Neue Freiheit an den Schulen oder Chaos pur? Die Interpretationen ließen gestern, am Tag 1 des österreichischen Lockdowns, ein breites Spektrum zu.

Laut Bildungsministerium besuchten in sieben Bundesländern rund drei Viertel der Kinder die Schule, in der Steiermark waren es sogar 80 Prozent. Tendenziell waren es an den Volksschulen mehr, an den höheren Schulen weniger Kinder, die zu Hause blieben, auch wegen der steigenden Durchimpfungsrate bei den Älteren.

Die Bildungsreferenten der Bundesländer versuchen derzeit offenbar gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden, dem Bildungsministerium und dem Arbeitsministerium den Unmut vieler Schüler, Eltern und Lehrer über die aktuelle Lockdown-Regelung an den Schulen abzufedern. Wunsch ist, dass Klassen ab einer gewissen Zahl positiver Fälle seitens der Bildungsdirektionen behördlich verordnet ins Distance Learning geschickt werden. Noch aber laufen die entsprechenden Abstimmungen.

Anspruch auf Sonderbetreuungszeit

Damit würden Eltern, die ihre Kinder angesichts des Infektionsrisikos freiwillig zu Hause betreuen, wieder Anspruch auf Sonderbetreuungszeit und die Arbeitgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung bekommen. Derzeit sei Distance Learning für eine ganze Klasse eine Einzelentscheidung und brauche die Zustimmung des Bildungsministeriums - umfangreiche Begründung inklusive, so die Bildungspolitiker.

Es brauche eine schnelle Regelung ohne den Umweg über Wien. Für Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen soll es an den Schulen weiter Betreuungsmöglichkeiten geben. Die Idee zum Vorstoß stammt offenbar von der Tiroler Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP). Sie ist derzeit Vorsitzende der Landesbildungsreferenten. Ihr Sprecher wollte sich am Montagabend noch nicht zu den Plänen äußern. "Es laufen derzeit noch Gespräche. Wir werden das kommunizieren, sobald es Hände und Füße hat."

Direktionen mit Anfragen geflutet

Unsicherheiten in Bezug auf Prüfungen und die Einbindung der Zuhausebleibenden führten zu einem wahren E-Mail- und Anrufbombardement der Direktionen. Insbesondere die Frage, wie es um das Distance Learning bestellt ist, das mittlerweile gut gelernt ist, wofür aber keine Kapazitäten vorhanden sind, wenn die Lehrer gleichzeitig in der Klasse präsent sein sollen, erhitzte die Gemüter.

Die Lehrergewerkschaft spricht sich für das Offenhalten der Schulen aus, fordert jedoch, dass auf Schulebene sowohl das komplette Schließen von Klassen als auch die komplette Umstellung auf Distance Learning möglich sein müsse. Wissenschaftler fordern, Schulen und Universitäten sofort zu schließen und online zu lehren.

Ebenfalls 14 Tage Distance Learning fordern 100 Schulsprecherinnen und Schulsprecher in einem Offenen Brief, allerdings bei Aufrechterhaltung einer Betreuungsschiene.

Faßmann entschuldigte sich

Minister Heinz Faßmann entschuldigte sich für das Informationschaos rund um die Auswirkungen des Lockdowns für die Schulen und bat um Nachsicht. Es sei ihm bewusst, dass man „wahnsinnig wenig Zeit hat“, sich vorzubereiten. Praktische Erläuterungen gab es von der Sprecherin des Ministers:

Schularbeiten und Tests müssen nicht, können aber abgehalten werden, wenn die Absage von größerem Schaden für die Schüler wäre und möglichst alle teilnehmen können. Sie sind im Einzelfall nachzuholen, wenn sonst keine Leistungsfeststellung möglich ist.
Eine Umstellung auf Distance Learning sei jederzeit möglich – wie bisher auch schon bei Schließungen von Klassen nach Infektionen.

Mit Stand gestern waren übrigens 16 der 6000 Schulen in Österreich coronabedingt zu, dazu noch 492 von insgesamt 58.000 Schulklassen.

Flexibilität sei gefragt: Sind es nur wenige in der Schule, werde man online unterrichten, die Anwesenden vielleicht in der Klasse teilhaben lassen. Denkbar sei auch, dass ein Lehrer alle Kinder einer Schulstufe in der Schule betreue und ein anderer die übrigen online unterrichte.

Schüler brauchen Schule

Gelassenheit legte die Sprecherin der AHS-Direktoren, Isabella Zins, im Mittagsjournal des ORF an den Tag: Der Erlass lasse Spielraum und die Schulen würden das Beste aus der Situation machen. Ausschlaggebend dafür, dass die Schulen offen bleiben, sei die Expertise der Jugendmediziner und -psychologen gewesen: Man könne die Kinder trotz der hohen Ansteckungszahlen nicht noch einmal einsperren, sie bräuchten die Gemeinschaft für ihr Wohlbefinden und das Lernen.