In Österreich leben immer mehr Menschen ohne Wahlrecht. An der Präsidentenwahl werden 1,4 Millionen über 16-Jährige mangels Staatsbürgerschaft nicht teilnehmen können. Vor 20 Jahren wären es nur 580.000 gewesen. Die Zahl der Wahlberechtigten ist dagegen zuletzt gesunken. Besonders viele Nicht-Wahlberechtigte gibt es in den Städten und im Westen. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier kann sich eine Reform vorstellen, rät aber, sie "möglichst fern von jeder Wahl zu" diskutieren.

Wie von der APA ausgewertete Daten der Statistik Austria zeigen, sind in Innsbruck und Salzburg rund 30 Prozent der Bevölkerung im Wahlalter nicht stimmberechtigt, in Linz und Graz ein Viertel (Stand 1. Juli). In Wien liegt der Durchschnitt bei knapp einem Drittel – allerdings mit starken regionalen Unterschieden: In einzelnen Bezirken haben vier von zehn Wienerinnen und Wienern im Wahlalter keine Staatsbürgerschaft. Österreichweit haben rund 18 Prozent der Wohnbevölkerung ab 16 keine Staatsbürgerschaft – also gut jede sechste Person im Wahlalter.

Viele Nicht-Wahlberechtigte in kleinen Gemeinden

Die höchsten Werte gibt es allerdings außerhalb der Ballungszentren. Diese Gemeinden sind Sonderfälle: Die Exklaven Jungholz (Tirol) mit 66 und Mittelberg (Vorarlberg) mit 51 Prozent Nicht-Wahlberechtigten sind von Österreich aus nur über deutsches Staatsgebiet erreichbar. In Kittsee (Burgenland) und Wolfsthal (Niederösterreich) haben sich wegen der Nähe zu Bratislava viele slowakische Familien niedergelassen. Durchwegs hoch ist der Anteil aber etwa auch im Vorarlberger Rheintal.

Zahl der Wahlberechtigten geht zurück

Die Zahl der Wahlberechtigten stagniert dagegen. Bei der Nationalratswahl 2019 waren um 4000 Menschen weniger stimmberechtigt als noch 2017 bzw. bei der Bundespräsidentenwahl 2016.

Für den Politikwissenschaftler Filzmaier kann der dauerhafte Ausschluss breiter Bevölkerungskreise durchaus negative Folgen haben. Denn auch Menschen ohne Staatsbürgerschaft seien von Entscheidungen des politischen Systems betroffen, ohne aber mitentscheiden zu dürfen. Daher könnten sich möglicherweise unerwünschte Ventile für Unzufriedenheit bilden. "Da Menschen von Entscheidungen des politischen Systems an ihrem Wohnort betroffen sind, könnte man das auch statt der Staatsbürgerschaft an den Wohnort knüpfen", meint Filzmaier. Freilich erst nach einer langen Zeit des Aufenthalts.

Keine Mehrheit für eine Reform

Eine Mehrheit für eine Reform zeichnet sich allerdings nicht ab. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte sich schon im Mai mit dem Vorschlag, Einbürgerungen zu erleichtern, eine Abfuhr bei ÖVP und FPÖ geholt. Filzmaier plädiert denn auch dafür, die Wahlrechtsdiskussion außerhalb des Wahlkampfes zu führen, um Emotionalisierung zu vermeiden – zumal es valide Pro- und Contra-Argumente gebe. "Innerhalb der Spielregeln treffen wir laufend Wahlrechtsentscheidungen, die man so oder so sehen kann und beide Seiten sind Demokraten", betont der Politikwissenschaftler und verweist etwa auf jüngste Änderungen beim Wahlalter sowie beim Wahlrecht für Zweitwohnsitzer. "Meine dringendste Empfehlung ist, diese Wahlrechtsdebatte möglichst fern von jeder Wahl zu führen."