Dienstagnachmittag in Bregenz: Acht Menschen liegen in Vorarlberg mit einer Corona-Erkrankung auf der Intensivstation, 27 Betten sind noch frei. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 237. Das ist der schlechteste Wert in ganz Österreich. Im Bregenzerwald gilt eine Ausreisetestpflicht, seit Dienstag werden alle Oberstufenklassen wieder im Distance Learning geführt. In dreizehn Orten, darunter Lustenau, herrscht jetzt Maskenpflicht im Freien. Die Gastronomie hat aber – wie in der gesamten „Modellregion“ Vorarlberg – weiter offen.

Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) will das beibehalten. "Die Öffnungen haben kaum Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen", sagt Wallner. Die Ages habe keinen Zusammenhang zwischen Gaststätten und Infektionszahlen erkannt. Im Gegenteil: Weil in der Gastronomie streng kontrolliert werden kann, seien Gastronomie-Besuche sicherer als Treffen zu Hause. Außerdem, sagt Wallner am Dienstag, sei die Frage nach der Schließung der Gastronomie immer auch eine wirtschaftliche Entscheidung: Man wolle keinen Betrieb zum Zusperren zwingen, wenn es aus gesundheitlicher Sicht nicht unbedingt nötig sei.

Im 600 Kilometer weit entfernten Wien liegt die Inzidenz am Dienstag bei 175. Vor einem Monat war sie beinahe doppelt so hoch. Ein harter Lockdown seit 1. April hat die Zahlen gedrückt. Immer noch liegt in mehr als jedem dritten Intensivbett in Wien ein Mensch, der an Covid erkrankt ist. 186 sind es insgesamt. „Die Situation entspannt sich, aber ist weiterhin ernst zu nehmen“, sagt Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Nach Beratungen mit Experten, Medizinern und Pflegefachleuten hat er sich dazu entschieden, die strengen Ausgangsbeschränkungen am 2. Mai auslaufen zu lassen. Geschäfte, Frisiersalons, Museen und der Tiergarten werden wieder aufsperren. Offen bleiben werden sie nur, wenn sich die Situation nicht wieder verschlechtert.

Ob alle Bereiche – auch die Gastronomie – wie von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angekündigt am 19. Mai aufsperren können, lässt Ludwig für Wien offen. Er will jetzt genauer erheben lassen, wo sich die meisten Menschen anstecken. Zwar wisse man, dass das häufig in Familien passiert, aber: „Ich frage mich immer: Wie kommt das Virus in die Familie?“, sagt Ludwig im Wiener Rathaus: „Das wird ja dort nicht wie ein Schwammerl aus dem Boden wachsen.“

Michael Ludwig und Christoph Wiederkehr (Neos): "Virus wächst nicht wie ein Schwammerl aus dem Boden"
Michael Ludwig und Christoph Wiederkehr (Neos): "Virus wächst nicht wie ein Schwammerl aus dem Boden" © (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)

Fürs Öffnen oder Schließen sind nun die Landeshauptleute zuständig. Sebastian Kurz feiert unterdessen den "Impfturbo". Im Bundeskanzleramt empfängt er mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) den Österreich-Geschäftsführer von Pfizer. Sie feiern eine Million Impfdosen, die früher geliefert werden als erwartet. „Das ist der Weg in die Normalität“, sagt Kurz. Mückstein rechnet vor: Bis Ende April könnten 33 Prozent der über 16-Jährigen geimpft sein, bis Ende Mai 50 und bis Ende Juni 75 Prozent. Exakt vier Monate nachdem die ersten Menschen in Österreich gegen Corona geimpft wurden, ist die Regierung um gute Nachrichten bemüht.

Sebastian Kurz und Wolfgang Mückstein: "Impfturbo gestartet"
Sebastian Kurz und Wolfgang Mückstein: "Impfturbo gestartet" © (c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)

Ein paar Meter weiter, im Ausweichquartier des Parlaments, werden jene Wochen aufgearbeitet, in denen es noch keine guten Nachrichten zum Impfen gab. Clemens Martin Auer, jener Spitzenbeamte im Gesundheitsministerium, der nach Kritik an der Impfstoffbeschaffung seine Position verließ, gab laut Oppositionsparteien im (nicht-öffentlichen) „kleinen U-Ausschuss“ zu Protokoll: Er habe nicht im Alleingang entschieden, dass Österreich nicht das volle Kontingent an Pfizer-Impfstoffen ausschöpfte. Anschober und auch Kurz seien, so wird aus dem U-Ausschuss berichtet, informiert gewesen. Er habe außerdem einen Kostendeckel für die Impfstoffbeschaffung gehabt. "Wenn Kurz sagt, er sei ahnungslos, dann ist er selbst dafür verantwortlich", schlussfolgert der Neos-Abgeordnete Douglas Hoyos. Der ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger berichtet anderes: Es habe keinen Kostendeckel gegeben. Überhaupt: Was in der Sitzung gesagt werde und was danach von der Opposition darüber berichtet werde, sei wie Tag und Nacht.

Die Kluft ist groß: zwischen den Interpretationen des Weges der Impfstoffbeschaffung. Zwischen den Infektionszahlen und den Maßnahmen. Und zwischen der Coronapolitik von Wien und Bregenz.