In türkis-grünen Regierungskreisen verdreht man die Augen, wenn man an die mehrtägigen Verhandlungen, in die  Bundeskanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter telefonisch und per SMS involviert waren, erinnert wird. „Die Tiroler sind immer gleich in der Opferrolle geschlüpft“, klagt ein Insider. „Wahrscheinlich wirkt das Ischgl-Trauma bis heute nach.“

Am Sonntag wurde bis drei Uhr früh verhandelt. „Es ging nie um Schuldzuweisungen.“ In keinem anderen Bundesland ist die besonders aggressive südafrikanische Variante so verbreitet wie in Tirol, angeblich sollen Hoteliers, die im Dezember in Südafrika Golf gespielt hatten, die Mutation eingeschleppt haben. „Die bockige Haltung ist virologisch gefährlich und politisch unklug.“

"Wir wollten mehr von Platter haben"

Gesundheitsminister Rudolf Anschober räumte Montagabend in der ZiB2 ein, dass der Bund in den Verhandlungen mit der Tiroler Landesregierung auf Granit gestoßen sei. "Wir wollten mehr von Platter haben." Das sei angesichts der "aufgeheizten Stimmung" nicht möglich gewesen. "Es hat ein Hochpushen der Stimmung in den letzten Wochen in Tirol gegeben." Zudem wäre es rechtlich nicht so leicht, beispielsweise Quarantäne-Maßnahmen zu verordnen. Daher würden die besten Juristen am Dienstag in seinem Auftrag beraten, was man tun könne.

Der Minister legte auch dar, was man sich von Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) erwartet hätte, nämlich lückenlose Testungen in den besonders betroffenen Gebieten, womit wohl der Bezirk Schwaz gemeint ist. Da Platter hier die Verantwortung nicht wahrgenommen habe, müsse man schauen, wie man das durchsetzen könne. Anschober sieht hier als Möglichkeit, dass man sich bei der Ausreise aus einer Risiko-Region "heraustesten" muss.

Sollten die Zahlen hinaufgehen, werde das Gesundheitsministerium rechtlich prüfen, ob weiterführende Schritte möglich seien.  Die Regierung werde diese dann verhängen, "egal, ob Tirol dazu ja sagt oder nicht", sagte Anschober.

Kein Einsehen zu erwarten

Ein Einsehen der Tiroler Landespolitik ist nicht zu erwarten. Platter stieß sich am Abend sogar am Begriff der Reisewarnung, habe der entsprechende Appell ja eigentlich gar keine Auswirkung. Der Tiroler Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl (ÖVP) sprach in der ORF-Sendung "Tirol heute" gleich von einem "Rülpser aus Wien". Viel entscheidender seien für Tirol ohnehin Reisewarnungen aus den Hauptmärkten, also Deutschland und den Niederlanden.

Drohgebärden des Tiroler Wirtschaftskammerchefs 

Sogar der Kanzler soll wegen der Uneinsichtigkeit seiner schwarzen Tiroler Parteifreunde ziemlich genervt gewesen sein. Die Drohgebärden des Tiroler Wirtschaftskammerchefs Walser im ORF („Dann werden sie uns noch kennenlernen“) werden auch in türkisen Kreisen als „jenseitig“ abqualifiziert. Dass dieser von Platter vorgeschickt wurde, stieß auf tiefes Unverständnis. Das Daten-Schlamassel sorgte außerdem für dicke Luft, bis zuletzt wollten die Tiroler nicht wahrhaben, dass bereits mehr als 300 Fälle mit der südafrikanischen Variante in ihrer Heimat angetroffen wurden.

Die Idee für eine Abschottung des Landes angesichts des Vormarsches der Mutation kam nicht von der Politik, sondern von Dorothee von Laer, die an der Innsbrucker Medizin-Uni das Institut für Virologe leitet und einen Teil der Südafrika-Sequenzierungen vornimmt. Dass der Bund bei einem roten Bundesland schärfer vorgegangen wäre, wird als „völliger Holler“ abgetan. Ganz oder Teile Tirols unter Quarantäne zu stellen, sei rechtlich gar nicht möglich. Im Sommer hatte der Verfassungsgerichtshof die im März vollzogene Abschottung Tirols gekippt. Möglich wäre ein lokaler oder regionaler Lockdown. „Was hilft uns der, wenn die Leute nicht mehr mittun?“