Bis zuletzt wurde der Termin geheimgehalten. Auf Einladung der Israelitischen Kultusgemeinde kamen die Spitzen des Staates und der Politik bei der vor wenigen Monaten eingeweihten Shoa-Namensmauer, auf der die Namen aller ermordeten österreichischen Juden aufgelistet sind, zu einem kurzen Gedenken zusammen. Als Ehrengast war Israels amtierenden Außenminister und künftiger Premierminister Jair Lapid geladen, dessen Großvater in einem der zahllosen Nebenlager von Mauthausen, in Ebensee, einen Monat vor dem Kollaps des Nazi-Regimes ermordet wurde. Auch die Gedenkveranstaltung am Vormittag in Mauthausen, zu der auch Lapid gekommen war, wurde bis zuletzt geheimgehalten – nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil die Befürchtung bestand, dass Corona-Schwurbler den Termin zum Anlass nehmen könnten, um sich lautstark, mit Megafon und völlig deplatziert als die „neuen Juden“ zu produzieren.

Am Ostarrichi-Platz fanden sich denn auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Bundeskanzler Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, aber auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, der stellvertretender Neos-Chef Nikolaus Scherak, der Chef des Roma-Volksgruppenrates sowie als Gastgeber der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Oskar Deutsch.  Ausdrücklich nicht eingeladen waren die Freiheitlichen, die aus Sicht der IKG einen ambivalenten Umgang mit den dunklen Stunden der heimischen Geschichte und deren Aufarbeitung pflegen.

Keine Reden, nur das Totengebet

Reden gab es keine, nur das Totengebet, das Kaddish, wurde vom Kantor intoniert. In einer gemeinsamen Erklärung wurde der Ermordung der Juden wie auch der Roma in den NS-Konzentrationslagern gedacht. „Aus der Erinnerung erwächst die Verantwortung, uns immerwährend und aktiv gegen Antisemitismus, Romafeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und jegliche Form der Diskriminierung zu stellen.“ Dies sei ein „Auftrag“ an die gesamte Republik Österreich. „Wir alle sind gefordert, Zivilcourage zu zeigen, zu widersprechen, wenn antisemitische, romafeindliche oder fremdenfeindliche Worte fallen. So nehmen wir die Verantwortung tatsächlich wahr, im Interesse einer lebendigen und vielfältigen Demokratie und aller nachkommenden Generationen.“

Kanzler entschuldigte sich für Ermordung des Großvaters

Von einer besonderen Emotionalität war das Gedenken am Vormittag in Mauthausen in Anwesenheit des amtierenden Außenministers  geprägt. Lapids Großvater starb im Konzentrationslager Ebensee, einem Außenlager des KZ Mauthausen – rund einen Monat vor Kriegsende. Lapids Großvater starb 46-jährig und war Rechtsanwalt in Novi Sad in der von den Nazis besetzten Vojvodina. Nehammer und die Leiterin der Gedenkstätte Barbara Glück hatten den israelischen Spitzenpolitiker im November nach Österreich eingeladen.

„Raum im Namen“

Im „Raum der Namen“, in dem in Glas die Namen von 81.000 bekannten Ermordeten eingraviert sind, entzündete Lapid am Schriftzug seines Großvaters eine Kerze. In einem sehr persönlichen Statement erklärte er anschließend, dass die Opfer von Mauthausen keine Nummern waren, die ausgelöscht wurden, sondern Menschen mit Namen - so wie sein Großvater, der mit seinen Kindern auf den Fußballplatz ging. Um 6 Uhr wurde er von deutschen Soldaten in SS-Uniformen aus dem Schlafzimmer abgeholt. Die Großmutter flehte noch einen Soldaten an: „Vergessen Sie nicht, auch Sie haben eine Mutter“, erzählte Lapid mit leiser Stimme.

„Ruhe in Frieden, Großvater“

Sein Großvater habe ihn heute nach Mauthausen gesandt, um in seinem Auftrag zu sagen, dass die Juden nicht aufgegeben haben: „Die Nazis dachten, sie wären die Zukunft und Juden würde es nur noch im Museum geben. Stattdessen ist der jüdische Staat die Zukunft und Mauthausen ist ein Museum. Ruhe in Frieden, Großvater.“ Bundeskanzler Nehammer entschuldigte sich in seiner Rede „im Namen der Republik“ für die Gräuel der Vergangenheit, insbesondere aber für die Ermordung von Lapids Großvater.

