Die Ermittlungen wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz, sein engstes Umfeld sowie die Mediengruppe Österreich stürzen die Koalition in eine Krise. Der Politikberater Thomas Hofer sieht die Handlungsfähigkeit der Regierung gefährdet, für den Meinungsforscher Peter Hajek hängt sie von den Grünen ab.

"Die Regierung ist handlungsfähig und wird das auch bleiben, bis die Grünen für sich entscheiden, dass der Partner nicht mehr handlungsfähig ist", sagte Hajek. Die ÖVP sage, sie sei handlungsfähig, und es werde eben ermittelt. Damit kommt dem Meinungsforscher zufolge dem kleinen Koalitionspartner eine entscheidende Rolle zu. Hajek verwies darüber hinaus auch auf die wichtige Rolle des Bundespräsidenten. Dass Alexander van der Bellen die Regierung aber von sich aus auflöst, hielt der Experte für praktisch ausgeschlossen.

Zwischen Staatsräson und Neuwahlen

Die Grünen müssten sich zwei Gedankengängen stellen, so Hajek. "Der erste betrifft die Staatsräson: Der Staat braucht eine stabile Regierung." Der zweite: "Was wäre, wenn Neuwahlen kommen." Der Meinungsforscher sagte: "Die ÖVP wird den Kurt-Waldheim-Gedächtniswahlkampf ausrufen, also nach dem Motto 'Jetzt erst recht' vorgehen." Die erst kürzlich in Oberösterreich bei den Landtagswahlen erfolgreiche impfkritische MFG ("Menschen-Freiheit-Grundrechte") habe gute Chancen, auch in den Nationalrat einzuziehen. "Dann haben wir ein Sechs-Parteien-Parlament", sagte Hajek.

Die Koalitionsverhandlungen wären dann wohl sehr kompliziert, argumentierte der Meinungsforscher: Die Grünen und die ÖVP wären dann wohl übers Kreuz, Sebastian Kurz (ÖVP) und Herbert Kickl (FPÖ) könnten nicht miteinander, und die SPÖ mit der FPÖ wäre auch nicht möglich.

Eingeschränkte Handlungsfähigkeit

Hofer sagte zur Frage der Handlungsfähigkeit: "Tatsache ist, dass die Regierungsspitze mit dem Thema permanent konfrontiert und davon okkupiert wäre." Der kleine Koalitionspartner spreche das ja bereits an. Für den Politikberater stellte sich schon auch die Frage, wie die ÖVP nun agieren. Denn die Grünen hätten nun mit ihrem Infragestellen der Handlungsfähigkeit und der Einladung an die Klubobleute zu Gesprächen einen Schritt der Eskalation gesetzt. "Die Grünen haben den Ball deutlich weitergetrieben", sagte Hofer. Der Experte glaubte auch, dass innerhalb der ÖVP Diskussionen über ihren Bundesobmann Sebastian Kurz geführt würden.

Die Frage, wer von Neuwahlen in der gegenwärtigen Situation profitieren würde, ist laut Hofer nur sehr spekulativ zu beantworten. "Der Grad der Volatilität in der Wählerschaft ist sicher gestiegen", erläuterte der Politikberater. Er meinte, dass eine Präsentation von Kurz in der Märtyrerrolle "nur mehr sehr eingeschränkt möglich" wäre. "Neuwahlen würden aber alle am falschen Fuß erwischen. Die Opposition ist nicht ideal aufgestellt."

Vorwürfe "sehr starker Tobak"

Einig zeigten sich Hajek und Hofer bei der Frage nach der Bewertung und der Vergleichbarkeit der Hausdurchsuchungen mit dem Ibizaskandal. "Wir müssen alle sehr aufpassen, und es ist zu betonen, dass die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten gilt", sagte Hofer. "Aber was in den 104 Seiten der Anordnung zur Hausdurchsuchung steht, ist schon sehr starker Tobak, wenn es stimmen würde." Es sei aber insofern mit der "Ibiza-Affäre" nicht ganz vergleichbar: "Kurz hat nicht Medienhäuser gekauft. Aber wenn es stimmt, dass er sich mutmaßlich Berichterstattung gekauft hat, dann ist das ein dramatischer Dämpfer für das Vertrauen in das politische System insgesamt."

Hajek verwies auf den Politologen Peter Filzmaier, der am Mittwochabend in der ORF-ZIB2 die Frage "schon beantwortet" habe: "Wenn die Ermittlungen nichts ergeben, ist es (im Vergleich zum Ibiza-Video, das dem damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache Staats- und Parteiamt gekostet hatte, Anm.) nichts. Wenn an der Geschichte etwas dran ist, und es ist zu betonen, dass für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gilt, ist es wirklich ein Supergau."