Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat auf die Kritik, dass es für den Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt mehr Geld brauche, mit einer klaren Zusage für mehr Mittel reagiert. "Am Geld wird es nicht scheitern", sagte er am Rande einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien. Wenn es mehr Mittel brauche, werde die Regierung diese einsetzen. "Die finanziellen Fragen werden sich lösen lassen", so Kurz.

Nach der Serie an Frauenmorden haben die zuständigen Minister am Montag ein Maßnahmenpaket gegen die Gewalt in der Privatsphäre präsentiert. So soll künftig der Datenaustausch zwischen den einzelnen Einrichtungen verbessert, die Fallkonferenzen verstärkt und die Tatmotive besser durchleuchtet werden. Zudem soll jede Polizeiinspektion in ganz Österreich über speziell ausgebildete Präventionsbeamte verfügen, kündigte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an.

Bei Stalkingvorfällen sollen nach einer Anzeige die Opfer etwa proaktiv von Gewaltschutzeinrichtungen kontaktiert werden können. Die notwendige gesetzliche Anpassung soll so rasch wie möglich umgesetzt werden, hieß es.  Nächste Woche soll es jedenfalls einen Runden Tisch der Regierung geben. Hier sollen - im Gegensatz zum Gewaltschutzgipfel am Montag - auch die Opferstellen eingeladen werden.

Opferschutz kritisiert Maßnahmenpaket

Die Reaktionen auf die Ergebnisse des Gewaltschutzgipfels fielen eher skeptisch aus. Vertreterinnen der Opferschutzeinrichtungen (Österreichischer Frauenring, autonome Frauenhäuser und Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie) hatten im Vorfeld 230 Mio. Euro pro Jahr sowie 3000 Arbeitsstellen für den Opferschutz gefordert. Davon sei gestern beim Gewaltschutzgipfel jedoch nichts zu hören gewesen, so die Kritik des Opferschutzes im Ö1-Morgenjournal. Ein "Maßnahmenpaket ohne Budget" sieht der Verein autonomer Frauenhäuser. Nicht notwendig sei hingegen Motiv- und Herkunftsforschung bei Tätern, so der Österreichische Frauenring. Meist komme es im Zuge einer Trennung zur Gewalteskalation, das sei auch eine Machtfrage, die in jeder Kultur vorkomme.

Frauenministerin Susanne Raab erläuterte im ORF-Radio, dass man beim Gewaltschutz auf unterschiedlichen Ebenen arbeite und es ein umfassendes Maßnahmenpaket brauche. Auf die Frage, warum das Frauenbudget, das 2020/2021 bei nur 14,5 Millionen liege, nicht erhöht werde, entgegnet die Frauenministerin: "Das Frauenbudget ist in den letzten 18 Monaten fast verdoppelt worden, ein Großteil davon ist in den Opferschutz geflossen." Dass die Fördermittel für die Frauen- und Opferschutzvereine zuvor, unter Schwarz-Blau, erheblich gestrichen wurde, sagte sie nicht dazu. Nur 15 Millionen Euro werden derzeit für die Präventionsarbeit ausgegeben.

Raab sei es sehr wichtig, den Gewaltschutz auszubauen. Man müsse sich in diesem Zusammenhang auch ansehen, wie es zu Gewalteskalationen komme: "Hat es schon Wegweisungen gegeben, gab es psychische Störungen, Alkohol-, Drogenmissbrauch?". Auch "patriarchale Ehrkulturen, die wir in Österreich nicht haben wollen", müssten geklärt werden, sagt Raab.

Klaudia Frieben vom Österreichischen Frauenring hatte zuvor Klage darüber geführt, dass sie sich seit Monaten nicht mehr in die Bemühungen um den Gewaltschutz eingebunden fühle. Darauf reagierte auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen – er und seine Frau Doris laden heute zu einem Gespräch in die Hofburg.

Fokus auf Präventionsarbeit

Immerhin: Die Zahl der mit Präventionsarbeit beauftragten Polizeibeamten soll von 500 auf 800 erhöht werden, so Nehammer beim Gewaltschutzgipfel am Montag. Und Zadic will per Erlass sicherstellen, dass Beweise besser gesichert werden, um mehr Verurteilungen zu erwirken.

Es ist jedenfalls das fehlende Geld und das mangelnde Personal, das die Opferschutzarbeit in Österreich so schwierig macht. Klaudia Frieben, Maria Rösslhumer (Frauenhäuser) und Rosa Logar (Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie) nennen Beispiele:

  • Die vorgeschriebene Gefährdungseinschätzung bei jedem Fall von häuslicher Gewalt findet oft nicht statt. „Fortgesetzte Gewaltausübung“ würde ein Strafausmaß von drei Jahren bedingen, doch nach der Vorgeschichte wird bei der Polizei oft gar nicht gefragt, sagt auch Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht in Wien.
  • Die Hochrisiko-Fallkonferenzen, unter Schwarz-Blau abgeschafft, gibt es wieder, aber es liegt an der Polizei, sie einzuberufen, und das fand heuer noch kein einziges Mal statt. Die Opferschutzeinrichtungen fordern ein Antragsrecht.
  • Der Schutz von Frauen und Kindern vor amtsbekannten Tätern ist unzureichend. Beclin weist darauf hin, dass es andererseits oft auch mehrere Fälle von leichter Körperverletzung sind, die die Alarmglocken schrillen lassen sollten. Es fehle an Anti-Gewaltprogrammen und Unterstützung bei Trennungen. „Der Täter muss schon im Vorfeld merken, dass es der Staat ernst meint.“
  • Die Polizei gehe Anzeigen oft nicht nach, informiere die Betroffenen nicht über ihre Rechte, verhänge keine Betreuungsverbote, weil alles viel Arbeit und der Apparat überlastet sei,  sagen die Opfer-Beraterinnen.
  • In vielen Spitälern gibt es immer noch keine Opferschutzgruppen, die für die Dokumentation der Verletzungen sorgen, obwohl diese Gruppen gesetzlich vorgeschrieben seien.
  • Bewährungshelfer etwa hätten 35 Fälle zu betreuen, die Beraterinnen in Wien 310 Opfer pro Jahr.

Das Resümee: „Die Frauen fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.“