"Die Links-Parteien wollen mittels Masseneinbürgerungen die politischen Mehrheitsverhältnisse im Land ändern", sagte ÖVP-Klubchef August Wöginger am Wochenende. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wies dies zurück und sprach von "Angstmache" und "Desinformation" seitens der ÖVP.

Nachdem bereits ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz am Vortag jeder Erleichterung bei den Einbürgerungen eine Absage erteilt hatte, unterstrich Wöginger die Position der Türkisen: "Den linken Parteien geht es in Wirklichkeit einzig und alleine darum, ein Ausländerwahlrecht durch die Hintertür einzuführen und mithilfe von über 500.000 Einbürgerungen eine potenziell neue Wählerschaft zu generieren, die ihnen in Folge eine parlamentarische Mehrheit sichern soll", so der Klubobmann. "Keinen anderen Grund hat der durchschaubare Vorstoß der SPÖ, die Voraussetzungen für den Erhalt der Staatsbürgerschaft drastisch zu reduzieren, der von Seiten der NEOS und Grünen unterstützt wird."

"Zahl 500.000 nicht nachvollziehbar"

Laut Expertensicht ist die Sorge Wögingers "nicht nachvollziehbar". Denn die infrage kommende Personengruppe sei mit rund 90.000 Personen deutlich kleiner, erklärte Gerd Valchars von der Universität Wien im Ö1-"Mittagsjournal". Auch der Integrationsforscher Rainer Bauböck kann die Zahl nicht nachvollziehen.

Derzeit würden rund 225.000 Ausländer bereits sechs bis zehn Jahre in Österreich leben - der Großteil davon EU-Bürger, die ohnehin einen Antrag nach sechs Jahren stellen können, erklärte Valchars am Montag im Ö1-Radio. 90.000 davon kämen aus Drittstaaten - "und wir wissen nicht, wie viele der 90.000 Personen überhaupt das notwendige Einkommen erwirtschaften können und die weiteren Kriterien wie die Deutschkenntnisse oder die Unbescholtenheit erfüllen können. Ich kann nicht beurteilten, wie man auf diese 500.000 kommt, die zusätzlich auf Basis des SPÖ Vorschlages heute oder morgen eingebürgert werden könnten. Das ist mir nicht nachvollziehbar", sagte Valchars.

Ähnlich auch die Einschätzung von Integrationsforscher Rainer Bauböck. Der Obmann der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der ÖAW und Professor am Robert Schuman Centre for Advanced Studies am European University Institute verwies darauf, dass es viele zusätzliche Kriterien gebe, die weitere Hürden darstellen (Einkommen, Unbescholtenheit, Sprachkenntnisse, Rücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft) - damit würde der SPÖ-Vorschlag alleine nicht zu einem Ansturm auf die Staatsbürgerschaft führen.

Kogler: "Am Boden bleiben"

Am Samstag hatte sich auch der Koalitionspartner der ÖVP - in Person von Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler - klar für derartige Lockerungen ausgesprochen. Im "Morgenjournal" von Ö1 Montag früh betonte Kogler, es gebe "diskussionswürdige Elemente" im SPÖ-Vorschlag. Alle mögen "am Boden bleiben", appellierte er an die anderen Parteien. Man möge "den Kern des Anliegens verfolgen". Die Beschwörung von "Masseneinbürgerungen" sei eine "vollkommen überzogene Formulierung".

Wöginger hatte - wie schon zuvor Kurz - betont, die Volkspartei sei der "Garant" dafür, "dass es keinesfalls zu dieser Entwertung der Staatsbürgerschaft kommen wird". Denn es stehe "völlig außer Frage, dass der abstruse SPÖ-Plan in unterschiedlichsten Belangen ein massiver Rückschritt wäre. Als Volkspartei steht für uns fest, dass man sich die Staatsbürgerschaft verdienen muss, eine gelungene Integration ist dafür die wichtigste Voraussetzung".

Die SPÖ wies die Aussagen Wögingers scharf zurück. Bundesgeschäftsführer Deutsch sprach von einer "Politik der Angstmache und Desinformation". "Das Verbreiten von Unwahrheiten ist ein Muster der Rechtspopulisten und zeigt, wie tief die einst staatstragende Partei ÖVP unter Skandal-Kanzler Kurz gesunken ist." Die ÖVP habe "kein Interesse an Lösungen von Problemen, sondern versucht mit billiger Polemik und gezielter Desinformation von ihren eigenen Skandalen abzulenken". Wöginger solle sich daran erinnern, "dass selbst Sebastian Kurz 2013 als Integrations-Staatssekretär an einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts arbeiten ließ, die in die gleiche Richtung ging wie unser aktueller Vorschlag".

SP-Vorschlag "unvollständig"

Bauböck sagte zum SPÖ-Vorschlag, dieser stelle zwar gewisse Erleichterung und eine Liberalisierung dar, er betrachte ihn aber als "unvollständig". Auffallend sei, dass zwar das Recht auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft für im Land geborene Kinder vorgesehen ist (sofern zumindest ein Elternteil mindestens einen fünfjährigen legalen Aufenthalt vorweisen kann). "Was noch nicht berücksichtigt ist, ist dass es viele Kinder gibt, die als Minderjährige nach Österreich kommen - also nicht hier geboren sind, aber Österreich genauso als Heimat betrachten". Es gebe durchaus internationale Beispiele, wo andere Kriterien - wie etwa der Schulbesuch - herangezogen werden.

