Herr Bürgermeister, Wien verkürzt die Gültigkeit der Zutrittstests, geht aber nicht weiter – etwa zu einer 1G-Regelung. Soll das ausreichen, um die vierte Welle zu bremsen?
MICHAEL LUDWIG: Wien hat wiederholt Bestimmungen verordnet, die strenger waren als im Rest des Landes. Wir werden nun sehen, ob die am Dienstag getroffenen Maßnahmen wirken werden. Wenn nicht, werden wir, je nachdem, was der Bund mit seinen Verordnungen vorgibt, neue Maßnahmen treffen. Wien ist, so wie alle anderen Bundesländer auch, hier auf die Vorgaben des Bundes angewiesen. Sie wissen, dass ich bereits im Sommer für konsequentes Durchhalten von gelinderen Maßnahmen eingetreten bin. Diese Hü-Hott-Politik der Bundesregierung halte ich nicht für den richtigen Weg.

Für schwerwiegende Eingriffe dürften Geimpfte wenig Verständnis haben. Befürchten Sie sozialen Unfrieden?
Wir bewegen uns hier in einem Spannungsfeld, aus dem sich die Regierung nicht wegstehlen kann, indem sie den Pandemie-Umgang als individuelles Problem darstellt. Es handelt sich um ein gesellschaftspolitisches. Auch, wenn ich persönlich die Ablehnung der Impfung nicht nachvollziehen kann, muss man sich überlegen, wie man mit diesen Menschen umgeht.

Ihre Parteichefin Rendi-Wagner denkt über Impfanreize in Form von eigenen Lotterien und extra Urlaubstagen nach. Sie auch?
Wir haben gute Erfolge mit niederschwelligen, kreativen Impfangeboten erzielt. Wenn man das mit materiellen Vorteilen verbindet, ergeben sich neue Ungerechtigkeiten. Viele werden sich fragen, warum sie nichts bekommen, obwohl sie durch ihre Impfung schon früher etwas für die Gemeinschaft getan haben. Das schafft nur noch größere Unruhe.

Sehen Sie Österreich diesmal besser vorbereitet für den Herbst?
Ich halte es für falsch, dass die Regierung im Sommer den Eindruck erweckt hat, dass die Pandemie vorbei ist. Natürlich war das Verkünden von Lockerungen populär, aber an den Herbst wurde nicht gedacht. Ich habe mich damals für einen anderen Weg entschieden.

Hat es Ihnen geschadet, mit den strengeren Regeln für Wien den Spielverderber zu geben?
Ich bin nicht in die Politik gegangen, um von allen geliebt zu werden, sondern um für die Menschen in Wien zu gestalten. Manchmal muss man auch unpopuläre Entscheidungen treffen.  Aber wir werden im Herbst wohl sehen, dass es klüger gewesen wäre, wenn wir in ganz Österreich auf der sicheren Seite geblieben wären.

Unpopulär dürfte bei manchen auch Ihre Aussage sein, dass Wien Menschen aus Afghanistan aufnehmen will. An wie viel Aufnahmen haben Sie da gedacht?
Ich lege mich auf keine Zahl fest. Mir ist wichtig, dass wir jenen, die unsere westlichen Werte vertreten haben und jetzt verfolgt werden, wie etwa Richterinnen und Lehrerinnen, Sicherheit bieten. Andere Länder tun das auch, warum wir es nicht tun, ist mir unverständlich.

Dass wir bereits eine der größten afghanischen Communities im Land haben, ist für Sie kein Argument?
Nein, weil uns dieser Umstand nicht davon entbindet, anderen Menschen zu helfen. Und ich finde es schade, dass es die FPÖ hier geschafft hat, die ÖVP auf ihr Spielfeld zu ziehen. Es geht nur noch um Umfragewerte und nicht mehr um Lösungen.

Die SPÖ Burgenland fordert den Rücktritt von Innenminister Nehammer. Sie auch?
Ich fordere generell keine Rücktritte von Politikern. Seine Haltung kritisiere ich dennoch.

Die Rücktrittsforderung Ihrer Parteikollegen ist deshalb spannend, weil ihnen Nehammer zu migrationsfreundlich ist. Überholt die Landespartei die FPÖ auf deren „Spielfeld“ von rechts?
Das müssen Sie die SPÖ Burgenland fragen.

Die gehört zu Ihrer Partei.
Ich bin Vorsitzender der SPÖ Wien. Und wir haben hier eine klare Haltung.

Die hat Wien auch zum „Klimaticket“, hier legt man sich quer. Warum?
Wir haben uns nicht quergelegt. Ich finde es aber spannend, dass Ministerin Gewessler von einem bundesweiten Ticket spricht, wenn 60 Prozent der Pendler in der Ost-Region betreut werden. Es wäre sinnvoll gewesen, mit allen Beteiligten auf Augenhöhe zu sprechen, bevor man mit so etwas an die Öffentlichkeit geht.

Spießt es sich schlicht am Geld?
Ich verlautbare keine Zwischenschritte in den Medien. Ich fordere die Ministerin aber auf, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Denn wir sind an einer gesamtösterreichischen Lösung interessiert. Wenn sie halbfertige Dinge präsentiert, ist das ihr Problem.

Genießen Sie die aktuelle „Ruhe“ Ihres Parteikollegen Doskozil? Stichwort Parteiquerelen?
Die tangiert uns in Wien kaum. Meine Art wäre das jedenfalls nicht gewesen.

Sitzt Rendi-Wagner fest im Chef-Sessel?
Nachdem wir keine hierarchisch strukturierte Partei sind, ist ihre Position als Vorsitzende nicht mit einem Durchgriffsrecht verbunden. In anderen „Führerparteien“ ist das anders.