Unter dem Titel "Der Kanzler im Korruptionssumpf" richtet die SPÖ heute 72 "dringliche" Fragen zur Öbag-Affäre an Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried und SPÖ-Bundesrat Ingo Appé haben am Vormittag in einer Pressekonferenz erklärt, warum die Causa so schwerwiegend ist. Sie sehen Kurz in einem "Sumpf aus Postenschacher, Lügen, Korruption und Seximus". Leichtfried: "Die Regierung hat die Kontrolle über die Pandemie und über sich selbst verloren."

Aus den Chatverläufen vom damaligen BMF-Generalsekretär Thomas Schmid mit Kanzler Kurz, Minister Gernot Blümel und weiteren Personen aus dem engsten Kreis von Kurz ist für Leichtfried und Appé ersichtlich, dass Kurz im Ibiza-Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt hat. Es sei erwiesen, dass Schmid sich in seiner führenden Funktion im Finanzministerium den Posten des ÖABG-Alleinvorstands geschaffen und Kurz ihm diesen Posten zugeschanzt habe.

Was die Chat-Protokolle über den Umgang mit der Kirche und den Frauen verraten, lesen Sie hier.

Die erste SPÖ-Rednerin Korinna Schumann ergriff die Chance beim Schopf: Nachdem auch die Grünen auf Distanz zu Schmid gegangen seien, hoffe sie, dass ein Vier-Parteien-Antrag für seine Abberufung durchgehen werde. Eine Zustimmung der Grünen gab es allerdings nicht nicht.

Der Bundeskanzler habe offenbar zuviel "House of Cards" geschaut,  aber das türkise Kartenhaus breche in sich zusammen, so Schumann.  Die türkisen Slogans ("Leistung muss sich lohnen", der "neue Stil", die Absage an die "soziale Hängematte") hätten sich erledigt, die Regierung habe Jobausschreibungen passend gemacht, türkise "Familienmitglieder" empfohlen und für diese Einkommen geschaffen.

Schumann sprach auch die sexistischen Aussagen über die Auswahl weiblicher Aufsichtsratsmitglieder an: "Ist das der Ton, der in Ihrem Umfeld gepflegt wird? Wird so über Frauen gesprochen? Was heißt denn das für Ihr Regierungsteam?"

Auch, dass Schmid und Kurz "Vollgas geben" wollten, um die katholische Kirche unter Druck zu setzen, sei nicht nachvollziehbar. "Was ist denn das für ein Stil? Da sind wir bei der Gretchenfrage: Wie hast Du's mit der Religion?" Alles miteinander sei "genant" und werfe viele Fragen auf - aktuell gezählt 72.

"Keine Korruption"

Der Kanzler, Sebastian Kurz, hörte mit stoischer Miene zu. Um danach festzustellen: "Es wird Ihnen nicht gelingen, mir Korruption und strafrechtliche Handlungen vorzuwerfen."

Personalentscheidungen gehörten zur Politik dazu. Das Öbag-Gesetz sei mit den Stimmen der SPÖ beschlossen worden, "und das ist gut so". Auch der Vorstand sei einstimmig beschlossen worden.

Entscheidend sei, wie erfolgreiche eine Organisation sei, "und der Wert der Öbag ist um fünf Milliarden gestiegen". Die Beantwortung der Fragen ergab keine erhellenden Informationen.

Die Opposition "badete" in den peinlichen Chats. Stefan Schennach (SPÖ Wien) dokumentieren sie den "Zusammenbruch eines Sittenbildes". Die Frage sei nur, ob es der ÖVP nur "am moralischen Überbau" fehle oder ob man es auch ideologisch mit einer "Leermeldung" zu tun habe.

Von "Familie" in Zusammenhängen wie diesen spreche man sonst nur in Sizilien oder Kalabrien: "Herr Kanzler, Sie sind der Strippenzieher dieser Günstlingswirtschaft." Quer durch die Medienlandschaft bilde sich das Entsetzen ab, auch über die Grenze hinaus, da zwei der "ausgebooteten" Bewerber von damals deutsche Staatsbürger seien.

