Pro: Didi Hubmann

Die Ärzte sind die Bösen. Sie stellen sich über das System, mit unabsehbaren gesellschaftspolitischen Folgen – weil sie jene Corona-Impfung einfordern, die einen besseren Schutz verspricht.
Diese alten, entwertenden Reflexe, mit denen viele den Ärzten begegnen – solange sie sie nicht brauchen –, funktionieren besser als ein analytischer Zugang. Denn es geht nicht um die Ärzte. Es geht um alle Gesundheitsberufe. Ärzte können nur die wissenschaftlichen Fakten breitenwirksam platzieren.

Erstens: Man befürchtet, dass der Impfschutz beim Impfstoff von AstraZeneca aufgrund des empfohlenen Abstandes von 12 Wochen zwischen erster und zweiter Teilimpfung (andere Impfstoffe: drei Wochen) nicht geeignet ist, um Erhalter der Gesundheitsversorgung so zu schützen, dass sie einsatzfähig bleiben und Patienten nicht gefährden. Zweitens hat man die Sorge, dass Impfreaktionen Erhalter der Basis-Gesundheitsversorgung möglicherweise kurzfristig außer Gefecht setzen. Drittens: Der Schutz bei Mutationen wird diskutiert.

Wer je mit einer Pflegekraft in einem Coronaspital geredet hat, die in einem Generationenhaushalt lebt und jeden Tag mit der Angst leben muss, ihre Familie anzustecken, weiß um den psychischen Druck.

So geht es vielen in Spitälern und Ordinationen. Wer in dem Bereich arbeitet, braucht einfach die beste Impfung, auch wenn das Vakzin nur minimal besser sein sollte.

Zusätzlich emotionalisiert wird die Diskussion durch offene Fragen. Warum erhielt etwa ein Mann aus dem Rotlichtmilieu den potenziell besseren Impfstoff, obwohl er gar nicht zur Zielgruppe gehörte? Seine Impfung in einem steirischen Pflegeheim hat er via Whatsapp dokumentiert. Dort wurden übrigens mehr Außenstehende als Mitarbeiter geimpft. Kontrolle? Fehlanzeige. So wie andere war er wohl zufällig in der Nähe.

Warum wurden in einigen Spitälern Verwaltung und Betriebsdirektoren mit dem potenziell besseren Impfstoff immunisiert, obwohl sie keine Patientenkontakte haben? Schon etwas vom Homeoffice gehört?
Warum hat die Regierung bei der Impfung so viel versprochen und so wenig gehalten? Wir haben zu wenig Impfstoff und können Impfpläne nicht an neue Erkenntnisse anpassen. Verimpft wird, was da ist.

Diese Fragen sind transparent zu beantworten. Konsequenzen nicht ausgeschlossen. Das ist man jenen schuldig, die in Spitälern und Ordinationen trotz Corona die Versorgung für uns aufrechterhalten. Sie wissen dass eine Impfung besser ist als gar keine. Aber das gilt genauso für die fälligen Antworten.

Contra: Ernst Sittinger

Vor ein paar Wochen wären die meisten von uns froh gewesen, überhaupt eine Corona-Impfung zu kriegen. Aber kaum kommt die Versorgung halbwegs in Gang, werden wir heikel und wählerisch. Die Ansprüche wachsen rasch: Immer mehr Menschen stecken taktisch ihre Claims ab, um den einen Impfstoff zu bekommen oder den anderen zu vermeiden.

Gewiss lassen sich zahlreiche gute Gründe finden, um Pflegepersonal nicht nur früher, sondern auch „besser“ zu impfen. Eine fromme Idee. Aber was bedeutet das? Erstens müsste tatsächlich feststehen, dass es bessere und schlechtere Impfstoffe gibt. Das kann man aber so pauschal nicht sagen. Zwar sind mRNA-Impfstoffe etwas anderes als Vektorimpfstoffe, aber staatlich zugelassen sind sie alle – zumindest für jüngere Menschen.

Jeder Einzelperson steht es natürlich frei, eine Marke naserümpfend zu verweigern. Auch wenn wir damit abgleiten in die Pseudoexpertise der Laien: Niemand kann sagen, welchen Zeckenimpfstoff er je verabreicht bekommen hat, aber bei Corona kennt sich nun plötzlich jede und jeder aus. Da trauen wir uns sogar problemlos zu, aus dem breiten Angebot zu wählen.

Bald ist dann jeder nicht zahlende Kunde König, er schaut dem geschenkten Gaul gerne ins Maul. Wir nehmen damit in Kauf, dass es in den Ordinationen und Impfstraßen zugehen wird wie an der Käsetheke: Für mich bitte 5 Gramm von diesem und 8 Gramm von jenem. Oder soll ich auf die nächste Impfstoff-Zulassung oder -Lieferung warten? Impfen als Spekulation auf dem Jahrmarkt der Glücksritter.

Was aber gar nicht geht: dass der Staat offiziell seine Impfstoffe in Güteklassen unterteilt und dem Medizinpersonal die VIP-Spritzen zuteilt. Denn wer sind eigentlich die zweitklassigen Bürger, die man mit der B-Probe abspeisen kann? Die weniger wichtigen? Die weniger nützlichen? Arbeitslose, Pensionisten? Eine schauerliche Frage.

Gegen die eigene Herrlichkeit ist ja kaum einer immun. Schon die peinliche Vordrängelei der Halbprominenten hat in den letzten Wochen zur Genüge bewiesen, dass keine Schulbuben-Ausrede zu blöd ist, um eigene Privilegien zu begründen.

Doch man muss hier unnachgiebig sein. Jede Bevorzugung wertet die Nachgereihten ab. Das muss jedem, der sich jetzt mit Ellbogentechnik vordrängt, klar sein: Jeder eigene Vorteil bewirkt den Nachteil der anderen. Vielen scheint dieser Preis akzeptabel zu sein. Willkommen in der entsolidarisierten Gesellschaft.