Sie haben Postenbesetzungen in Staatsbetrieben untersucht. Was ist Ihr Ergebnis?
LAURENZ ENNSER-JEDENASTIK: Man sieht deutlich: Wenn die Farben in der Regierung wechseln, wechselt auch die Besetzung in den Vorständen und Aufsichtsräten. Sobald eine Partei in die Regierung kommt, die vorher nicht in der Regierung war, steigt ihr Anteil an diesen Posten. Wenn sie aus der Regierung ausscheidet, sinkt der Anteil. Mit den Daten, die wir gesammelt haben, kann man keine Einzelfälle beurteilen. Man sieht aber im Gesamtmuster, dass die Nähe zur Partei eine sehr große Bedeutung hat bei der Besetzung. Da stellt sich die Frage: Wie steht das im Verhältnis zu anderen Kriterien? Kann man viel Rücksicht auf Fähigkeiten und Expertise legen, wenn man so stark darauf fixiert ist, dass die Leute von der eigenen Parteifarbe sind?

Politiker argumentieren gerne, dass sie an wichtigen Positionen eben Menschen brauchen, denen sie vertrauen.
Eine Ministerin oder ein Minister muss einen Aufsichtsrat natürlich so besetzen, dass sie oder er den Menschen vertrauen kann. Aber heißt das, dass man nur Leuten vertrauen kann, die aus der eigenen Partei sind? Das wäre ein Armutszeugnis.

Betrifft das alle Parteien gleichermaßen?
Es gibt Parteien, die ein größeres Personalreservoir haben, als andere. Wir haben einen Zeitraum von 25 Jahren beobachtet, in denen nur drei Parteien regiert haben. Die Regierungswechsel ab dem Jahr 2000 haben uns vor Augen geführt, dass die FPÖ ihren Postenschacher-Lehrmeistern nicht viel nachsteht. 2007 haben wir gelernt, dass die SPÖ, wenn sie aus der Opposition zurückkommt, in die alten Muster fällt. 2017/2018 mit dem Wechsel zur Regierung Kurz I hat das gleiche Spiel stattgefunden.

Und die Grünen?
Wie das bei den Grünen ist, oder auch bei den Neos, die in Wien in der Landesregierung vertreten sind, wissen wir noch nicht. Da müsste man in ein bis zwei Jahren Bilanz ziehen. Ich vermute aber, dass Postenschacher dort weniger verbreitet sind, schon alleine, weil diese Gruppierungen nicht die Personaldecke haben, um alle Jobs mit Leuten aus der Partei zu bestellen.

Das Finanzministerium und das Verkehrsministerium sind die Ressorts, wo die meisten Kapitalgesellschaften angesiedelt sind. Die grüne Ministerin Leonore Gewessler hat etwa schon im Aufsichtsrat von Asfinag oder ÖBB umgebaut.
Man muss klar unterscheiden zwischen Vorständen oder Geschäftsführungen und dem Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat muss die Eigentümerinteressen vertreten. Dass es da opportun ist, wenn jemand eine bestimmte Richtung hat, ist klar. Ab einer gewissen Expertise findet man auch keine Leute, die keine politische Meinung haben.

Der Proporz ist im Bund lange abgeschafft. Es gibt gesetzliche Regelungen, die verhindern sollen, dass Führungsjobs nicht mehr beliebig vergeben werden. Warum sind Postenschacher trotzdem so verbreitet?
Weil die Regeln, die wir haben, großteils zahnlos sind. Das Bild hat sich über die letzten 25 Jahre nicht groß geändert. Man sieht bei der ÖBAG-Geschichte genau die Mechanismen, wie das funktioniert: Die Besetzung des Aufsichtsrates passiert relativ freihändig. Da sind hohe Qualifikationsanforderungen oder formalisierte Verfahren wenig praktikabel. Bei Vorständen ist das strenger, aber: Wenn ich einmal den Aufsichtsrat unter meiner Kontrolle habe, kann man an vielen Schrauben drehen, ohne die gültigen Regeln verletzen zu müssen.

Welche Regeln bräuchte es, um das zu verhindern?
Mit neuen Regeln kann man dem nicht endgültig beikommen. Mehr Transparenz und Hürden, wie etwa ein Übertrittsverbot von bestimmten Jobs, machen Sinn, aber das Problem ist eher: Wenn es keine Art von Sanktion seitens der Wählerschaft gibt, die weh tut, wird das nicht aufhören. Es ist zu befürchten, dass die Lehre aus der ÖBAG-Geschichte sein wird, dass man solche Vorgänge nicht mehr schriftlich bespricht. Also nicht: Es darf nichts Unbotmäßiges passieren, sondern: Es dürfen keine Chats mehr darüber auftauchen.

Die Österreicher sind an Postenschacher gewöhnt. "Die sind alle so", heißt es oft. Wenn man sich Ihre Forschung anschaut, dann sind ja auch tatsächlich alle so. 
Wenn man die SMS rund um die ÖBAG-Besetzung liest, muss man sagen: Teile unserer politischen Elite sind verdorben. Die Anstandslosigkeit, der Umgang mit dem Eigentum der Republik sind haarsträubend. Wenn sich in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck erhärtet, dass alle so sind, dann gibt es keinen Grund, das zu berücksichtigen, wenn man seine Stimme abgibt. Andererseits: Ich glaube nicht, dass alle so sind. Die Forschungen der nächsten Jahre werden da hoffentlich andere Daten bringen.