Als Beispiele für "mutige Frauen" in der ÖVP nannte Schennach Maria Fekter, Maria Rauch-Kallath, Marga Hubinek. "Was ist heute los mit den ÖVP-Frauen? Wieso lassen Sie diesen Sexismus einfach durchgehen?"

"Frauenbild, das angemessen ist"

Karl Bader (ÖVP Niederösterreich) parierte: "Wir vertreten ein Frauenbild, das angemessen und zeitgemäß ist." Die SPÖ lenke nur ab von ihrer Nicht-Bereitschaft, die Corona-Maßnahmen mitzutragen. Bader rieb sich an ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, der "mitgepielt hat" bei den Verhandlungen über das Öbag-Gesetz.

Auch Bader wurde emotional: Der SPÖ gehe es nur darum einen erfolgreichen Manager und einen erfolgreichen Bundeskanzler wegzubringen, "der durch Wahlen nicht zu biegen ist". "Sie sind von blinder Wut getrieben."

Für Johannes Hübner (FPÖ Wien) ging die Beantwortung der Fragen völlig am Thema vorbei: "Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit, man gaukelt den Leuten vor, dass objektiviert wird und streut ihnen doch nur Sand in die Augen." Ja, natürlich habe es eine Ausschreibung gegeben, aber eben nur zum Schein. Laut Stellenbesetzungsgesetz sei sogar vorgeschriebe, dass Posten ausschließlich nach fachlicher Qualifikation zu vergeben seien, und nicht nach Vertrauen, Parteifarbe oder Sozialpartnerzugehörigkeit. Es halte sich nur keiner daran.

Marco Schreuder (Grüne Wien) geißelte lieber Machtmissbrauch der absolut regierenden SPÖ in der Vergangenheit in Wien als die ÖVP, aktuell Regierungspartner der Grünen. Der Bundesrat sei weder für die Aufklärung strafrechtlicher Vorwürfe noch für die Klärung der politischen Verantwortung zuständig, sondern nur für die Schaffung von Gesetzen, die die Rahmenbedingungen definieren. Die hässliche Fratze der Korruption, die im Ibiza-Video zu sehen gewesen sei, motivier ihn, die Regierung zu verteidigen, die etwa ein Informationsfreiheitsgesetz schaffe.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Karl-Arthur Arlamovsky (Neos Wien): Postenschacher habe es auch vor der aktuellen Regierung gegeben, aber letztere haben versprochen, damit Schluss zu machen, das sei der Unterscheid. "Es geht um das Ansehen und das Vermögen der Republik." Die Chats zeigten vor allem eines: "wie die Republik Österreich zu einer Kurz-AG umgebaut wurde".

"Frauen, die steuerbar sind"

Elisabeth Grossmann, Frauensprecherin der steirischen SPÖ, rief das Ibiza-Video in Erinnerung, das alle schockiert habe, auch den Kanzler. "Aber während Strache & Co in Ibiza in Balzlaune davon geredet haben, was sie gerne täten, wenn sie könnten, haben wir es jetzt mir praktischen Beispielen zu tun, was aus solchen Allmachtsphantasien wird!"

Die geradezu intim anmutenden Chats dokumentierten eine "Bankrotterklärung des politischen Anstandes". "Dem österreichischen House of Cards, oder House of Kurz, haftet der Geruch von Freunderlwirtschaft, Gier, Maßlosigkeit und Sexismus an."

Zu diesem "House of Kurz" gehöre auch ein klares Freund-Feind-Schema, und insbesondere Frauen sollten offenbar vor allem eines, nämich "gut steuerbar" sein. "Dieses informelle Qualifikationsprofil von Aufsichtsrätinnen ist ein Skandal!" Kein Wunder, so Grossmann, dass sich kaum Frauen fänden, die sich für so etwas hergeben.

Josef Ofner (FPÖ Kärnten) amüsierte sich über den Flankenschutz von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner für Kurz: "Wennman schon ein Manöver mit Blend- und Nebelgranaten startet, dann soll es offenbar wenigstens von höchster Stelle beobachtet werden." Das "Kaufhaus Österreich" habe eine neue Bedeutung bekommen, es handle sich offenbar um das "Projekt Ballhausplatz", bei dem man sich kaufen können, was man will, verbunden mit Machtrausch, Abhängigkeit, Verschleierung und Manipulation.

