Haben Sie einen Bezug zu Peter Handke?
SEBASTIAN KURZ: Als Österreicher bin ich irrsinnig stolz. Und es ist eine beeindruckende Auszeichnung für ihn. Aber auch für das Literaturland Österreich.

Aber einen persönlichen Bezug haben Sie nicht?
Er ist ein umstrittener Geist, aber als Literat unumstritten. Und auch eine spannende Persönlichkeit. Werke wie die „Publikumsbeschimpfung“ sind einzigartig.

Umstrittener Geist bezieht sich auf Serbien und Milosevic?
Ja.

Kommen wir zur Regierungsbildung: Die FPÖ wird wohl nicht in der nächsten Regierung sein. Bei der SPÖ weiß man es nicht so genau. Die Neos braucht man nicht. Bleiben die Grünen.
Es waren allesamt korrekte, gute Gespräche in ordentlichen Atmosphäre. Ich halte das auch für wichtig. Mein Ziel ist nicht nur die Bildung einer Regierung, wir sollten es auch schaffen, dass der politische Diskurs wieder sachlicher und niveauvoller wird nach diesem schmutzigen Wahlkampf. Was stimmt ist, dass die Bereitschaft in den Parteien, an einer Regierung mitzuwirken, unterschiedlich ausgeprägt ist. Die FPÖ hat klargemacht, dass sie in Richtung Opposition geht und nicht zur Verfügung steht. SPÖ, Grüne und Neos haben mir signalisiert, dass sie prinzipiell gerne in einer neuen Bundesregierung mitarbeiten würden.

Ist es denkbar, die Neos im Falle von Türkis-Grün in eine Regierung mit hinein zu nehmen?
Für mich sind alle Varianten denkbar.

Mit der SPÖ wird das atmosphärisch betrachtend eher auszuschließen sein.
Na ja, es stimmt, dass es von der SPÖ in Richtung ÖVP und meiner Person teils auch sehr persönliche Angriffe gab. Das Gespräch, das ich mit der Parteichefin geführt habe, war ein sehr ordentliches. Natürlich sind die Unterschiede zwischen unseren Parteien sehr groß. Es muss sich nun der Nebel lichten, wohin die Reise in den verschiedenen Parteien hingeht. Gerade bei der SPÖ ist einiges in Bewegung.

Mit Grünen-Chef Werner Kogler haben Sie zwei Stunden geredet. Haben sich da die Nebel schon gelichtet?
Ich habe ein sehr gutes Gespräch geführt. Mein Eindruck war, dass er klar ein Interesse daran hat, mitzugestalten. Dass es inhaltliche Unterschiede zwischen unseren beiden Parteien gibt, ist bekannt. Ich werde ab Donnerstag in vertiefte Gespräche einsteigen. Das bedeutet neben den Vier-Augen-Gesprächen mit den Parteichefs, dass es auch größere Runden geben wird. Um etwas tiefgehender inhaltliche Fragen zu diskutieren.

Kann man sagen, dass Sie zum heutigen Zeitpunkt nicht wissen, wer künftig Ihr Vizekanzler ist?
Ja, das stimmt.

Wie wird sondiert? Bis zur Steiermark-Wahl?
Die Steiermark-Wahl ist kein relevanter Faktor, sondern die Frage: Wann ist es so weit, beurteilen zu können, ob es Sinn macht, mit einer Partei in Regierungsverhandlungen einzutreten? Das wird einige Wochen dauern.

Ein Stolperstein mit den Grünen könnte die Migration sein. Ist es denkbar, dass die ÖVP in diesem Bereich nachgibt?
Ich möchte keine Regierungsverhandlungen über die Zeitungen führen. Allen Beteiligten ist klar, dass man für seine Positionen gewählt würde. Die Grünen für jene im Klima- und Umweltbereich. In Fragen der Migration gibt es bei uns eine sehr klare Haltung. Wie auch in der Wirtschaftspolitik.

