Ob es gegen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu einer Anklage kommt, ist noch unklar. "So wie ich den Sachverhalt vernommen habe, war seine Aussage tatsachenwidrig", sagt die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Neos-Politikerin Irmgard Griss am Dienstag im ORF-"Report".

Ob das für eine Anklage ausreicht, sei aber "schwer zu sagen". Die Beweislage deute für die Juristin aber darauf hin. "So wie die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auf 58 Seiten dargelegt hat, ist das für mich sehr überzeugend", sagt Griss. 

Kurz müsse bei einer Einvernehmung die Staatsanwaltschaft überzeugen, dass er unwillentlich oder ohne Vorsatz etwas Falsches gesagt hat. Sollte es allerdings zu einem Strafantrag kommen, müsste er aus Sicht von Griss seine Funktion als Kanzler ruhend stellen. Ein angeklagter Bundeskanzler würde "ein ganz schlechtes Bild" abgeben, so Griss. Auch wenn eine Anklage noch nicht heißt, dass eine Person auch verurteilt wird. 

Dass sich auch Juristen in der Causa nicht einer Meinung sind, zeigen die Argumente des Rechtsanwalts und ehemaligen Liste-Pilz-Abgeordneten Alfred Noll. In einem Gastkommentar im "Standard" hält er fest, dass die Unschuldsvermutung über allem stehen müsse.  

"Die Europäische Menschenrechtskonvention sollte eigentlich Leitfaden unseres Handelns sein, und in dieser stehe geschrieben: "Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist", schreibt Noll. Die Essenz dieser "Unschuldsvermutung" sei eben, dass an einen bestehenden Verdacht keine Konsequenzen geknüpft dürften.

Das im Zuge der aktuellen Debatte im Raum stehende Argument, wonach Politiker "höheren moralischen Anforderungen" unterlägen, sei gefährlich, denn: "Wessen Moral wäre denn entscheidend? Die Moral derjenigen, die am lautesten brüllen und sich der Medien als gefällige Verstärker bedienen könnten?"

Griss fordert "klare Worte" von Van der Bellen

Für Griss ist hingegen klar: "Die Anforderungen an Spitzenpolitiker müssen höher sein als an andere. Als Kanzler hat man eine Vorbildfunktion. Wenn sich Menschen in diesen Funktionen sich nicht an Gesetze halten, werden sich auch andere fragen, warum sie sich daran halten sollen", so die ehemalige Richterin. Ein Verbleib im Amt im Falle einer Verurteilung von Kurz wäre für sie daher "völlig inakzeptabel".

Das Argument, dass es sich im konkreten Fall "nur" um eine Verurteilung wegen falscher Zeugenaussage handeln würde, lässt sie nicht gelten. "Es ist wesentlich, dass vor Gerichten und vor dem Untersuchungsausschuss die Wahrheit gesagt wird, sonst kann man sich diese Verfahren sparen", sagt Griss. Falschaussagen müssen dementsprechend für jeden und jede die gleichen Konsequenzen haben. 

Eine Reaktion fordert Griss in der Causa Bundespräsident Alexander Van Der Bellen: "Er muss hier klare Worte finden und begreiflich machen, dass wir in einem Rechtsstaat leben und Gesetze eingehalten werden müssen."