Fehlen würde im SPÖ-Papier auch eine klare Aussage zur Doppelstaatsbürgerschaft, die in Österreich bis auf wenige Ausnahmefälle nicht erlaubt ist. Österreich gehöre zu den wenigen Staaten weltweit (18 Prozent), die eine Doppelstaatsbürgerschaft weder bei der Einbürgerung noch für im Ausland lebende Staatsangehörige zulassen, so der Experte.

Valchars bezeichnete das SPÖ-Papier als "gute Diskussionsgrundlage", dieses würde Österreich bei der Wartefrist mit sechs Jahren ins europäische Mittelfeld bringen. Die Mehrheit der Staaten bürgere nach fünf oder weniger Jahren ein. Die Einkommenskriterien wären nach dem SPÖ-Modell immer noch relativ streng, sagte er.

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, der maßgeblich an der Ausarbeitung des SP-Papiers beteiligt war, sagte im "Mittagsjournal", er glaube, "dass es nicht immens viel mehr Menschen wären, die ansuchen würden. Es würde nur für jene, die ansuchen etwas früher gehen". Und auch für Kinder, "die hier geboren sind und deren Eltern über fünf Jahre bereits hier wohnen" - dies sei demokratiepolitisch wichtig: "35 Prozent aller Staatsbürgerschafts-Anträge in Kärnten sind von Menschen, die schon hier geboren sind", sagte Kaiser.

Neos nicht dabei

"Einigermaßen verwundert" reagierte der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak auf die Wortmeldung "eines falsch informierten ÖVP-Klubobmann Wöginger". Er verwies darauf, dass NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger im Ö1-"Mittagsjournal" am Vortag gesagt habe, "dass wir den aktuellen Vorschlag zum Thema Einbürgerung nicht unterstützen".

Auch die FPÖ untermauerte am Sonntag ihre Ablehnung gegenüber Lockerungen. Oberösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreter und FPÖ-Landesparteichef Manfred Haimbuchner plädierte vielmehr für Verschärfungen: Ein "mindestens 25-jähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich" müsse vorliegen, damit die Voraussetzungen erfüllt sind. Einen Rechtsanspruch auf Erlangung lehnt er ab.

SPÖ für Rechtsanspruch

Der vergangenen Mittwoch präsentierte (und im SPÖ-Bundesparteivorstand einstimmig beschlossene) Vorschlag sieht einen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft nach sechs Jahren rechtmäßigem Aufenthalt vor - sofern alle weiteren Kriterien erfüllt sind.

  • Bei kurzfristigen Unterbrechungen des Aufenthalts - bis hin zu einem Auslandssemester - soll diese Zeit nachgeholt werden können und nicht dazu führen, dass die Frist von neuem zu laufen beginnt.
  • Wenn ein positiver Asylbescheid erfolgt, soll der Zeitraum angerechnet werden.
  • Bei negativer Entscheidung des Asylverfahrens hingegen soll es keine Möglichkeit zur Beantragung einer Staatsbürgerschaft geben, auch wenn sechs Jahre vergangen sind.
  • In Österreich geborene Kinder sollen automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen, sofern zumindest ein Elternteil fünf Jahre legal im Bundesgebiet aufhältig ist.

Leichte Skepsis kam am Sonntag aber auch SPÖ-intern: Der steirische SPÖ-Landesparteichef und Landeshauptmann-Stellvertreter Anton Lang sagte gegenüber der "Kleinen Zeitung", dass er nicht mit jedem Punkt im SPÖ-Beschluss einverstanden sei, allen voran mit dem Paradigmenwechsel, dass in Österreich Geborene automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten sollen.

Die SPÖ-nahen Kinderfreunde hingegen stellten sich klar hinter die Forderung: "Für uns ist es selbstverständlich, dass Kinder, die hier geboren sind und ihr gesamtes Leben in Österreich verbracht haben, das Recht haben, hier in ihrem Land mitzubestimmen", erklärt Bundesvorsitzender Christian Oxonitsch.

FP-Mandatarin stellte selbst Antrag

Die "Kronen Zeitung" berichtete unterdessen, dass die oberösterreichische FPÖ-Nationalratsabgeordnete Susanne Fürst, deren Partei sich strikt gegen jede Lockerung bei der Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft aussprach, kürzlich selbst einen Antrag für einen ungarischen Pass gestellt habe. "Das war aus rein privaten und beruflichen Gründen", erklärte Fürst gegenüber der "Krone". Die 52-Jährige sei eng in Ungarn verwurzelt, als Rechtsanwältin habe sie zudem oft in Budapest zu tun. Mittlerweile sei die Idee aber wieder vom Tisch. "Der Antrag ist ruhend gestellt", so Fürst zur "Krone"; grundsätzlich sieht das Staatsbürgerschaftsrecht die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen vor.