Die Grünen werden ihren Parteichef auch künftig nicht per Urabstimmung wählen. Beim Bundeskongress der Partei am Sonntag in Linz erhielt ein entsprechender Antrag überraschend nicht die nötige Zweidrittelmehrheit, sondern nur 62,7 Prozent der Delegiertenstimmen. Auch das Bestimmungsrecht des Bundessprechers über zwei vordere Listenplätze für Bundeswahlen kommt damit nicht. Die Statutenänderung war ein deklarierter Wunsch von Bundessprecher Werner Kogler.

Der Vizekanzler war heute im Ö1-Morgenjournal zu Gast und nahm Stellung zur Ablehnung der geplanten Statutenänderung, was eine Urabstimmung über den Parteichef durch den Bundeskongress sowie gleichzeitig mehr Mitspracherecht bei prominenten Listenplätzen betrifft. Auf die Frage, ob es für die Delegierten eventuell zuviel Machtverlust gewesen sein könnte, meint Kogler: "Das ist ein typischer Diskussionsprozess bei den Grünen, den ich sehr begrüße. Da war eine Reihe von offenen Fragen, die ich verstehe", so der Vizekanzler. Diese müssen nun besprochen werden. "Da geht es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um eine vernünftige und ehrliche Diskussion".

Die Justizattacken von Koalitionspartner ÖVP sieht Kogler als "falschen Weg". Die Grünen "rauschen nicht mit", sie "halten dagegen". Den SPÖ-Vorschlag zum erleichterten Staatsbürgerschaftszugang hält der Grünen-Chef trotzt ÖVP-Ablehnung weiter für diskussionswürdig.

"Wir stabilisieren das Land in der Mitte"

Dem charismatischen oberösterreichischen Parteichef Stefan Kaineder blieb es am Sonntag vorbehalten, den Grünen Bundeskongress im Linzer Design-Center einzupeitschen: Das Land klimaneutral zu machen, das sei der historische Auftrag der Grünen. "Wir werden es tun, Scheitern ist keine Option!"

Das sei der Grund, warum es die Grünen in der Regierung gebe, und warum sie dort auch weiterhin bleiben werden, trotz aller "ungustiösen Chats". "Ist Euch aufgefallen? Wir stabilisieren das Land in der Mitte", rief Kaineder den Delegierten zu. Und löste damit einen kurzen Moment des Innehaltens aus, inmitten des immer wieder aufbrandenden Jubels für den energiegeladenen oberösterreichischen Wahlkämpfer.

"Unser Rockstar"

Kaineder, von der Moderatorin als "unser Rockstar" begrüßt, malte den Grünen Mitstreitern ein Bild, das Bild seiner Großeltern, die vor dem heimatlichen Bauernhof auf der Sonnenbank sitzen. "Sie haben hart gearbeitet, und sie waren nie reich. Aber sie waren glücklich und zufrieden, weil sie ihren historischen Auftrag erfüllt haben, jenen, aus einem Land des Krieges und der Zerstörung eines des Friedens, des Wohlstandes und der Menschenrechte zu machen."

Auch die heutige Generation habe Großes vor sich, nämlich das Land innerhalb von 20 Jahren klimaneutral zu machen. Und der Bundesvorsitzende, Werner Kogler, beeindrucke ihn jeden Tag, wie er gemeinsam mit den Mitstreitern in der Regierung die Ärmel aufkremple, um diesen Auftrag zu erfüllen.

Am 26. September wird in Oberösterreich der Landtag neu gewählt. "Dort haben wir immer noch eine Ibiza-Koalition", rief Kaineder allen anderen Erinnerung, eine ÖVP-FPÖ-Regierung mit einer Stärke von zwei Dritteln im Landtag. Das Konjunkturpaket, um der aktuellen Wirtschaftkrise entgegen zu wirken, schaue entsprechend aus. "Aber wir brauchen keine Betonregierung, wir brauchen eine Zukunftsregierung im Landhaus."

Der oberösterreichische "Rockstar", Stefan Kaineder, Landesrat und Wahlkämpfer mit energiegeladenem Blick auf den 26. September
Der oberösterreichische "Rockstar", Stefan Kaineder, Landesrat und Wahlkämpfer mit energiegeladenem Blick auf den 26. September © FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM

Kogler spielte den Ball danach weiter. Nicht nur er, sondern viele Menschen, insbesondere auch viele Angehörige der "next generation", hätten die Ärmel aufgekrempelt, um die Gründungsphilosophie der Grünen als "Bündnispartei", als Bewegung, die Bündnisse mit den Menschen suche, fortzuschreiben.

