Die Impfquote ist in etlichen oberösterreichischen Gemeinden sehr niedrig. Woran liegt das?
THOMAS STELZER: Das hängt weniger mit der Region zusammen, als mit sehr persönlichen Einstellungen. Wir machen das Impfangebot so niederschwellig wie nur irgendwie möglich - bei Fußballspielen, im Einkaufszentrum, durch Pop-up-Impfungen. Aber man kann nur Anreize schaffen und den Leuten das Angebot machen.

Naja, Niederösterreich führt eine Impfpflicht für alle ein, die im Landesdienst arbeiten wollen, die Steiermark bevorzugt Geimpfte. Wann kommt das auch in Oberösterreich?
Wir denken nicht an eine Impfpflicht. Ich bin überzeugt davon, dass das Sensorium sich impfen zu lassen in den nächsten Wochen durchaus noch einmal geschärft wird.

Wie lange kann man auf Freiwilligkeit hoffen?
Das Virus wird bleiben. Nur mit einer Impfung hat man eine Chance, sich und seine Familie, sein Umfeld, den Arbeitsplatz zu schützen. Sonst hat man das ständige Risiko, wirklich krank zu werden. Je mehr sich das in den Köpfen breit macht, desto mehr wird man beim Impfen zulegen. Insbesondere, wenn es die vielen Gratis-Test-Angebote nicht mehr geben wird.

Wann sollen Coronatests kostenpflichtig werden?
In einem Flächenbundesland wie Oberösterreich bedeutet das eine unglaubliche Anzahl an Test-Stationen. Das ist auch eine wirtschaftliche Frage. Im Herbst wird man zu einem Punkt kommen müssen, wo man sagen wird: Die Impfung bietet Schutz, und ist gratis. Aber die Gratis-Tests wird man in dieser Form nicht auf Dauer aufrechterhalten können.

Also nach der Oberösterreich-Wahl?
Das richtet sich nicht nach dem Wahltag, sondern nach dem Lebenszyklus der Leute. Nach den Sommerferien wird der Schulbetrieb wieder starten. Daran angeknüpft muss man entscheiden, wie wir weitermachen. Schon jetzt brauchen wir aber dringend Klarheit aus dem Gesundheitsministerium, wie das mit der dritten Impfung ist. Bis jetzt wissen wir nur, dass es eine geben muss, aber nicht wann. Da drängt die Zeit.

Warten Sie auch beim Thema Impfpflicht auf ein Machtwort vom Gesundheitsminister?
Das Coronavirus ist weder ein individuelles noch ein Gemeinde- oder Länderproblem. Es macht nicht an der Grenze halt. Da ist der Gesamtstaat gefragt. Wir haben bisher alles, was in der Bekämpfung dieser Krise geschehen ist, österreichweit koordiniert. Daher liegt es auf der Hand, dass auch eine Impfpflicht eine Bundesentscheidung sein muss. Das liegt im Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsministers. Mit Länderlösungen macht man ohnehin keine großen Sprünge. Wir hatten im Vorjahr im Landesdienst etwa 540 Neuaufnahmen. Da handelt es sich um keine riesige Gruppe.

Thomas Stelzer beim Interview mit der Kleinen Zeitung in seinem Büro in Linz.
Thomas Stelzer beim Interview mit der Kleinen Zeitung in seinem Büro in Linz. © Cityfoto/Roland Pelzl

Was ganz anderes: Wirft uns die Evaluierung von Straßenprojekten zurück in die Steinzeit?
In Oberösterreich wirft uns die Evaluierung tatsächlich zurück, und zwar im Schutz der Bevölkerung. Wir haben ein virulentes Problem mit einer Nord-Süd-Verbindung aus Tschechien durch unser Bundesland. Da geht es um einen Abschnitt von acht Kilometern. Jetzt geht der ganze Verkehr durch die Ortszentren durch. So etwas zu stoppen hat nichts mit Klimaschutz und Hausverstand zu tun. Niemand kann verstehen, dass man da sagt, da hau ich den Stock in die Speichen.

Womöglich ergibt die Evaluierung ja, dass es sinnvoll ist, die acht Kilometer Straße zu bauen.
Evaluierung ist halt ein schönes Fremdwort, das aber meistens ganz viel mit Verzögerung zu tun hat.

Angesichts der Extremwetterereignisse, die Expertinnen und Experten eindeutig mit der Erderwärmung in Verbindung setzen: Ist die Politik nicht zum Handeln gezwungen?
Natürlich müssen wir im Klimaschutz weiter gehen. Wir dürfen aber auch unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Es ist schon viel gelungen. Als ich ein Kind war, war Linz die Stadt des Nebels und man musste täglich Fenster putzen, weil der Schmutz durch die Industrie so groß war. Heute wird nirgendwo auf der Welt so sauber produziert, wie bei uns. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Dann müssen wir auch akzeptieren, dass wir erst 2021 haben und auf dem Weg dorthin sind. Ich habe den Eindruck, manche meinen, weil wir heute noch nicht dort sind, wo wir in 19 Jahren sein wollen, müssen wir jetzt Verbote machen und den Leuten mehr Geld abverlangen.

