr noch vor einer hyperliberalen Ideologie, die sich „neobolschewistischer“ Methoden bediene.

Im Visier

So sagt es Duda, als er wenige Tage nach seinem Auftritt in Bytow wieder scharf schießt. Im niederschlesischen Brzeg nimmt er die LGBT-Bewegung ins Visier, die sich weltweit für gleiche Rechte von Homosexuellen und Transgender einsetzt. Duda setzt im Wahlkampf noch eins drauf: „Wenn diese Ideologie in die Schulen geschmuggelt wird, um das Weltbild unserer Kinder während ihrer Sexualisierung zu verändern, dann widerspricht das der tiefsten Logik des Erwachsenwerdens.“

"Hasspropaganda"

Linke und liberale Medien und Nichtregierungsorganisationen nennen so etwas „Hasspropaganda“. An Dudas Hände werde nach diesem Wahlkampf „Blut kleben“. Damit spielen sie auf frühere brutale Angriffe von Rechtsradikalen auf LGBT-Aktivisten an. Die Gewalttäter könnten sich nun sogar auf den Präsidenten berufen. Oder auf Aussagen des rechtskonservativen Sejm-Abgeordneten und Duda-Unterstützers Jacek Zalka: „Homosexuelle und Transgender sind keine Menschen, sondern Angehörige einer Ideologie.“ Und schon ist man mitten drin in jenen extrem scharfen politischen Kämpfen, die Beobachter in Warschau seit Jahren als „polnisch-polnischen Krieg“ bezeichnen.

Eskalation durch Corona

Die erneute Eskalation in diesem Frühsommer wäre allerdings ohne die Corona-Pandemie kaum denkbar. Denn noch im März sah alles nach einem klaren Sieg des Amtsinhabers bei der Wahl aus, die ursprünglich für den 10. Mai terminiert war. Zumal sich Duda zu Beginn der Pandemie als Krisenmanager profilieren konnte. Doch dann wuchsen auch im Regierungslager die Zweifel an einer Abstimmung unter Corona-Bedingungen. Als PiS-Chef Kaczynski auf einen offenen Verfassungsbruch setzte, um Dudas Sieg mit einer reinen Briefwahl zu sichern, eskalierte der Streit. Die Regierung stand kurz vor dem Zusammenbruch – und verschob die Wahl schließlich auf den 28. Juni, unter Umgehung der zentralen Verfassungsorgane.

Der Hinterzimmerdeal schadete der PiS massiv. Die Opposition nutzte die Lage, um sich neu aufzustellen. Der liberale Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski sammelte innerhalb kürzester Zeit 1,6 Millionen Unterschriften für eine Kandidatur. Und wenn die Umfragen für die aktuell noch elf Kandidaten nicht täuschen, dürfte der 48-jährige Trzaskowski den gleichaltrigen Duda in eine Stichwahl zwingen. Für ein solches Duell prophezeien die Demoskopen dann ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit leichtem Vorteil für den Amtsinhaber, der aber im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit rund zehn Prozent verloren hat. Der einst so siegessichere Duda agiere deshalb „immer nervöser“, urteilte die gemäßigt-konservative Zeitung „Rzeczpospolita“.

Auf der Ziellinie helfen soll ihm eine Kurzvisite bei Donald Trump in Washington, dem er weltanschaulich nahe steht. Der US-Präsident wollte den polnischen Kollegen an diesem Mittwoch im Weißen Haus empfangen. Dabei soll es unter anderem um die Stationierung weiterer US-Marines in Polen gehen. Ein Seitenhieb auf Deutschland, wo Trump Soldaten abziehen will, kommt auch Duda gelegen. Denn bei seinen nationalistischen Anhängern sind die Vorbehalte gegen den Nachbarn im Westen groß. Vor allem aber helfen außenpolitische Schlagzeilen dem PiS-Kandidaten, von der Corona-Wirtschaftskrise im Innern abzulenken. Die Pandemie ist in Polen zwar bislang recht glimpflich verlaufen. Von rund 32.000 Infizierten sind knapp 1400 Covid-19-Patienten gestorben. Dennoch hat das Wirtschaftswunder der vergangenen Jahre ein jähes Ende gefunden.

Ökonomischer Einbruch

Dem Land steht der schlimmste ökonomische Einbruch seit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft nach 1989 bevor. Und die Erinnerungen an den Kollaps sind noch so lebendig, dass in Polen nicht nur die Angst vor dem Virus allgegenwärtig ist, sondern auch die Furcht vor einem neuen Niedergang. Leszek Balcerowicz etwa, der erste postkommunistische Finanzminister und Vater der Radikalreformen von 1990, prophezeit der PiS schwere Zeiten: „Die teuren Sozialprogramme der vergangenen Jahre werden bald nicht mehr zu finanzieren sein.“ Gemeint sind die erstmalige Einführung eines Kindergeldes in Polen, die Rücknahme der Rente mit 67 und eine Steuerbefreiung für Berufseinsteiger.

Mit ihrer populären Sozialpolitik gewann die PiS im vergangenen Jahr die Parlamentswahl. Duda versucht daran anzuknüpfen. Für jedes Kind soll es ein einmaliges Corona-Feriengeld von gut 100 Euro geben. So steht es in der Familien-Charta des Präsidenten, auf die sein Wahlkampf zugeschnitten ist und mit der er zugleich die „Institution der Ehe als Verbindung von Mann und Frau verteidigen“ möchte. Das zielt direkt auf Trzaskowski, der sich nach seinem Amtsantritt als Warschauer Oberbürgermeister für gleiche Rechte homosexueller Paare eingesetzt hat. Im strukturkonservativen Polen, in dem selbst Solidarnosc-Legende Lech Walesa schon einmal homosexuelle Abgeordnete im Sejm „hinter eine Mauer verbannen“ wollte, dürfte er damit allerdings kaum punkten können.

"Polen hasst den Hass"

„Es war eine kluge Strategie von Duda, auf die Familien-Charta zu setzen“, urteilt die „Rzeczpospolita“. Ob das allerdings in Pandemie-Zeiten reiche, sei offen. Zumal Trzaskowski mit einer für polnische Verhältnisse ungewöhnlichen Strategie kontert: Er setzt auf Einheit. „Polen hasst den Hass“, lautet ein Slogan des Herausforderers. An alle PiS-Anhänger appelliert er: „Seht in mir nicht euren Feind, denn ich bin nicht euer Feind. Auch bei der einzigen TV-Debatte aller elf Kandidaten trat Trzaskowski betont zurückhaltend auf. Als ihn die Moderatoren des regierungsnahen Senders TVP die Frage nach der „Homo-Ehe“ festzunageln versuchten, antwortete er ruhig: „Das steht so in meinem Programm. Allerdings scheint mir in einer Zeit, da die Welt wegen der Corona-Pandemie Kopf steht, anderes wichtiger zu sein.