Ofners verbale Ausritte ("das wurde akribisch vorbereitet, unterstützt von einer Rasselbande mit mafiösen Tendenzen, aber das Sagen hat immer noch der Pate", "auch die Mafia glaubt, sie ist eine ehrenwerte Familie") wurden mit Ordnungsrufen bedacht. Thomas Schmid als dem "Mann fürs Grobe" sei man offenbar zu Dank verpflichtet und er habe sich "seine Öbag selbst zusammenzimmern" dürfen. Kurz solle als Kanzler zurücktreten, so wie er es vor zwei Jahren von Vizekanzler Strache eingefordert habe.

"Politik und Aufsichtsrat am Zug"

Schon tags zuvor hatte der SPÖ-Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss, Jan Krainer, sofortige Konsequenzen gefordert. Er sieht für Gernot Blümel nur noch eine Aufgabe als Finanzminister: „Finanzminister Blümel muss Schmid abberufen und dann selbst zurücktreten.

Der Stein des Anstoßes

Am 21. Februar 2019 wurde die Spitzenposition für die Öbag ausgeschrieben. Als neuer Chef wurde bereits zuvor wiederholt Thomas Schmid, als Generalsekretär im Finanzministerium selbst Vater der Reform, gehandelt. Am 27. März 2019 folgte dann tatsächlich die Bestellung, bereits damals wurde Kritik am „Postenschacher“ laut.

Als Intimus diverser VP-Granden – von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel über Vizekanzler Michael Spindelegger bis hin zum jungen Wilden, Sebastian Kurz – hatte Schmid die Öbag gezimmert und sich selbst seinen künftigen Job dort ausgeschrieben, als Alleinvorstand, der auch selbstherrlich über Beteiligungen entscheiden kann. Er habe die Aufsichtsräte ausgesucht und in seinem Sinne beeinflusst, die Bestellung sei mit Finanzminister und Bundeskanzler von langer Hand geplant gewesen, sagt die Opposition, allen voran die Neos mit Parteichefin Beate Meinl-Reisinger und der an vorderster Front agierenden Abgeordneten Stefanie Krisper.

Der SMS-Verkehr dokumentiere, dass der Kanzler diesbezüglich im U-Ausschuss die Unwahrheit gesagt habe. Als Erstes sei Schmid abzuberufen. „Der Aufsichtsrat muss handeln.“ Ansonsten müsse die Politik den Aufsichtsrat abberufen.

Ball an Schmid gespielt

Im Laufe des gestrigen Tages wurde klar: Die Grünen, obgleich Regierungspartner, halten es nicht durch, auf Tauchstation zu gehen. „Herr Schmid wird auch selbst überlegen müssen, ob er unter diesen Umständen seine Aufgaben noch ausführen kann“, sagte Vizekanzler Werner Kogler am Abend im Puls4-„Bürgerforum“.

Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer schlug zuvor in eine ähnliche Kerbe. "Ich wäre an seiner Stelle schon längst zurückgetreten, um Schaden von den Unternehmen abzuwenden, für die ich verantwortlich bin", sagte Maurer etwa in den "Salzburger Nachrichten". Die Optik sei "problematisch", Schmid scheine "mit großer Schamlosigkeit vorgegangen zu sein". Fast gleichlautend äußerte sich David Stögmüller, grünes Mitglied im Ibiza-Untersuchungsausschuss, in den "Oberösterreichischen Nachrichten". 

Absicht oder Unwissen?

Der Aufsichtsrat bleibt im Off. Man sieht sich nicht von „Verdachtsmomenten gegen Schmid“ betroffen. Es gebe keine neuen Erkenntnisse im strafrechtlichen Verfahren gegen Schmid.

Absicht oder Unwissen? Es geht nicht um die strafrechtliche Verantwortung, sondern, abseits des politischen Handelns, um die Verantwortung des Aufsichtsrats per se, der laut § 4 Stellenbesetzungsgesetz für die Bestellung zuständig ist und die Stelle des Alleinvorstandes „ausschließlich auf Grund der Eignung der Bewerber“ zu besetzen gehabt hätte.

