Donnerstag Vormittag auf der Wiener Taborstraße. Es ist sonnig im Viertel, das bekannt für seine zahlreichen jüdischen Einwohner ist. Ein 24-jähriger Mann geht auf zwei – an der Kleidung klar als Juden identifizierbare – Männer zu, die gerade ein koscheres Restaurant verlassen. Einer von ihnen ist ein Tourist aus Israel. Der Mann fragt die beiden nach einer Zigarette. Plötzlich beginnt er, auf die Männer einzuschlagen – und ruft „Saujuden“.

So beschreibt jener Zeuge, der die Polizei verständigt hat, den Vorfall, der seither hohe Wellen schlägt. „Die Männer haben geschrien, dass er verschwinden soll, aber er hat nicht aufgehört“, schildert der Zeuge – ein Mitarbeiter der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) – im Gespräch mit der „Kleinen Zeitung“. Die beiden Männer hätten sich gewehrt und zurückgeschlagen, bis der Mann umgedreht habe und Richtung Schwedenplatz gestapft sei. Am Ende der Taborstraße habe er einen jungen Mann angegriffen, „er ist ihm in den Rücken gesprungen“. Der Student trug Kippa und eine Tasche mit hebräischer Aufschrift. Beim Schwedenplatz wurde der Mann verhaftet.

Gegen den Angreifer wird nun wegen schwerer Körperverletzung und gefährlicher Drohung ermittelt, zudem wurde ein Sachverständiger für Psychiatrie bestellt. Das teilte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Da er vor dem Vorfall noch eine Frau attackiert habe, bei der es sich nicht um eine Jüdin gehandelt habe, könne die Staatsanwaltschaft kein antisemitisches Tatmotiv bestätigen. Die Polizei habe bisher nur angegeben, dass der Mann auf „wahllos ausgesuchte Opfer“ losgegangen sei. Ein offizieller Bericht der Exekutive stehe noch aus.

Nur "offensichtlichen Juden" angegriffen

Für den Tatzeugen sei das eine vollkommen unverständliche Aussage. „Ich bin ihm, während ich mit der Polizei telefoniert habe, in sicherer Entfernung gefolgt.“ Am Weg von seinem Angriff auf die beiden Männer bis zum jungen Mann mit der Kippa sei der Angreifer „an sicher hundert Passanten“ vorbeigegangen. „Angegriffen hat er aber nur jenen, der offensichtlich Jude war.“

Bereits am Donnerstagabend hatte der Vorfall die Politik erreicht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ließ via Twitter wissen, dass ein möglicher antisemitischer Hintergrund geprüft werde. Und auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sprach sich „für den Schutz unserer jüdischen Mitbürger“ aus.

Nach der jüngsten (von der FPÖ angeführten) Diskussion über eine Registrierung von Kunden, die koscheres Fleisch kaufen, scheint das ohnehin angespannte Verhältnis der Kultusgemeinde zum blauen Koalitionspartner nun noch schlechter. „Diese Woche war geprägt von politischen Angriffen gegen das Judentum und einer antisemitischen Attacke“, ließ IKG-Präsident Oskar Deutsch in einer Aussendung wissen. „In dieser Stimmung der Verunsicherung ist es wichtig, zu betonen, dass sich die jüdische Gemeinde sowohl politisch, juristisch als auch physisch zur Wehr setzt.“ Auch die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) verurteilte den Angriff gegen „jüdische Mitbürger“.