Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Kleine Zeitung mit beträchtlichen Schwierigkeiten wiedergegründet wurde, setzten sich die Verantwortlichen hehre Ziele: Diese Zeitung musste unabhängig sein von politischen und wirtschaftlichen Machtgruppen; sie sollte die Zeitläufte nach christlichen Wertvorstellungen beurteilen, freilich ohne deshalb als Sprachrohr der Hierarchie zu dienen – und dieses Blatt sollte auch „alle Bemühungen unterstützen, die auf den Ausbau der parlamentarischen Demokratie abzielen“.

So formulierte es Fritz Csoklich in der Festschrift „200 Jahre Tageszeitung in Österreich 1773–1983“. Quasi als eine Art selbstbewusste Kurzanleitung zur Verwirklichung dieses Anspruchs fügte er hinzu: „Sie sollte den Gedankenaustausch zwischen allen wichtigen geistigen Strömungen der Zeit pflegen, eine Grenze aber dort ziehen, wo totalitäre Ideologien direkt oder indirekt die Unterdrückung Andersdenkender zum Ziel haben.“

Jüngster Chefredakteur

Als Fritz Csoklich mit 30 Jahren nach abgeschlossenem Germanistik- und Geschichtsstudium und einer Schnupperlehre bei einigen deutschen Blättern Redaktionsleiter der „Kleinen Zeitung“ wurde, war er der jüngste Chefredakteur der Tageszeitungen in Österreich. Und als er 1994 in Pension ging, war er der längstdienende der Branche.

Als Vertreter des Jahrgangs 1929 war er zu jung, um Soldat in der Hitler-Wehrmacht zu werden, aber alt genug, um die für das ganze Leben prägenden Erfahrungen dessen zu machen, was ein totalitärer Staat ist: So verlor zum Beispiel gleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich 1938 sein Vater aus politischen Gründen seinen Posten als Angestellter der Nationalbank.

Während des Krieges, in dem die Wohnung der Eltern durch einen Bombenangriff zerstört wurde, hatte er ein Schlüsselerlebnis: Er machte als Heranwachsender Bekanntschaft mit der Freiheit, und zwar in den Seelsorgestunden der Pfarre Wien-Gumpendorf. Sogenannte Seelsorgestunden gestattete das NS-Regime als Ersatz für den abgeschafften Religionsunterricht.

Ungarnrevolte formte Demokratiebewusstsein

Csoklich schilderte die anregende Atmosphäre dort später im Rückblick so: „Hier fanden wir das offene Wort über alle Fragen, die uns interessierten, hier entdeckten wir eine Kirche, die wir als jung und begeisternd empfanden, und die Radikalität eines Christentums ohne klerikalen Zungenschlag, die uns bisher unbekannt geblieben war.“
Dieses Verständnis vom eigentlichen Begriff des Katholischen, das der Pater in Gumpendorf den Jungen mitten im Krieg, unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur vermittelte, nämlich frei, weltoffen und universal, hat Fritz Csoklich verinnerlicht. Er hat versucht, es als Chefredakteur in die Tat umzusetzen, und er gab es weiter an seine junge, journalistisch unerfahrene, aber experimentierfreudige Redaktion. Freimut, kombiniert mit redaktionellem Freiraum, samt einer gewissen Unbefangenheit erwiesen sich jedenfalls als recht erfolgreiches Konzept für die Entwicklung der Kleinen Zeitung.

Ein zweites Ereignis, das sein Demokratiebewusstsein formte, war die Ungarnrevolte 1956. Er erlebte als junger Zeitungsreporter die Dynamik einer Freiheitsbewegung mit, ehe sie von sowjetischen Panzern blutig niedergewalzt wurde. Immer wieder wurde er in den Straßen von Budapest damals angesprochen und gefragt: „Haben Sie eine Zeitung, haben Sie Nachrichten. Wie steht es um uns? Sagt dem Ausland, was hier geschieht …“

Er empfand das als Mahnung, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist und Pressefreiheit eines ihrer unverzichtbaren Güter.

Erstes Volksbegehren

Und als er dann schon ein paar Jahre Chefredakteur war, kam es zum ersten Volksbegehren in Österreich, bei dem Csoklich führend beteiligt war. Hugo Portisch, Chefredakteur des „Kurier“ und Bruno Flajnik, Chef der „Wochenpresse“, hatten die Idee, mit einem Zusammenschluss der unabhängigen Zeitungen in Österreich (schließlich waren es 52) das Volk zu aktivieren, um die Dominanz der Parteien im öffentlich-rechtlichen Medium zu beenden. Dem lähmenden Proporz wurde der Kampf angesagt, er war zu einem Geschäftswesen nach dem Gegenseitigkeitsprinzip verkommen. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk war das auf die einfache Formel „Schwarze Welle – roter Schirm“ gebracht worden.

