Für Kroatien ist der Weg für den Beitritt zum Schengenraum ohne Grenzkontrollen frei: Schon Anfang 2023 sollen die Grenzkontrollen an der kroatischen Grenze wegfallen. An den Flughäfen soll es ab Frühjahr keine Kontrollen mehr geben. Darauf konnten sich die zuständigen Minister der 26 Schengen-Staaten am Donnerstag verständigen. 

Der Weg für den Beitritt von Rumänien und Bulgarien wurde aber von den Niederlanden und vor allem von Österreich verhindert. Innenminister Karner begründet die Blockade mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich und fordert weitere Maßnahmen der EU-Kommission. "Es ist falsch, dass ein System, das an vielen Stellen nicht funktioniert, an dieser Stelle auch noch vergrößert wird", sagte Karner im Vorfeld des Treffens in Hinblick auf Rumänien und Bulgarien. Das bekräftigte er auch am Freitagmorgen nochmals: "Zunächst das System verbessern, dann das System vergrößern", so Karner im Ö1 Morgenjournal.  Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister. Karner sprach sich für eine Verschiebung der Abstimmung aus.

Baerbock: "Schlechter Tag für Europa"

Scharfe Kritik an dem Veto Österreichs gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens kommt aus den betroffenen Ländern. Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca stellte am Donnerstag in einer ersten Reaktion fest, "die Inflexibilität der österreichischen Bundesregierung beim besten Willen nicht nachvollziehen zu können". Wien habe mit "komplett falschen Zahlen" argumentiert. Bulgarien wertete das Votum als "politisch motiviert".

Noch weiter ging der Chef der regierenden Sozialisten und amtierende Präsident des Unterhauses, Marcel Ciolacu. Er warf Österreich nach dem Veto offen vor, "russische Interessen" bedient zu haben. Die österreichische Bundesregierung habe Kreml-Chef Wladimir Putin ein "unverhofftes Weihnachtsgeschenk" gemacht, wobei das "absurde und unfaire" Votum Österreichs "zweifelsfrei Konsequenzen" haben werde, sagte Ciolacu, der aufgrund einer per Koalitionsvertrag festgelegten Rochade an der Regierungsspitze im Mai kommenden Jahres aller Wahrscheinlichkeit nach das Amt des Premierministers übernehmen wird.

Österreichische Botschafterin einbestellt

Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu hat die österreichische Botschafterin in Bukarest, Adelheid Folie, am Donnerstagabend einbestellt, um ihr eine Protestnote der rumänischen Regierung wegen der "ungerechtfertigten und unfreundlichen Haltung Österreichs" in puncto Rumäniens Schengen-Beitritt zu überreichen. Diese Geste Österreichs werde "zwangsläufig Konsequenzen" für die bilateralen Beziehungen haben, stellte das Außenministerium in Bukarest klar. Man habe gegenüber der österreichischen Diplomatin zudem auch Protest eingelegt wegen der jüngsten Behauptungen des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer, demzufolge die rumänischen Behörden angesichts des angestrebten Beitritts des Landes zum grenzkontrollfreien Schengenraum Druck auf österreichische, in Rumänien aktive Unternehmen ausgeübt hätten. Derlei Behauptungen seien "schlichtweg untragbar", da sie keineswegs der Realität entsprechen, so das Außenamt in Bukarest.

Als politisch motiviert bezeichnete Bulgariens Innenminister Iwan Demerdschiew das Veto Österreichs und der Niederlanden gegen den Schengen-Beitritt. In einer ersten Reaktion nach der Entscheidung in Brüssel fügte er hinzu, die Argumente der Niederlande seien destruktiv. "Derzeit wollen wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen", sagte Demerdschiew in Brüssel, nachdem die bulgarische Regierung zuvor damit gedroht hatte. Innenminister Demerdschiew ist überzeugt, dass Bulgarien nächstes Jahr beitreten könne.

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat Österreich ebenfalls scharf kritisiert. "Ich hätte mir heute nicht nur eine andere Entscheidung gewünscht, bei der auch Bulgarien und insbesondere Rumänien mit in den Schengen-Raum aufgenommen würden, sondern es ist eine schwere Enttäuschung", sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag bei einem Besuch in der irischen Hauptstadt Dublin. "Statt eines guten und starken Tages für Europa haben wir heute einen schlechten Tag für Europa", kritisierte Baerbock. "Und ich glaube, da sollte jeder selbst reflektieren, ob das wirklich die richtige Entscheidung gewesen ist."

Kritik auch in Österreich

Die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger zog diese  Argumentation gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien in Zweifel. "Rein geografisch fällt Bulgarien sowieso als relevante Route für Menschen, die visafrei nach Serbien reisen, weg. Und nur drei Prozent aller Asylwerbenden in Österreich nahmen den (Um-)Weg über Rumänien", schreibt Kohlenberger am Donnerstag auf Twitter.

Kohlenberger erntete für ihre Aussage umgehend Widerspruch aus dem Innenministerium. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei "weit höher" als die genannten drei Prozent, betonte der Leiter der Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt, Gerhard Tatzgern. Genaue Zahlen konnte er im Gespräch mit der APA aber nicht nennen. Er argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 inhaftierten Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische, so Tatzgern. Zwar sei die serbisch-ungarische Grenze "sicher der Hauptübertretpunkt" für illegale Migration, doch würden die Erkenntnisse dafür sprechen, dass "eine gar nicht so kleine Menge" von Migranten auch über Rumänien komme.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr verwies am Donnerstag auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Schengen-Abkommens: Die Kaufkraft in Österreich ist ihm zufolge durch Schengen um zwei Prozent höher, als sie ohne das Abkommen wäre.

Die Grünen betonten schon im Vorfeld der Abstimmung, dass sie die Linie des Koalitionspartners nicht unterstützen. Ihr Einwirken auf Innenminister Karner blieb aber erfolglos. Wir groß der Frust darüber ist, zeigt sich in einer sarkastischen Aussendung des außenpolitischen Sprechers der Grünen, Michel Reimon. Er setzte das österreichische Veto mit der niederösterreichischen Landtagswahl in Zusammenhang: "Im Zentrum Europas stehen die wichtigsten Wahlen auf dem Kontinent seit mindestens fünf Jahren an, da ist für Neuerungen an der Peripherie offensichtlich kein Raum", spottete er und attestierte der Europäischen Kommission "geringes politisches Verständnis".

Ernsthafte Kritik übten die Neos, die das Veto als "zutiefst anti-europäisch" bezeichneten. "Die Bundesregierung hat uns damit endgültig ins europapolitische Aus geschossen", sagte die Neos Abgeordnete Claudia Gamon am Donnerstag: "Unsere Unternehmen vor Ort werden den Preis für Karners leichtsinniges Veto zahlen."

Zuspruch kam von der FPÖ. Das Veto sei "das Mindeste gewesen, das sich die Österreicher von Innenminister Karner erwarten konnten", so der freiheitliche Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer. Nun müssten weitere Schritte folgen, um Migration zu stoppen.