Mittelmeer. Luxus. Ein konservativer Politiker, hübsche Frauen, Kokain, Korruption. Davon plötzlich Fotos und Videos im Internet, anonym verbreitet. Nein, es ist nicht das „Ibiza-Video“, das Heinz-Christian Strache zu Fall brachte. Ungarn hat jetzt sein eigenes Skandalvideo. Drehort: Eine Luxusjacht in der Adria, vor der kroatischen Küste. Hauptdarsteller: Drei junge Frauen und der Bürgermeister der westungarischen Stadt Györ, die zweitreichste Stadt Ungarns nach Budapest. Dort hat der deutsche Autobauer Audi eine große Fabrik.
Bürgermeister ist der einstige Olympionike Zsolt Borkai, von der Regierungspartei Fidesz. Am Sonntag sind Kommunalwahlen. Borkai will wiedergewählt werden, mit dem Slogan „Familienvater. Olympionike. Bürgermeister.“

Sex

Im Skandalvideo ist er in Begleitung dreier junger Frauen zu sehen. Zumindest mit einer hatte er Geschlechtsverkehr, davon zeugt ein Foto und ein Video. Es ist nicht seine Gattin. Vor zwei Wochen startete ein anonymer Blog mit dem Namen “Az ördög ügyvédje” (“Des Teufels Anwalt”) Enthüllungen anzukündigen. „Zunächst“ über Borkai, aber, so steht dort, letztlich über „die alles infizierende Korruption, deren Teil ich selbst leider auch war. Vielleicht beginnt nun ein unaufhaltsamer Prozess.“ Borkai sei nur der Anfang.

Lügen


Anspruch, Form und potenzieller Impakt gleichen also dem Ibiza-Video: Ein rechter Politiker, in so kompromittierender Lage gefilmt, dass es keine Ausreden geben kann, eine merkwürdig späte Veröffentlichung des Materials, getaktet um maximalen Impakt auf eine bevorstehende Wahl zu entfalten – dem Blog zufolge stammen die Aufnahmen vom Mai vergangenen Jahres.

Video

Das nährt Spekulationen in den Medien, dass es sich um eine professionell geplante Aktion von Oppositionskräften handeln könnte. Das vermutet etwa der Politologe András Szakács. Sein Argument ist das Timing und die Stadt: Borkai kann als Bürgermeisterkandidat so kurz vor der Wahl nicht mehr ersetzt werden. Fidesz droht somit die zweitreichste Stadt Ungarns zu verlieren.

Doch was der anonyme Blogschreiber über sich selbst angibt, deutet nicht auf einen politischen Coup hin. Er beschreibt sich als einen Rechtsanwalt, der eine zentrale Rolle spielte bei schmutzigen Geldgeschäften von Politikern der Regierungsseite. Er erwähnt Ministerien, Kickback-Zahlungen, Geldwäsche über eine Bank in China, ein Insider-Grundstückgeschäft mit Gelände, das später Audi kaufte um seine Fabrik auszuweiten. Daneben Freudenmädchen, Kokain, Bargeld in Tragetaschen. Kurzum, der Autor bezichtigt sich selbst diverser strafbarer Vergehen. “Aber wenn ich ins Gefängnis gehe, werde nicht nur ich dort landen”, droht er. Er habe alles dokumentiert.

Die Affäre ist nur eine von drei Video-Enthüllungen in diesem Wahlkampf, der so brutal geführt wird wie keiner zuvor. Der oppositionelle Bürgermeister des Budapester Vororts Budaörs, Tamás Wittinghoff, wurde ebenfalls heimlich beim Sex mit einer Prostituierten gefilmt. Und der Bürgermeister des Budapester Stadtteils Köbánya wurde dabei gefilmt, wie er über Schmiergelder spricht. Budapests Bürgermeister István Tarlos äußerte sich erschüttert von allen drei Skandalen, die er verurteilte. Am wenigsten aber treffe ihn die Angelegenheit um Borkai, “denn das ist nicht in Budapest”.