Lassen sich diese Ziele erreichen, ohne dass wir unseren Lebensstil ändern?
Der Lebensstil ändert sich immer wieder. Klimaschutz ist eine Frage der Entwicklung. Wenn wir das Angebot machen, also etwa öffentliche E-Ladestationen ausbauen, wird es auch die Bereitschaft geben, dass die Leute das annehmen. Es wird Änderungen geben, aber zuerst muss es die Chance geben, diese auch leben zu können.

Macht Ihnen Türkis-Grün im Bund Lust auf eine Zusammenarbeit mit den Grünen?
Ich gestehe der Bundesregierung zu, dass man versucht, das Beste rauszuholen. Im Land ist immer die Frage, mit welchen Personen man sich vorstellen, kann, vertrauensvoll zu regieren. Die Konstellation, die wir jetzt haben, hat über sechs Jahre gut funktioniert.

Die FPÖ hat in dieser Zeit allerdings mehrmals verändert.
Die Frage ist immer, von welcher FPÖ man spricht. Die Zusammenarbeit mit der oberösterreichischen FPÖ hat immer verlässlich funktioniert. Ich würde allerdings sicher nicht auf allen Ebenen die Zusammenarbeit suchen. Insbesondere wie sich der neue Bundesparteichef äußert, ist nicht meines.

Kann man die Bundespartei so strikt von der Landespartei trennen?
Sonst wäre es sinnlos, dass wir Österreich föderalistisch organisieren. Die Leute schauen sehr genau hin, bei welcher Wahl sie wen wählen.

Auch die ÖVP hatte schon ruhigere Zeiten. Bis zum Wahltag könnte es möglicherweise Anklagen gegen Sebastian Kurz oder Gernot Blümel geben. Macht Sie das nervös?
Das ist natürlich keine alltägliche Situation und manches, was veröffentlicht wurde, hat mich auch irritiert. Aber wir haben einen sehr erfolgreichen Bundeskanzler, der auch international gute Reputation genießt, was für Österreich auch immer wichtig ist, und daher wird es mit Bundeskanzler Kurz auch gut weitergehen.

Der Verfahrensrichter im U-Ausschuss nimmt in seinem Abschlussbericht auch die ÖVP nicht aus der Pflicht. Er sieht ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Novomatic und Türkis-Blau und den Bundeskanzler bei wesentlichen Ereignissen wie der Postenbesetzung informiert. Sehen Sie innerhalb der ÖVP Handlungsbedarf?
Nach allem, was ich aus dem U-Ausschuss mitbekommen habe, halte ich diese Causa für abgeschlossen.

Werden Sie das Anti-Korruptionsvolksbegehren unterschreiben?
Solange ich politische Gestaltungsmöglichkeit habe, unterschreibe ich keine Bürgerbeteiligungsinstrumente, denn ich bin als Politiker gewählt und habe meine Gestaltungsinstrumente. Ich halte das Volksbegehren vom Inhalt her für wenig überraschend, denn dem meisten, was da drinnen steht, liegt unsere Verfassung zugrunde, die ich schätze und auf die ich angelobt bin.

Der oberösterreichische Judoka Shamil Borchashvili hat in Tokyo eine Olympia-Medaille gewonnen. Haben Sie ihm schon persönlich gratuliert?
Klar habe ich das gemacht. Wir haben uns schon per WhatsApp ausgetauscht. Wir investieren in den Spitzensport aus guten Gründen  sehr viel, aber es ist letztlich immer eine Frage, wie viel Einsatz der- oder diejenige zeigt. Das ist eine Einstellung, die insgesamt in der Gesellschaft wichtig ist.  

Shamil Borchashvili kam als tschetschenischer Flüchtling nach Wels. Was kann man daraus ableiten zur aktuellen Asyldebatte?
Man kann ableiten, dass es immer darauf ankommt, ob ich mich dort, wo ich eine neue Heimat suche, wirklich integrieren will. Bin ich bereit, die Sprache zu erlernen, die Grundwerte, die dort gelebt werden, zu akzeptieren? Außerdem kann man daraus lernen, dass man nie generalisieren darf. Es gibt nicht die Gruppe X oder Y oder die Herkunft Sowieso, sondern es hängt immer von der Person ab. Personen, die hier heimisch werden wollen, müssen wir fördern und ihnen Angebote machen. Aber wir müssen auch deutlich einfordern, dass akzeptiert wird, wie wir hier leben. Dass mit uns gelebt wird und kein Gegenmodell entwickelt wird. Und bei denen, die das nicht wollen, müssen wir klar sagen: Ende der Fahnenstange.

Corona, Klimakrise, Justiz-Kritik oder das Wiederaufflammen der Migrationsproblematik: Welches dieser Probleme hat das Zeug dazu, Ihr Wahlergebnis am 26. September am stärksten beeinflussen?
Aus Sicht der meisten Menschen ist das massivste Thema, ob der Arbeitsplatz gesichert ist und sich der wirtschaftliche Standort so weiterentwickelt, dass unsere Lebensplanung für die ganze Familie in den nächsten Jahren Perspektiven hat. Es läuft wirklich sehr gut, wir haben Beschäftigungsrekord in Oberösterreich. Aber die Krise ist noch nicht vorbei ist. Eine gewisse Anspannung hat man in der Politik immer, sonst wäre man fehl am Platz.