Christian Pilnacek als den mächtigsten Beamten im Justizministerium zu bezeichnen, war in den vergangenen Jahren keine Übertreibung. Der streitbare Steirer, der sich zu ÖVP-Zeiten emporgearbeitet hatte, geriet in den letzten Jahren jedoch mehrfach in die Schlagzeilen. Sein teils in der Öffentlichkeit ausgefochtener Kampf mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sorgte auch für Kritik bei Justizexperten. Alma Zadic (Grüne) zog als Justizministerin die Reißleine und "entmachtete" Pilnacek, in dem sie sein übermächtiges Ressort teilte. Eine Hälfte davon konnte sich der Beamte sichern - wenn auch nur kurz. Am Donnerstag wurde Pilnacek vorläufig suspendiert, es besteht der Verdacht der Verletzung des Amtsgeheimnisses.

Pilnacek soll in der Causa Heumarkt, bei der es um den Bau eines umstrittenen Hochhauses in der Wiener Innenstadt geht, interne Informationen verraten haben. Und das aus just jener Behörde, mit der er - gemeinsam mit dem Wiener Oberstaatsanwalt Johann Fuchs - seit Jahren streitet. Doch es war nicht die WKStA, die am Donnerstag bei ihm und Ex-ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter vorstellig wurde, sondern die Staatsanwaltschaft Wien. Sie schnappte sich zumindest eines seiner Handys, Pilnacek selbst wollte bisher keine Stellungnahme abgeben.

Er steht für ein System

Pilnacek, der unter Zadics Vorvorgänger Josef Moser auch schon Generalsekretär des Ministeriums war, stand als Spitzenbeamter an einem sensiblen Brennpunkt unseres Staates, nämlich an der Nahtstelle zwischen Politik und Justiz. Und er ist Symbolfigur für das in Teilen der Justiz wenig geliebte Weisungsrecht des Ministers gegenüber den Staatsanwälten.

Dieses Weisungsrecht wurde zwar durch die Einführung des „Weisungsrates“ im Jahr 2014 entschärft, der in der Praxis viele Weisungen verhinderte. Doch den Kritikern reicht das nicht, sie forderten seit Jahren einen „Bundesstaatsanwalt“, bei dem der Weisungszug enden soll - also eine Entmachtung des Ministers. Für eben dieses Vorhaben gibt es von der ÖVP nun erstmals grünes Licht, Details sind noch unklar.

Der Sack und der Esel

Diese Reibereien spielen immer mit, wenn Pilnacek kritisiert wird: Man schlägt den Sack und meint den Esel. Doch der so gar nicht geschmeidige und auch nicht konfliktscheue, sondern oft sture und aufbrausende Sektionschef hat fraglos das Seine dazu beigetragen, um über die Jahre zum beliebtesten Reibebaum in Justizkreisen zu werden. „Wer mich kennt, kennt auch meine mitunter zutage tretende Emotionalität“, gab er im Herbst 2018 dem BVT-Untersuchungsausschuss zu Protokoll.

Bei oberflächlicher Betrachtung kann man Pilnacek als erprobten ÖVP-Pflichtverteidiger brandmarken. Er verteidige „die Interessen der Regierung und nicht die des Rechtsstaates“, befand schon 2011 Peter Pilz.

Allerdings ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Pilnacek ist eher ein absolut loyaler Diener seines jeweiligen Herrn (oder eben der Dame) an der Spitze des Ministeriums. Um die jeweilige „Hausräson“ zu stützen, ist er bereit, den Blick auf die Fakten bis an die Grenze des Interpretierbaren zu dehnen.

Elf Minister, alle Farben

Die nicht weniger als elf Justizminister seit Nikolaus Michalek, denen Pilnacek in den letzten zwei Jahrzehnten an führender Stelle diente, kamen aus fast allen Parteien - von Dieter Böhmdorfer (FPÖ) über Karin Gastinger (BZÖ) und Maria Berger (SPÖ) bis zu vielen ÖVP-Amtsträgern. Und jetzt eben zur ersten grünen Ministerin Zadic. Allen war er ein ebenso schwieriger wie nützlicher Partner.

Mit Böhmdorfer trug Pilnacek wilde Gefechte aus. Berger verteidigte er gegen Anwürfe der ÖVP-Innenministerin Maria Fekter. Bei Josef Mosers oft impulsiven Vorstößen glättete er diskret die Wogen. Pilnacek konnte immer als Blitzableiter vorgeschickt werden, um Pfeile vom Minister abzulenken, wenn es eng wurde. Andererseits ist er längst eine kaum umschiffbare „graue Eminenz“ im Justizpalast.

Von Bawag bis Buwog

Von Bawag bis Buwog, von Strasser bis Grasser: In allen wichtigen Causen der letzten Jahre zog Pilnacek im Hintergrund die Fäden. Mehrfach entwickelte er ein Eigenleben und musste zurückgepfiffen werden - so etwa, als er im Mai 2012 eine Art Mediation bei Korruptionsstrafsachen vorschlug. Dies sei „die persönliche Auffassung des Sektionschefs und deckt sich nicht mit der Meinung der Justizministerin“, ließ die damalige Ressortchefin Beatrix Karl via offizieller BMJ-Aussendung klarstellen.

Zadic kaufte dem Sektionschef gleich zu Amtsantritt die Schneid ab, indem sie ihm per Weisung verbot, künftig direkte Gespräche mit Beschuldigten zu führen. Pilnacek hatte sich in fragwürdiger Art mit den Casinos-Aufsichtsräten Walter Rothensteiner und Josef Pröll getroffen. Auch sein deftiger Hinweis in der berühmten Eurofighter-Dienstbesprechung vom 1. April 2019 („Setzts euch hin und derschlagts es“ - gemeint einige Anklagepunkte) lassen ihn als sinistren Manipulator erscheinen. Ein ganzes „System Pilnacek“ wittert gar das von der „Liste Jetzt“ gegründete Online-Medium „ZackZack“: Es gehe subtil um implizite Weisungen und Wohlverhalten in heiklen Causen.

Ein Gutteil der Kritik zerbröselt aber bei näherem Hinsehen. So warf man dem Juristen die Schönung von Protokollen vor, obwohl er nur das forderte, was im Staatsanwaltsgesetz steht, nämlich „das Ergebnis“ von Dienstbesprechungen festzuhalten. Zadic bescheinigte Pilnacek in der Vergangenheit „großartige Arbeit“. Dass kaum ein Jurist von seinem Kaliber und seiner Erfahrung in ihrem Ministerium bereitsteht, könnte auch eine Rolle spielen.