Das historisch schlechteste Ergebnis lässt die Tiroler Volkspartei aufatmen: Die ÖVP fällt bei der Landtagswahl in Tirol am heutigen Sonntag um fast zehn Prozentpunkte auf 34,71 Prozent. Laut dem vorläufigen Endergebnis hält die ÖVP aber klar den ersten Platz und wird wohl den Landeshauptmann stellen. Dahinter liegt eine gestärkte FPÖ mit 18,84 Prozent vor einer stagnierenden SPÖ mit 17,48 Prozent.

Da die ÖVP 14 Mandate und FPÖ und SPÖ je sieben Mandate im neuen Landtag haben werden, wäre sowohl eine schwarz-rote, als auch eine schwarz-blaue Koalition möglich. Dreierkoalitionen haben ÖVP und SPÖ vor der Wahl ausgeschlossen, mit der FPÖ will keine andere Landtagsfraktion regieren.

Auch der bisherige Koalitionspartner der ÖVP wurde abgestraft: Die Grünen erhielten 9,2 Prozent der abgegebenen Stimmen, 1,5 Prozentpunkte weniger als noch 2018. Am meisten gewinnen konnte die Liste Fritz mit 9,9 Prozent, das ist ein Zuwachs von 4,4 Prozentpunkten. Mit einem 6,29 Prozent konnten Neos leicht zuwachsen und bleiben im Landtag. Die impfkritische MFG hat die 5-Prozent-Hürde mit 2,78 Prozent klar verfehlt.

535.112 Menschen waren heute in Tirol zur Wahl des 36-köpfigen Landtages aufgerufen. Die letzten Wahllokale schlossen um 17.00 Uhr, in Osttirol wurde die letzte Stimme bereits um 16 Uhr abgegeben. Mit 65 Prozent stieg die Wahlbeteiligung im Vergleicht zu 2018 leicht an: Vor vier Jahren gaben nur 60 Prozent der wahlberechtigten Tirolerinnen und Tiroler ihre Stimme ab.

Mattle will Landeshauptmann werden

Trotz des deutlichen Verlusts will ÖVP-Chef Anton Mattle Chef der Tiroler Volkspartei bleiben und Landeshauptmann werden. Die FPÖ verfehlt zwar ihr historisch bestes Ergebnis, feiert aber den zweiten Platz. Die SPÖ hofft, von der Volkspartei in die Regierung geholt zu werden.

Grüne und Neos hätten auch gerne mitregiert, das ist nun aber eher unwahrscheinlich: ÖVP und SPÖ wollten im Vorfeld unbedingt eine Zweierkoalition, mit der FPÖ will sonst niemand zusammenarbeiten. Grünen-Chef Gebi Mair spricht bereits von einer "ganz klaren Niederlage". Jubeln darf auch die Liste Fritz: Sie gewinnt am stärksten hinzu - und wollte ohnehin nicht in die Regierung.

"Ein guter Dreier" für Mattle

Im Zentrum der Wahl stand die Frage, wie stark die bisher vorherrschende ÖVP unter ihrem neuen Spitzenkandidaten Anton Mattle abstürzen würde - und welche Auswirkungen das auf den Bund haben würde. Das historisch schlechteste Ergebnis der Tiroler Volkspartei ist heute ein Erfolg: In Umfragen wurde die Volkspartei teils klar unter 30 Prozent gesehen, noch am Sonntag hatte ÖVP-Chef Mattle auf einen "guten Dreier" gehofft.

Die ÖVP-Tirol zwischen Frust und Jubel
Die ÖVP-Tirol zwischen Frust und Jubel © APA/ROLAND SCHLAGER

Für die Volkspartei endet bei der ersten Landtagswahl unter Bundesparteichef Karl Nehammer aber eine beachtliche Serie: Seit Sebastian Kurz die Partei 2015 übernommen hatte, hatte sie bei jeder landes- und bundesweiten Wahl dazugewonnen. Mit einem guten Drittel der Stimmen kann sich die ÖVP aber dennoch ihren Koalitionspartner zwischen SPÖ und FPÖ aussuchen. Ein Szenario, das so im Vorfeld nicht alle Umfragen vorhergesehen hatten.

Der Tiroler ÖVP-Chef Anton Mattle verliert die Landtagswahl deutlich - und kann dennoch zufrieden sein
Der Tiroler ÖVP-Chef Anton Mattle verliert die Landtagswahl deutlich - und kann dennoch zufrieden sein © ORF

Die ÖVP habe mit 14 Mandaten nach der Wahl doppelt so Sitze im Tiroler Landtag habe als der Zweite, daher "stellen wir auch den Anspruch, den Landeshauptmann zu stellen", erklärte Mattle, der auch nach dem Wahlabend schwarzer Landesparteichef bleiben will. Die Frage, ob die nächste Koalition aus ÖVP und SPÖ bestehen werde, wollte er nicht beantworten. Im Wahlkampf hatte sich der 59-Jährige für eine Zweierkoalition und gegen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgesprochen.

FPÖ gewinnt engen Kampf um den zweiten Platz

Verkehrte Welt: Markus Abwerzger (FPÖ, hier links) hat das Rennen um den zweiten Platz gewonnen, im Kampf um die Koalition sollte aber Georg Dornauer (SPÖ, hier rechts) die Nase vorne haben
Verkehrte Welt: Markus Abwerzger (FPÖ, hier links) hat das Rennen um den zweiten Platz gewonnen, im Kampf um die Koalition sollte aber Georg Dornauer (SPÖ, hier rechts) die Nase vorne haben © APA/ROLAND SCHLAGER

Hinter der Volkspartei ging es für SPÖ und FPÖ um den Kampf um den zweiten Platz - und um die Regierungsbeteiligung: FPÖ-Chef Markus Abwerzger stellte im Vorfeld den Anspruch, selbst Landeshauptmann zu werden, die Freiheitlichen freuten sich auf das historisch beste Ergebnis in Tirol. Das ging sich zwar nicht aus, dass man der SPÖ den zweiten Platz entreißen konnte, wird die Partei aber - auch im Rennen um die Hofburg - gut verwenden können. Damit die FPÖ in Tirol mitregieren könnte, müsste ÖVP-Chef Mattle allerdings sein Wort brechen.