Sie haben jetzt noch zusätzliche Wähler aus dem freiheitlichen Lager gewonnen. Würden Sie Ihre Wähler nicht vor den Kopf stoßen, wenn Sie mit den Grünen koalieren?
Wenn ich mit einigen unserer Wähler spreche, sagen manche zu mir: Bitte nicht noch einmal mit den Freiheitlichen! Nicht mit den Grünen! Und nicht mit der SPÖ! Also ja: Viele unserer Wähler würden sich eine ÖVP-Alleinregierung wünschen. Das ist auch wenig überraschend, aber das geht eben nicht. Wenn wir unser Programm mit einer stabilen Mehrheit im Parlament durchsetzen wollen, braucht es dafür einen Koalitionspartner. Wenn es gar keine Möglichkeit gibt, eine Koalition zu bilden, dann gäbe es allenfalls noch immer die Möglichkeit einer Minderheitsregierung – sollte eine andere Partei bereit sein, diese Minderheitsregierung im Parlament zu stützen. Aber das ist sehr hypothetisch, wir stehen erst ganz am Anfang der Sondierungsgespräche.

Im Wahlkampf der ÖVP hatte man den Eindruck, dass er holpriger verlief als 2017. Gibt es Lehren, die Sie daraus ziehen?
Ja, viele. Dass es mittlerweile eine irrsinnige Kluft gibt zwischen der veröffentlichten und der öffentlichen Meinung. Dass wir daher manchmal dazu neigen, uns mit Themen auseinander zu setzen, die für die Bevölkerung vollkommen irrelevant sind. Und wir oft die Themen vergessen, die die Ängste und Nöte der Bevölkerung sind. Dass man als Politiker immer aufpassen muss, dass man sein eigenes Gefühl, seine eigene Überzeugung behält und sich nicht durch irgendwelche Meinungsumfragen, Spins oder Tweets verbiegen lässt.  Und Themen aufzwingen lässt. Sondern das tun, was man für richtig hält. Wenn einer keine eigenen Überzeugungen, keinen inneren Antrieb mehr hat – das ist Gift für die Politik.

Der SPÖ geht es so wie jahrzehntelang der ÖVP. Hätten Sie einen Tipp für die SPÖ?
Ich habe keine Tipps für die Sozialdemokratie.

Wie sehen Sie den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien?
Ich halte das für absolut falsch. Ich verurteile das. Und ich hoffe sehr auf eine starke Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft. Und auch wir als Europäische Union dürfen da nicht einfach zusehen. Es sind die Menschen vor Ort die Leidtragenden. Aber auch wir in Europa werden dann gefordert sein, von den Konsequenzen, von neuen Flüchtlingsströmen. Ich halte das wirklich für fatal, was da gerade geschieht.

Hat Donald Trump einen Fehler gemacht?
Ich war in den vergangenen Monaten nicht Bundeskanzler und habe keinen aktuellen Kenntnisstand, wie die Kontakte zwischen der EU, Trump und der Türkei waren. Ich glaube aber nicht, dass es jetzt richtig wäre, sich auf Donald Trump zu stürzen. Derjenige, auf den Druck aufgebaut werden muss, der sitzt in der Türkei und der hat einen Namen, nämlich Erdogan.

Und wenn er dann die Schleusen öffnet – und das Flüchtlingsabkommen aufkündigt?
Wer sich erpressbar macht, der ist erpressbar. Wer sich von Erdogan erpressen lässt, der ist verloren. Es wäre absolut falsch, sich hier in eine Position der Schwäche zu begeben. Wir haben in unserer direkten Nachbarschaft mit der Türkei ein Land, das kein funktionierendes demokratisches System hat, wo politisch Andersdenkende massiv unterdrückt werden, wo offen mit Drohungen in Richtung der EU gearbeitet wird. Jetzt marschiert dieses Land sogar noch in Syrien ein. Und wir als EU führen mit diesem Land noch immer Beitrittsverhandlungen! Dieses Land erhält noch immer hunderte Millionen Euro von der EU als Annäherungsunterstützung. Ich glaube, es ist dringend an der Zeit, nicht nur die Rhetorik gegenüber der Türkei zu ändern, sondern den Worten auch Taten folgen zu lassen. Und massiven Druck aufzubauen.