Der Grüne Wolfgang Mückstein, der nicht nur Gesundheits- sondern auch Sozialminister ist, hatte beim Grünen Bundeskongress am Wochenende aufhorchen lassen: Vor zwei Jahren sei unter Schwarz-Blau die Sozialhilfe Neu eingeführt und inzwischen in fünf Bundesländern umgesetzt worden, "jetzt müssen wir darüber reden": "Wie durch ein Wunder" sei nämlich die Zahl der Sozialhilfeempfänger seither rapide zurückgegangen. "Die sind aber nicht weg, die brauchen uns jetzt."

Die Grünen müssten mit der ÖVP darüber reden, "wie wir das neu aufsetzen". Es gehe dabei vor allem auch um die Armutsbekämpfung, mit der lapidaren Feststellung im Regierungsprogramm, dass man die Armut reduzieren wolle, sei es nicht getan. Nach der Pandemie sei die Frage zu stellen: "Wer zahlt denn eigentlich die Kosten für die Pandemiebewältigung?" Reiche seien in den vergangenen Monaten reicher geworden, Arme ärmer, das wolle er so nicht hinnehmen.

Kritische Beobachter stellen schon länger fest, dass sich die Verwaltungskosten erhöht, die Zahlungen an die Menschen aber in vielen Fällen reduziert haben. "Wir wünschen uns eine Garantieerklärung, dass die Sanierung der Krise nicht auf Rücken der Schwächsten, der Armen passieren darf, nicht auf dem Rücken von Klein- und Mittelverdienern, Mindestpensionisten, kinderreichen Familien, Arbeitslosen oder armutsbetroffenen Menschen", hatte im April dieses Jahres bereits  Caritas-Präsident Michael Landau gefordert. Als große Verliererinnen der Krise erwiesen sich auch die Alleinerzieherinnen - jede zweite ist armutgefährdet.

Mindestlohn in 76 Gemeinden

Interessant dazu eine Meldung des gestrigen Tages: 76 der 171 burgenländischen Gemeinden sind dem Beispiel des Landes gefolgt und haben für ihre Mitarbeiter einen Mindestlohn von 1.700 Euro netto beschlossen. Darunter finden sich auch 16 ÖVP-Ortschaften, wie Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) am Montag nach dem Landesparteivorstand bei einer Pressekonferenz erklärte.

Landesgeschäftsführer Roland Fürst erklärte, dass rund 3.500 bis 4.000 Burgenländer weniger als 1.700 Euro brutto verdienen: "Das ist eine sozialpolitische Schande." Laut einer von der SPÖ in Auftrag gegebenen Umfrage mit 600 Teilnehmern ist der Mindestlohn etwa bei den Unter-30-Jährigen ein "Top-Thema", so Fürst. Der Mindestlohn gehe direkt in den Konsum, zeigte er sich überzeugt und betonte, dass das Thema auch anderswo weiter verfolgt werde.

Wenig Perspektive für Arbeitslose

Die Rufe danach, auf die Schwächsten der Gesellschaft hinzuschauen, hat sich innerhalb der vergangenen Wochen verstärkt. Zum einen sucht die Wirtschaft händeringend Arbeitskräfte, und Umschulungsprogramm lassen hoffen, dass ein Teil der Corona-Arbeitslosen dadurch den Wiedereinstieg schafft. Vielen, insbesondere vielen Langzeitarbeitslosen, ist dieser Weg aber verwehrt: Weil sie nicht geeignet sind, weil sie zur Gruppe der schwerer zu vermittelnden älteren Arbeitslosen gehören, weil sie Betreuungspflichten oder andere Vermittlungshandycaps haben.

Laut Statistik Austria galten 2020 rund 1,2 Millionen Menschen (bzw. 13,9 Prozent der österreichischen Bevölkerung) als armutsgefährdet, die Auswirkungen der Pandemie sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Aufhorchen ließ am Wochenende insbesondere der scheidende Wifo-Chef Christoph Badelt: Wegen des drohenden Anstiegs der Armut infolge der Krise brauche es bestimmte Coronahilfen wie den Härtefallfonds länger und entsprechende Sozialleistungen müssten erhöht werden, so Badelt.

Der scheidende Wifo-Chef sprach sich für eine weitere Einmalzahlung beim Arbeitslosengeld aus. Das koste nicht so viel, helfe aber viel. Ebenso seien aufgrund der Coronakrise viele Ein-Personen-Unternehmen (EBU) und Selbstständige armutsgefährdet. Hier gebe es eine Lücke im Sozialsystem. Daher dürfe man den Härtefallfonds jetzt "auf gar keinen Fall stoppen", warnte Badelt.

Sorgen macht sich Badelt insbesondere auch über die Jugend: Ein viel zu hoher Anteil an Jugendlichen sei aufgrund eines Bildungsrückstandes nicht fähig, eine Lehre zu beginnen.

Volksbegehren für höheres Arbeitslosengeld

Schwarze und grüne Gewerkschafter haben sich indes mit sozialdemokratischen Arbeitnehmervertretern, katholischen ArbeitnehmerInnenvertreter und Sozialwissenschaftler zu einer Allianz verbunden: Unter dem Titel "Arbeitslosengeld Rauf" wurde ein Volksbegehren ins Leben gerufen, für das derzeit um Unterstützungsunterschriften geworben wird. Man kämpft unter anderem für eine Anhebung der Nettoersatzrate von 50 auf 70 Prozent. Die Hälfte der österreichischen Arbeitslosen erhält weniger als 980 Euro pro Monat als Arbeitslosengeld. Die Armutsschwelle liegt bei 1.300 Euro.