Gedenken und Appelle

Tagsüber haben am Donnerstag zahlreiche Politikerinnen und Politiker die Erinnerung an die Opfer eingemahnt. Man müsse dafür sorgen, „dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden“, betonte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer Stellungnahme auf Facebook. „Wir gedenken heute der Millionen Menschen, die von den Nationalsozialisten vertrieben, gefoltert und ermordet wurden“, schrieb Van der Bellen. „Es ist unser Wille und unsere Verpflichtung, daran zu erinnern, dass nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter und Täterinnen Teil unserer Gesellschaft und von ihr geprägt waren.“ Man werde dem Andenken der Opfer nur gerecht, wenn man Antisemitismus und Rassismus entschieden entgegentrete.

„We remember“-Schilder

Regierungsmitglieder von Kanzler Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) abwärts zeigten sich auf diversen Social Media Plattformen mit „We remember“-Schildern. „Die Zeit des grausamen NS-Terrorregimes zählt zu den dunkelsten Kapiteln der österreichischen und europäischen Geschichte“, betonte Kanzler Nehammer auf Facebook. „Wir werden weiterhin gegen jede Form von Antisemitismus kämpfen – denn Hass hat in unserer Gesellschaft keinen Platz“, versicherte er. „Die Gräueltaten des Nationalsozialismus dürfen sich nie mehr wiederholen. Daher haben wir die Pflicht, neu aufkeimendem Antisemitismus und Hass Einhalt zu gebieten“, mahnte auch Kogler in einem Beitrag.

„Es beginnt mit der Sprache“

Der Vergleich von Corona-Maßnahmen mit totalitärer Politik oder gar dem Faschismus komme einer Verharmlosung der Nazi-Herrschaft gleich, kritisierte auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in einer Aussendung. „Es beginnt mit der Sprache und mit Symbolen – überall, auf der Straße, im öffentlichen Raum, im privaten Bereich, im Parlament. Wir alle sind aufgefordert, achtsam zu sein.“ Es dürfe null Toleranz gegenüber Antisemitismus, Ausgrenzung und Hass geben. „Gerade in einer Zeit der globalen Verunsicherung durch die Pandemie, in der zunehmend antisemitisches Gedankengut verbreitet wird, ist es unabdingbar, dass wir uns an den Holocaust nicht nur erinnern, sondern auch Zivilcourage zeigen und zu widersprechen, wenn antisemitische oder fremdenfeindliche Worte fallen“, meinte auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

Seitens der FPÖ erklärte der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer in einer Aussendung, es sei die Verpflichtung der Republik Österreich, „unsere jüdischen Mitbürger vor Angriffen und Anfeindungen zu schützen“. Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürften sich nicht wiederholen. „Wir müssen uns vor Augen halten, dass der Mensch unter bestimmten Voraussetzungen zu unfassbaren Taten fähig ist. Es ist eine Mischung aus Angst, Hass und Verblendung, die solche Entwicklungen möglich macht“, meinte Hofer.

Kickl: „Österreich hat einen Teil seiner Seele verloren“

„Antisemitismus hat in unserer Gesellschaft keinen Platz und es darf ihm auch kein Raum gegeben werden“, erklärte auch FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Aussendung. „Nur wenn wir den Opfern dieser unbeschreiblichen Tragödie eine Stimme geben, die nie verstummt, kann ihnen auch in Zukunft ihr Platz unter uns gesichert sein. Mit der Ermordung der jüdischen Bevölkerung hat unser Land nicht nur Wissenschaft, Kunst und Kultur, sondern auch einen Teil seiner Seele verloren.“ Es sei das Gebot der Stunde, „die Demokratie zu festigen und allen Formen aufkeimender autoritärer Tendenzen in Österreich entschieden entgegenzutreten – egal, woher sie kommen“, ließ Kickl wissen. Der FPÖ-Chef hatte der aktuellen Bundesregierung unter anderem wegen ihrer Corona-Politik immer wieder unterstellt, „autoritär“ zu agieren.