Von Gefühlen überwältigt

Schon am Vortag und am Vorabend waren die Grünen von ihren Gefühlen überwältigt worden  -  schlicht deshalb, weil es zum ersten Mal nach langer Zeit wieder erlaubt war, zusammenzukommen. Das Virus war präsent - im Tagungsraum "saß" auf jedem zweiten Stuhl ein Babyelefant, die Maske wurde nur am Rednerpult abgenommen. Und dennoch: "Erwärmende Tage", wie Kaineder formulierte.

Diese Wärme wurde auch spürbar als sich Kogler in herzlichen Worten bei Rudi Anschober, dem ehemaligen Gesundheitsminister, bedankte, "von dem wir hoffen dürfen, dass er heute vorbeischaut". Doch dann wandte sich der Vizekanzler dem zu, was viele Funktionäre und Sympathisanten während der vergangenen Monate weniger belustigte, nämlich die Irrungen und Wirrungen im Umfeld der Justiz.

Angriffe als Bumerang

Kogler mahnte, gelassen zu bleiben. "Verantwortungsbewusstsein und Selbstbewusstsein, darauf kommt es an!" Er wisse schon, dass es in der Kommentatoren-Loge oft lustiger sei, und dass er an dieser Stelle auch weniger Applaus bekommen werde, "aber schaut doch hin: Es funktioniert, weil wir Grüne regieren."

Die Angriffe auf die Justiz hätten sich als "Bumerang" erwiesen, diese werde personell aufgestockt und gestärkt. Justizministerin Alma Zadic stelle sich vor die unabhängige Justiz, und Teil der liberalen Demokratie sei es, dass sich jeder, der sich ungerecht gerecht behandelt fühle, beschweren dürfe, auch die ÖVP. "Auch ich habe damals die Staatsanwaltschaft kritisiert, als bei den Eurofightern nichts weitergegangen ist".

Allianzen mit Schützenhöfer & Co.

Man müsse die Justiz nur arbeiten lassen, Zadic sei die Garantin dafür. Und die Vorgänge hätten auch einen "Selbstreinigungsprozess" in der Justiz ausgelöst. Im übrigen fänden sich ausreichend Allianzen. Kogler nannte explizit den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, derzeit Vorsitzender der LH-Konferenz, "mit dem ich ein sehr gutes Gesprächsverhältnis habe": Dieser habe bereits an die eigene Partei appelliert, die Angriffe auf die Justiz einzustellen.

Und auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer habe deponiert, dass sich die Justiz nicht als "Zielscheibe für parteipolitisch motivierte Angriffe" eigne. "Da sind wir ausreichend krisenfest. Die Justiz wird weiter ihren Job machen, ohne Klassenjustiz und ohne Ansehen der Person."

Sonnenschein über dem Grünen Team in Linz: Werner Kogler, Leonore Gewessler, Klubobfrau Sigi Maurer, Andrea Mayer
Sonnenschein über dem Grünen Team in Linz: Werner Kogler, Leonore Gewessler, Klubobfrau Sigi Maurer, Andrea Mayer © FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM

"Nicht von der Sado-Maso-Truppe"

"Grün wirkt", so Kogler, "und darauf kommt es an". Damit war der Grüne Parteichef beim Klimaschutz, dem "historischen Auftrag", knüpfte er an Kaineder an. Es brauche neue Wege, "denn mit den alten fahren wir an die Wand". Das müsse, entgegen einer häufig verbreiteten Vorstellung, keineswegs heißen, dass es den Menschen dabei schlechter gehe als bisher, im Gegenteil. "Wir sind ja nicht von der Sado-Maso-Truppe. Wir sind eine politische Organisation, die das Glück der meisten Menschen erhöhen will". Das sei im Übrigen die politische Grundaufgabe, wie sie schon in der Antike definiert worden sei.

Klubchefin Sigi Maurer ergänzte später: "Seit 30 Jahren steht für uns Grüne die Klimafrage im Zentrum der Politik. Damals wurden wir ausgelacht, heute lacht keiner mehr."

"Rudern statt sudern"

Wie schnell die Transformation gelinge, hänge auch und vor allem von den Grünen ab, so Kogler. "Wenn wir uns aus der Regierung schleichen, dauert es länger." "Transformation statt Depression" - das sei der Slogan, mit dem in die Zukunft aufzubrechen sei. "Österreich ist zukunftsreich, und der Klimaschutz ist unsere Chance. Rudern statt sudern, so können wir unsere Ziele erreichen."

