Es gab Zeiten, in denen der Präsentation der Jahresbilanz des Asyl- und Fremdenwesens medial entgegen gefiebert wurde. Vor allem nach den  "Flüchtlingsjahren" 2015 und 2016 sorgten die hohen Zahlen in den Kategorien "erledigte" und "unerledigte Asylanträge" für politischen Diskussionsstoff. In den Folgejahren sanken die Zahlen und mit ihnen das Interesse.

Doch ausgerechnet im Pandemie-Jahr 2020 stieg die Antragszahl nach fünf Jahren erstmals wieder. Wie kann das sein, wenn die Grenzen quasi dicht sind? "Dieser Anstieg geht völlig gegen den EU-Trend", erklärt Wolfgang Taucher, der Leiter der Abteilung "Asyl und Rückkehr" im Innenministerium. "Dort sind die Zahlen durchschnittlich um 31 Prozent gesunken." Freilich war die Zahl 2019 mit 12.886 eine vergleichsweise geringe.

Den Anstieg führe er auf die geografische Lage Österreichs und die aktuellen Migrationsrouten über die Balkanländer zurück. Dort steigen die Zahlen laut Taucher noch deutlicher an als in Österreich. In Bulgarien seien die Anträge um 64 Prozent gestiegen, in Rumänien gar um 157 Prozent. Aktuell warten laut Taucher um die 100.000 Menschen in diesen Ländern auf ihre Weiterreise - auch nach Österreich. Sinkende Zahlen sind also weiterhin nicht in Sicht.

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Schlepper passen sich an - und sind oft Österreicher

Dass es die Menschen trotz sehr eingeschränkter Reisefreiheit ins Land schaffen, liege daran, dass die Schlepper ihre Geschäftsmodelle sehr schnell anpassen, erklärt Gerald Tatzgern. Der Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität erzählt, dass sich die Schlepper vom Personen- hin zum Gütertransport orientiert haben. Gleiches gilt übrigens auch für den Drogenhandel, bei dem im vergangenen Jahr ebenfalls kein Rückgang verzeichnet wurde. Migranten seien laut Tatzgern mit Zug und Anhängern transportiert worden, um Grenzkontrollen zu vermeiden. "Teilweise haben wir bei Aufgriffen zudem gesehen, dass die 40 Leute, die in einem Anhänger waren, alle die gleiche Maske getragen haben. Die wurde ihnen quasi zusätzlich verkauft, teilweise sogar um bis zum 50 Euro."

Neben dem Transport hat sich aber auch die Nationalität der aufgegriffenen Schlepper verändert. Schleppten zuvor vor allem Afghanen, Pakistanis und Iraker, stoße man nun vermehrt auf Syrer, aber auch Österreicher und Niederländer. Viele jener, die es nach Österreich schaffen, wollen laut Tatzgern jedoch nur durchreisen und stellen erst in Deutschland oder Frankreich einen Antrag.

Marokko erstmals in den Top 3

In Österreich haben das im vergangenen Jahr 14.192 Personen getan. Bis sie einen erstinstanzlichen Bescheid in Händen halten, vergehen aktuell durchschnittlich knapp weniger als vier Monate. 2020 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), das diese Bescheide ausstellt, 14.049 Mal über Asylansuchen entschieden. 44 Prozent der Antragsteller wurde Schutz gewährt, 37 Prozent wurde er verwehrt.

Der Blick auf das vergangene Jahr zeigt eine bemerkenswerte Veränderung, was die Herkunftsländer von Asylsuchenden betrifft. Wurden die Top 3 in den letzten Jahren von Syrien, Afghanistan und Irak bestritten, lag 2020 Marokko auf Platz drei. Laut Taucher habe man hier eine Steigerung bei den Anträgen um 355 Prozent verzeichnet. Erklären kann sich das der zuständige Beamte nicht. "Vielleicht haben sich gewisse Faktoren vor Ort verändert. An unserer Einschätzung, dass das Land sicher ist, hat sich jedoch nichts geändert." Eine Aussage, die sich mit Blick auf die Entscheidungsstatistik bestätigt. Während 82 Prozent der Asylanträge aus Syrien positiv entschieden wurden, war es bei Marokko lediglich ein Prozent.

BBU soll Ausreisezahlen steigern

Weil Marokkaner kaum Chancen auf Aufenthaltsrecht haben, werden ihre Fälle oft in Schnellverfahren abgehandelt, die binnen 72 Stunden erledigt sind. Diese Verfahren wurden im vergangenen Sommer testweise eingeführt und sollen jetzt Praxis werden, die "Kleine Zeitung" hat berichtet. Dennoch stellt die Gruppe eine Herausforderung dar, denn trotz hoher Ablehnungsquote ist der Staat vielfach auf die freiwillige Ausreise der Betroffenen angewiesen. Denn Marokko nimmt seit Jahren nur widerwillig Bürger zurück, die auswandern wollten, und stellt deshalb nur selten entsprechende Papiere aus. Laut Taucher sei man aktuell in "guten Gesprächen" mit dem nordafrikanischen Land, ein Rückführabkommen müsse jedoch auf EU-Ebene verhandelt werden.

Ganz allgemein haben 2020 knapp 8.700 Flüchtlinge und Migranten das Land verlassen, etwas mehr als die Hälfte ging freiwillig. Der Rest wurde zwangsweise außer Landes gebracht, dank eingeschränktem Flugverkehr sank die Zahl um 30 Prozent. Laut Taucher verspreche man sich von der neuen Asylagentur BBU, die seit Jänner für die Grundversorgung und Rechtsberatung von Asylwerbern zuständig ist, einen weiteren Anstieg der freiwilligen Ausreisen.