Mit dem dritten Platz kann die SPÖ in Tirol nicht zufrieden sein
Mit dem dritten Platz kann die SPÖ in Tirol nicht zufrieden sein © APA/EXPA/JOHANN GRODER

Die SPÖ unter der Führung von Georg Dornauer hatte auf mindestens 20 Prozent gehofft und wollte zweitstärkste Kraft bleiben. Beide Ziele wurden klar verfehlt, nicht einmal ein klarer Stimmenzuwachs ging sich aus. Dass man mit der Volkspartei aber eine Mehrheit hätte, wird in der SPÖ wohl positiv entgegengenommen. Immerhin machte Dornauer im Wahlkampf keinen Hehl daraus, zu zweit mit der ÖVP regieren zu wollen. Eine schwarz-rote Koalition dürfte laut einer Wahltagsbefragung von SORA und ORF auch dem Wunsch der meisten Tirolerinnen und Tirolern entsprechen.

Neos und Grüne zerknirscht, Liste Fritz feiert

Alle drei großen Parteien würden Zweierkoalitionen bevorzugen. Somit dürften die bisher mitregierenden Grünen bei Koalitionsverhandlungen leer ausgehen. Auch Neos und die stark zulegende Liste Fritz bräuchten ein (sehr unwahrscheinliches) Bündnis aus drei bis vier Parteien, um in die Regierung zu kommen. Anders als Grüne und Neos fühlt sich die Liste Fritz in der Oppositionsrolle aber ohnehin wohl.

Andrea Haselwanter-Schneider (Liste Fritz) hat Grund zum Feiern
Andrea Haselwanter-Schneider (Liste Fritz) hat Grund zum Feiern © APA/EXPA/JOHANN GRODER

Die KPÖ kandidierte in der Landeshauptstadt Innsbruck und in Innsbruck-Land und erzielte laut der SORA/ORF-Hochrechnung 0,7 Prozent. Die Gruppierung "mach mit– Die Liste für alle anderen" trat nur in Innsbruck-Land an und versammelte sich laut der aktuellen Hochrechnung 0,1 Prozent der Stimmen hinter sich.

ÖVP Tirol bei Jungen nur dritte Wahl

Die Volkspartei darf sich vor allem bei den über 60-Jährigen für ihr Wahlergebnis bedanken: Die Hälfte der Generation 60+ hat ihr Kreuz bei der ÖVP gemacht. Das zeigt eine Wahltagsbefragung von SORA/ISA mit mehr als 8 Prozent Schwankungsbreite. Die Jugend schenkte der ÖVP demnach weniger Vertrauen. Hätten nur unter 30-Jährige gewählt, wäre die Volkspartei demnach mit 17 Prozent nur am dritten Platz hinter FPÖ (24 Prozent) und SPÖ (22 Prozent) gelandet.

Das Hauptwahlmotiv für die Volkspartei war tatsächlich persönliche Konstanz: "Ich wähle immer diese Partei" gab mehr als ein Viertel (28 Prozent) der 1230 von SORA für den ORF befragten ÖVP-Wählerinnen und -Wähler als Hauptgrund für ihre Entscheidung an. Spitzenkandidat Mattle war nur für 18 Prozent ausschlaggebend, die inhaltlichen Standpunkte der Partei gar nur für 13 Prozent. Bei allen anderen Parteien standen die Inhalte für die Wählerinnen und Wähler in Tirol an erster Stelle.

Politikwissenschafter Peter Filzmaier ließ vor der Wahl auch abfragen, welche Themen von den Tiroler Wahlberechtigten sehr häufig diskutiert wurden. "Da gibt es einen ganz klaren Spitzenreiter, das ist das Thema Teuerung", sagt Filzmaier im ORF: Mehr als 54 Prozent der Befragten gaben an, im Wahlkampf sehr häufig über "Inflation und steigende Preise" diskutiert zu haben. Über ein Drittel haben häufig über leistbares Wohnen sowie die Sicherung der Energieversorgung gesprochen.

Bundespolitischer Stimmungstest

Alle drei Themen sind bundes-, wenn nicht sogar europapolitisch. Auch deshalb gilt die Tiroler Wahl als wichtiger bundespolitischer Stimmungstest. Am 9. Oktober folgt dann mit der Bundespräsidentenwahl ein bundesweiter Urnengang. Im kommenden Jahr wählen Niederösterreich, Salzburg und Kärnten ihre Landtage neu.

Vor allem die ÖVP in Niederösterreich dürfte die Wahl in Tirol ganz genau beobachtet haben. Denn auch im zweiten schwarzen Kernland drohen der Volkspartei deutliche Verluste. So ortet man in Niederösterreich "klare Gründe" für den deutlichen Stimmenverlust in Tirol: "Die schwierige Zeit, in der wir uns befinden, die kurze Zeit, die Anton Mattle hatte, und der Gegenwind, den ihm manche Meinungsforscher mit falschen Prognosen bereitet haben", stellte Bernhard Ebner, Landesgeschäftsführer der Volkspartei NÖ, zur Wahl in Tirol fest.

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