In der roten Parteizentrale in den Löwelstraße hofft man, das jüngste Debakel am Bundesparteitag aussitzen zu können. Statt sich der Selbstreflexion zu unterziehen, warum ein Viertel der SPÖ-Delegierten der Parteichefin Pamela Rendi-Wagner den Rücken gekehrt haben, empört man sich lieber darüber, dass sich mit Ausnahme des Knittelfelder Bürgermeisters Harald Bergmann am letzten Samstag kein Kritiker zu Wort gemeldet hat.

Kein Besuch in der alten Arbeiterhochburg geplant

Kommende Wochen empfängt die Parteichefin den Bürgermeister zu einem Vieraugengespräch in Wien, ein Besuch in der einst so stolzen Arbeiterhochburg, in der Mur-Mürz-Furche, wo die Lebenserfahrung der roten Basis etwa im Bereich der Migration mit den Vorstellungen der Wiener Parteizentrale kollidiert, steht nicht auf der Tagesordnung. Interviewfragen von Printmedien werden abgelehnt, man wolle lieber in die Zukunft blicken, verteidigt man sich. Kein Wunder, dass dann andere – wie etwa Hans-Peter Doskozil heute im Kurier – ins Vakuum stoßen

Im ORF tischte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner die seltsame Erklärung auf, die 75 Prozent seien besser als das Votum von ORF-Chef Alexander Wrabetz bei der letzten Wahl im Stiftungsrat. „Jeder TV-Auftritt ist eine verpasste Chance, weil sich niemand auch nur einen Satz merkt“, ätzt ein roter Medienprofi.

Friedhofsruhe statt Friede

In der Partei ist weniger Frieden, sondern Friedhofsruhe eingekehrt. „Man lässt sie werken, weil sich niemand aufdrängt“, erklärt ein hochrangiger Insider im Dunstkreis der mächtigsten Landespartei, der Wiener SPÖ. Ein Wechsel würde höchstens im Vorfeld von Neuwahlen über die Bühne gehen, diese zeichnen sich derzeit nicht ab. An den schwarzen Rändern der ÖVP bröckelt es, an der türkisen Basis scheint die Zustimmung zu Parteichef Sebastian Kurz ungebrochen zu sein, so die jüngsten Unique Research-Umfrage. Während sich die ÖVP wieder stabilisiert und der Kanzler an einer großen Sommertour bastelt, schwächelt die SPÖ in den Umfragen.

Grüne wieder im Aufwind?

Das Njet von Verkehrsminister Leonore Gewessler zum Lobautunnel könnte den koalitionsgebeutelten Grünen unverhofft Rückenwind verschaffen - der Lobautunnel ist an der Basis der Wiener Grünen ein ebenso großes Feindbild wie der Kanzler, die Nato oder der Verbrennungsmotor.

Finanzstadtrat Peter Hanke als stille Reserve?

Rendi-Wagners größte Hoffnung ist, dass sich niemand wirklich aufdrängt. Seit dem Parteitag wird Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke immer wieder genannt, der als Grosskoalitionär gilt, sich im Vorfeld von Corona groß abfeiern ließ, erstmals in Wien ein Nulldefizit geschafft zu haben, und eng mit der schwarzen Wiener Wirtschaftskammer unter Walter Ruck zusammenarbeitet.

"Auch Vranitzky hat mit SPÖ gefremdelt"

Der ehemalige Chef der Wien Holding wurde von Bürgermeister Michael Ludwig in die Stadtregierung geholt und wird nicht nur wegen seines Auftretens immer wieder mit dem früheren Bundeskanzler Franz Vranitzky verglichen. „Auch Vranitzky hat mit der Partei gefremdelt und wurde als Nadelstreif-Sozialist verhöhnt“, erinnert sich ein Mitarbeiter an dessen schwierige Anfangsjahre. „Was ihm zu gute kam: Er hat der SPÖ die Kanzlerschaft gesichert.“

Hacker und Doskozil polarisieren

In linken Kreisen genießt Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker Kultstatus, in rechten Zirkeln Burgenlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil. Beide polarisieren allerdings SPÖ-intern Doskozil habe mit seinem Ausscheren aus der Corona-Ostallianz noch dazu Michael Ludwig verärgert. Als mögliche Rendi-Wagner-Nachfolger werden bisweilen ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, Nationalratspräsidentin Doris Bures, Kärnten Landeshauptmann Peter Kaiser genannt. Alle eint ein Handicap: Keinem wird zugetraut, bei Neuwahlen Kurz von Platz eins zu verdrängen. Daran scheiterte der ungleich schillerndere Christian Kern. Dass populäre Parteigranden der SPÖ nicht automatisch Wahltriumphe bescheren, hat Rudolf Hundstorfer bei der Bundespräsidentenwahl vorexerziert.