"Wir haben die Verantwortung gesucht, wir haben sie gefunden und wir haben sie genommen", so der Vizekanzler. Sich dafür zu entschuldigen, dass man regiere, sei ein "Blödsinn", denn "besser die Richtigen regieren, als die Falschen".

Kogler ging ab, und Anschober kam, als Gast und außerhalb des Protokolls, unter standing ovations wurde er auf die Bühne geleitet und bedankt, für die Arbeit in der Regierung, und schon zuvor, im Parlament, in der oberösterreichischen Landesregierung. Seine ruhige Art, mit der er das Land durch die Pandemie geführt habe, sei ein wesentlicher Beitrag dazu, "dass wir heute wieder da stehen, wo wir sind, an der Schwelle zur Normalität", formulierte der Vorarlberger Johannes Rauch.

"Du hast dem Land einen Stempel aufgedrückt, von dem wir alle profitieren." Die Herzlichkeit, mit der ihn seine ehemaligen Regierungskollegen begrüßten, schwappte in den Saal über. Es bedurfte keiner weiteren Worte, um die Einigkeit zu beschwören, noch bevor Kogler zum großen Sommerfest zu Ehren von Anschober und der ehemaligen Staatssekretärin Ulrike Lunacek lud.

Nächster Tagesordnungspunkt: die beiden neuen Regierungsmitglieder Andrea Mayer (Staatssekretärin für Kultur) und Wolfgang Mückstein (Gesundheits und Sozialminister), wobei Mayer schon seit mehr als einem Jahr im Amt ist und sich - dank Corona- erst heute die Gelegenheit dafür bot, dass sie auch vom Bundeskongress in dieser Funktion bestätigt wird. Beide wurden einstimmig vom Bundeskongress bestellt.

Danach wurde von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, Klubobfrau Sigi Maurer und Justizministerin Alma Zadic der Leitantrag präsentiert.

Dass darüber erst nach der Mittagspause, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, debattiert wurde, empörte die anwesenden Journalistinnen und Journalisten. Dann wurde doch in deren Anwesenheit diskutiert.

Statutenreform abgelehnt

Wie aber über die geplante Statutenänderung abgestimmt wird, die eine Urwahl des Parteichefs und mehr Mitsprache für diesen bei Kandidatenlisten bringen sollte, durfte man erst am späteren Nachmittag per Presseaussendung erfahren. Der Bundeskongress stimmte gegen die Statutenänderung, die eine Urwahl des Parteichefs vorgesehen hätte. Zuvor war intern stundenlang über die geplanten Änderungen diskutiert worden.

Die Grünen werden ihren Parteichef somit auch künftig nicht per Urabstimmung wählen. Angedacht wäre gewesen, dass künftig die 7.000 Mitglieder der Landesparteien den/die Bundessprecher/in wählen dürfen und nicht nur die rund 280 Delegierten des Bundeskongresses. Bewerben hätte sich jedes Mitglied mit zumindest 100 Unterstützern können. Lange war an der Änderung der Statutenänderung gearbeitet worden, auch bis zum späten Samstagabend war noch diskutiert und der Antrag modifiziert worden. Es gab aber zu viele kritische Stimmen, etwa aus den Landesorganisationen Niederösterreich und Wien sowie vom "zehnten Bundesland" (Minderheiten bzw. Zuwanderer).

Andere Statutenänderungen wurden hingegen mit breiter Mehrheit angenommen. So heißt die Grüne Bildungswerkstatt jetzt Bildungsinstitut, das Parteischiedsgericht nicht mehr "Friedensgericht". Staatssekretäre werden parteiintern als Regierungsmitglieder gewertet und entsprechend in den Gremien berücksichtigt, der Bundessprecher durchgehend gegendert.

Einstimmig für den Leitantrag

Einstimmig akzeptiert wurde der Leitantrag zum Bundeskongress, in dem die Bewältigung der Klimakrise als historischer Auftrag der Grünen bezeichnet wurde. Gefordert wurden neue Wege für Klima, Gesellschaft und Demokratie. Die Generaldebatte dazu - die erst nach Journalistenprotesten öffentlich abgehalten wurde - verlief kurz und weitgehend harmonisch. Kritischste Stimme war Martin Margulies aus Wien, der sich dafür aussprach, die auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich stärker zu berücksichtigen.