Fritz Csoklich sagte spontan die Teilnahme der Kleinen Zeitung zu und wurde als energischer Werber für das Volksbegehren bei den Kollegen der Bundesländerpresse zu einer Art Bindeglied zwischen Wien und den Ländern. Er saß auch im achtköpfigen Exekutivkomitee des Volksbegehrens, das gleich zu Beginn seiner Arbeit in einer programmatischen Erklärung feststellte: „Wir halten unsere Aktion für einen Beitrag zur Festigung der Demokratie in unserer Republik.“

Für die Kleine Zeitung bedeutete der große Erfolg dieses Rundfunk-Volksbegehrens im Herbst 1964 den ersten Durchbruch auf eine überregionale Ebene. Der Chef des Blattes war aber auch überzeugt, dass diese „Explosion unvermuteter Zivilcourage“ (Csoklich in einem Kommentar) schon das Ende der Großen Koalition vorwegnahm.
Demokratiepolitisch war dieses Volksbegehren ein entscheidender Fortschritt: Es brachte nicht nur einen neuen ORF mit einer selbstbewussten unabhängigen Redaktion unter dem neuen Generalintendanten Gerd Bacher, sondern es leitete auch einen politischen Wandlungsprozess ein: Am 6. März 1966, schon eineinhalb Jahre nach diesem Aufbegehren, erhielt die ÖVP nach vorgezogenen Neuwahlen die absolute Mehrheit. Freilich nach eingehender Selbstbeschädigung der SPÖ (Stichwort „Fall Olah“).

Tabubruch Alleinregierung

Plötzlich war auch eine Alleinregierung möglich, für österreichische Verhältnisse ein Tabubruch. Mit Kanzler Klaus kam ein Politiker an die Macht, dessen Regierung die Reformideen des Volksbegehrens schließlich umsetzte. Und auf ihn folgte die Ära Kreisky. Kreiskys Alleinregierung dauerte 13 Jahre.

Eine weltoffene „Massenzeitung mit geistigem Profil“, die angestrebt war, bedeutete zunächst einen Ausbruch aus der Provinz. So wurde 1959 die Wiener Redaktion gegründet und etwas später in Bonn die erste Auslandsredaktion. In der journalistischen Praxis bedeutete dieser Anspruch einen täglichen Seiltanz – Abstürze inbegriffen.

Die Weltoffenheit musste sich aber auch in Taten beweisen, zum Beispiel in vielfältigen Kontakten und Debatten, einschließlich Leserparlamenten.
Zu einer großen, von der Kleinen Zeitung initiierten Diskussion kamen zum Beispiel Ende der 60-Jahre mehr als Tausend Leute in den Stadtsaal des „roten Bruck“. Thema war „Christentum und Sozialismus“. Welche Barrieren aus der Vergangenheit der Zwischenkriegszeit sich damals einem Brückenschlag entgegenstellten, beweist ein Detail: Ein Arbeiter stürzte zum Podium und rief dem Diskutanten Bruno Kreisky erregt zu: „Lass dich doch nicht von denen täuschen, die haben ja nur eine neue Frisur.“

Barriere abbauen

Fritz Csoklich wollte, wo es ihm möglich war, Barrieren abbauen. Und er scheute dabei auch unkonventionelle Mittel und Experimente nicht. So tastete er zum Beispiel Anfang der 70er-Jahre die Grenzen seiner Freiheit ab und lud einen prominenten Journalisten der Zagreber Zeitung „Vjesnik“ ein, eine regelmäßige Kolumne in der Kleinen Zeitung zu verfassen.
Das war kein ideologischer Brückenschlag zum Kommunismus, sondern Teil seines beharrlichen Bemühens, über Grenzen hinweg auch mit ideologischen Gegnern im Gespräch zu bleiben. Die Vorleistung der Einseitigkeit wagte er, weil er hoffte, dass in ferner Zukunft vielleicht auch einmal ein österreichischer Journalist im „Vjesnik“ würde schreiben dürfen …

Als die Zukunft noch groß zu sein schien, glaubte er an den Aufbruch zu „neuen Grenzen“, zu dem der junge amerikanische Präsident John F. Kennedy aufgerufen hatte. Er war auch begeistert von den Reformbestrebungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Doch Fritz Csoklich war lange genug Chefredakteur, um auch noch die Wellentäler mitzuerleben, die den Aufbrüchen folgten.

Dennoch ist er immer Optimist geblieben, ein unverwüstlicher, aber kein überschwänglicher. Er pflegte den reifen Optimismus eines Realisten. Und den heute besonders heftig grassierenden Versuchungen der Angst und der Gleichgültigkeit setzte er die unbekannteste der Tugenden entgegen – die Hoffnung.