§ 5 schreibt vor, dass „die Namen aller Personen, die an der Entscheidung über die Besetzung mitgewirkt haben“, zu veröffentlichen sind, im Amtsblatt der „Wiener Zeitung“. Der nun veröffentlichte SMS-Verkehr legt nahe, dass – trotz gegenteiliger Aussagen auch im U-Ausschuss – sowohl Kurz als auch Ex-Finanzminister Löger mitgemischt haben, mit Wissen des heutigen Finanzministers Blümel. Die Neos bringen eine „Sachverhaltsdarstellung“ ein, um den Kanzler der Unwahrheit zu überführen.

Der Aufsichtsrat schweigt

Wer sind die Mitglieder des Aufsichtsrates? Das ist zum einen der Vorsitzende, Helmut Kern, ehemaliger Leiter des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien. Er zieht sich auf die Position zurück, "dass es in der politischen Auseinandersetzung kaum inhaltliche Kritik an der Öbag und ihrem Management gibt". Dies zeige, dass die Öbag grundsätzlich "auf dem richtigen Weg ist". Und dies wiederum sei das Verdienst des "aktiven Beteiligungsmanagements" unter Thomas Schmid.

Die Kulisse, die durch die Ermittlungen in Zusammenhang mit der Casino-Affäre (der Verdacht steht im Raum, dass die Bestellung von Schmid das Gegengeschäft zur Bestellung des FPÖ-Mannes Sidlo als Finanzvorstand der Casinos Austria (Casag) war) und durch die jüngste SMS-Affäre grell ausgeleuchtet wird, sei "nicht meine Wirklichkeit". Schmid sei als erfolgreicher Bewerber aus einer "sehr kompetitiven Stellenausschreibung" hervorgegangen.

Neben Kern zählen auch Susanne Höllinger und Iris Ortner zu jenen Aufsichtsräten, die aus den sogenannten "bürgerlichen Kreisen", also dem ÖVP-Nahebereich kommen. Sie sollen allerdings sehr genau nachgefragt haben, als Zwischenergebnisse aus den Ermittlungen rund um die Casag und sowie Details aus den Befragungen im U-Ausschuss die Runde machten.  Auf der "Haben-Seite" stehen bei Schmid das toughe Management rund um Glücksspielkonzern und staatliche Luftfahrtunternehmen in Corona-Krisenzeiten.

Höllinger und Ortner sind "Gesprächsgegenstand" in den nun publik gewordenen SMS. Ortner soll schon vor dem Hearing mit den Kandidaten für den Öbag-Alleinvorstand bei einem lockeren Abendessen mit dem Kanzler Gelegenheit erhalten haben, den später zum Zug gekommenen Thomas Schmid "kennenzulernen". Für Höllinger wurde laut Chat-Protokoll ein "Termin mit Sebastian" gemacht, um dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten "ein gutes Gefühl" bei ihr haben.

Die weiteren Kapitalvertreter im Aufsichtsrat sind neben Kern, Höllinger und Ortner, die Kern-Stellvertreter Karl Ochsner, Treuzeuge von Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Karl-Heinz Strache, und Ex-Hofer-Chef Günther Helm, sowie Ex-Strabag-Manager Christian Ebner, noch früher Kabinettschef bei FPÖ-Minister Hubert Gorbach. Außerdem sitzen noch drei Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, Helmut Köstinger, Herbert Lindner und Werner Luksch.

ÖGB-Chef Wolfgang Katzian war in den Bestellungsprozess der Arbeitnehmervertreter involviert. Er freute sich darüber, dass diese nunmehr überhaupt wieder mit im Boot waren, denn in der Vorgängergesellschaft ÖBIB war - nach der Transformation der vorherigen ÖIAG - gar kein Aufsichtsrat, und damit kein Mitspracherecht der Arbeitnehmervertretung, mehr vorgesehen, obwohl diese Umwandlung unter einem SPÖ-Kanzler vollzogen wurde.

Drei Betriebsräte aus den drei größten Staatsunternehmen – nämlich Post, Telekom und OMV – wurden 2019 also in den Aufsichtsrat der Öbag entsandt. Dieser wählte Schmid im Anschluss zum Alleinvorstand - auch mit den Stimmen aus der roten Hemisphäre.