Die Reform steht, ab wann ist der neue Verfassungsschutz handlungsfähig?
Karl Nehammer: Der Aufbau der Struktur wird wenige Monate dauern, das Amt muss ja weiter einsatzfähig sein. Die Effizienzsteigerung kommt kontinuierlich mit dem Einspielen der Teams und der Ausbildung.

Für die neue, mächtige Direktion sollen ÖVP-nahe Personen im Gespräch sein. Also doch keine "Entpolitisierung" der Behörde?
Um die Mitglieder der Direktion von diesem "Anscheinsverdacht" zu befreien, gibt es ein Verbot für das Ausüben politischer Ämter und Einschränkungen bei Nebenbeschäftigungen. Auch ein Auswahlverfahren und die Bestellung durch eine unabhängige Kommission wird es geben. Das Spekulieren und Diskreditieren von Personen gehört in diesem Land aber offenbar leider dazu, wenn Positionen zu besetzen sind.

Wäre BVT-Interimsdirektor Johannes Freiseisen also weiter im Rennen? Der war immerhin Mitarbeiter bei den ÖVP-Innenministern Mikl-Leitner und Sobotka.
Das Verbot betrifft politische Betätigungen – zum Beispiel als Gemeinderat – und damit keine Kabinettsmitarbeiter. Stigmatisierungen halte ich aber grundsätzlich für falsch.



Ist der Ausschluss politisch Tätiger verfassungsrechtlich haltbar?
Ja, der ist im Gesetz zum Bundesamt für Korruptionsprävention schon verwirklicht. Verfassungsrechtlich nicht möglich wäre es, Beamten eine Parteimitgliedschaft zu untersagen.

Ist die ÖVP wirklich bereit, hier Macht abzugeben? Nach jahrelangen parteipolitischen Postenbesetzungen im BVT?
Ich kenne diese Vorwürfe, deshalb auch die Neuaufstellung. Zudem wird die neue Kontrollkommission dem Verfassungsschutz auch parlamentarisch auf die Finger schauen.

Für eben diese Kommission braucht es eine Zweidrittelmehrheit, SPÖ und FPÖ zieren sich noch.
Die Opposition war von Beginn an eingebunden und hat erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik die Chance, die Kontrolle des Verfassungsschutzes mitzubestimmen. Und dieses Angebot machen wir ihr.

Staatsschützer und Nachrichtendienstler werden getrennt, Letztere sollen keine Exekutivbefugnisse haben – und damit keine Dienstwaffe. Manche bekommen nun trotzdem eine. Doch nur eine Trennung am Papier?
Es kann nicht sein, dass jene, die Gefahrenforschung in gefährlichem Umfeld betreiben, sich nicht selbst schützen dürfen. Der Unterschied ist: Nach der Trennung in Staatsschutz und Nachrichtendienst hat zweiterer keine Befehls- und Zwangsgewalt mehr.

Das neue Auswahlverfahren müssen auch alte Mitarbeiter bestehen. Das wird die schlechte Stimmung im Amt kaum heben.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Mitarbeiter, die teils Opfer der Diskussion waren, sind froh, dass es nun eine Entscheidung über die Struktur gibt. Die Stimmung wird sich also bessern.

Werden alle das Auswahlverfahren bestehen?
Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, ich rechne aber damit, dass sich ihm viele stellen.

Können Sie den Bürgern erklären, warum erst jetzt  Vertraulichkeitsprüfungen eingeführt werden für eine Tätigkeit, die höchste Geheimhaltung erfordert?
Ganz offen: Ich war darüber genauso erstaunt. Im internationalen Bereich ist das seit langem Standard und nun höchst an der Zeit, diesen auch im Verfassungsschutz einzuführen.

Hätte das neue Amt den Terroranschlag verhindern können?
Die unabhängige Untersuchungskommission, die die Ermittlungen untersucht hat, hat festgestellt, dass kein Fehlverhalten kausal für den Anschlag war. Kein Geheimdienst der Welt kann zu 100 Prozent Anschläge verhindern. Man kann nur das Risiko bestmöglich minimieren. Und dafür wurde das Amt nun aufgestellt.

Fast alle zwei Wochen stoßen Teilnehmer und Exekutive bei Corona-Demos in Wien aneinander, links und rechts üben Kritik. Ist die Polizei schlicht überfordert?
Ich denke, wenn links und rechts kritisieren, macht man’s richtig. Die Wiener Polizei ist geübt im Umgang mit Demos, der Einsatz ist aber eine große Herausforderung. Vor allem, was die Auflösung betrifft. Zwangsgewalt ist nur möglich, wenn von den Teilnehmern Gefahr ausgeht.

Rechnen Sie hier künftig mit mehr Aggressionspotenzial?
Es gibt immer wieder Redner, die die Menschen aufstacheln. Das hat sich vor zwei Wochen gezeigt. Demonstrieren ist ein Grundrecht, das Ausüben von Gewalt ist keines. Und Gewalt wird die Exekutive begegnen.

Im Dezember haben Sie von 5000 unbegleiteten Minderjährigen gesprochen, die Österreich aufgenommen habe. Laut Anfrage waren es 186. Warum hantiert die ÖVP hier mit falschen Zahlen?
Ich habe mich bei der Pressekonferenz damals versprochen, ich habe "Minderjährige" gemeint und "unbegleitete Minderjährige" gesagt. Meine Mitarbeiter haben das sofort klargestellt, die Zahlen sind richtig. Die Opposition versucht hier schlicht, etwas zu konstruieren.

Wie erklären Sie sich dann, dass ÖVP-Integrationsministerin Raab mehrfach von unbegleiteten Minderjährigen gesprochen hat?
Sie dürfte meinen Versprecher wiederholt haben.

Heute Vormittag wird die Kriminalstatistik für 2020 veröffentlicht. Welche Trends zeigen sich hier?
Die Internetkriminalität ist durch die Decke gegangen. Betrugsdelikte, aber auch der Drogenhandel haben sich ins Internet verlagert. Das nehmen wir sehr ernst. Hauseinbrüche und Diebstähle sind dank Lockdown natürlich zurückgegangen.