Sie war Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, kandidierte als Bundespräsidentin und saß für die Neos im Nationalrat. Jetzt soll Irmgard Griss den Ruf der Grünen retten.

Im Streit um die Abschiebung von in Österreich aufgewachsenen Kindern entschieden sich die Grünen nach verbalen Muskelspielen schließlich gegen die Eskalation. SPÖ und Neos brachten in einer Sondersitzung des Nationalrats Anträge zu den jüngsten Abschiebungen von Minderjährigen ein, die grünen Abgeordneten unterstützten sie nicht.

Stattdessen setzt Vizekanzler Werner Kogler eine Kommission ein. Die soll sich mit dem Stellenwert von Kinderrechten und Kindeswohl bei Entscheidungen zum Asyl- und Bleiberecht befassen, die aktuelle Praxis über den gesamten Instanzenzug evaluieren und die rechtlichen Rahmenbedingungen europaweit vergleichen. Leiten wird die Kindeswohlkommission Irmgard Griss.

Gemeinsam mit Experten wird sie Empfehlungen erarbeiten, wie Kindeswohl und Kinderrechte stärker berücksichtigt werden können. Ein erster Bericht soll Mitte des Jahres vorliegen und veröffentlicht werden. Die Kommission ist im Justizministerium angesiedelt. Das Ressort wird derzeit von Kogler selbst geleitet, der Justizministerin Alma Zadic in ihrer Babykarenz vertritt.

Griss: „Feige Ausrede“

Griss hatte sich kürzlich in der Kleinen Zeitung gegen die Darstellung von Innenminister Karl Nehammer gestellt, die Abschiebung der Familien sei unausweichlich gewesen: „Es ist daher eine billige und feige Ausrede, wenn behauptet wird, der Rechtsstaat zwinge zu unmenschlichem Handeln“, schrieb sie. "Es geht darum, Lösungen zu finden - denn die Menschen verstehen zu Recht nicht, warum Kinder, die in Österreich aufgewachsen sind, abgeschoben werden“, so Griss bei Präsentation der neuen Kommission.

Fehler der Eltern nicht Kindern zurechnen

Im Ö1 Morgenjournal vom Freitag legte Griss noch einmal nach: Sie teile die Rechtsauffassung von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) nicht, wonach die Familie der 12-jährigen Tina jedenfalls abgeschoben werden musste. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hätte über den Antrag der Kinder auf humanitäres Bleiberecht entscheiden können, so Griss, und dieses gewähren können. Im konkreten Fall hätten die Eltern zwar offenkundig das Asylverfahren durch wiederholte Anträge hinausgezögert. "Hier geht es aber um die Kinder und die Frage ist, ob das Fehlverhalten der Eltern immer den Kindern voll zuzurechnen ist", so Griss.

Vizekanzler Werner Kogler erachtet die Kommission für dringend notwendig: „Vergangene Woche sind gut integrierte Kinder in ein Land abgeschoben worden, das sie nicht kennen. Das hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt. Das Kindeswohl muss stärker in der Praxis verankert werde.“

Die Entscheidung soll wohl auch noch innen wirken: Die Abschiebungen von Kindern hatte nicht nur unter den Abgeordneten, die sich schlussendlich der Koalitionsräson unterordneten, sondern auch in der grünen Basis für Ärger gesorgt. Die Wiener Grünen hatten der ÖVP ein einer „Wiener Erklärung“ vorgeworfen, „der gesamten Regierung ein unmenschliches Antlitz verpasst“ zu haben. Mit der Weigerung, hundert Familien aus dem Flüchtlingslager Moria aufzunehmen und der Abschiebung von in Österreich aufgewachsenen Kindern wurden „klar rote Linien überschritten“, erklärten die Wiener Grünen. Sie fordern ein Abschiebeverbot für Kinder und Jugendliche, die in Österreich aufgewachsen sind und wollen die 2014 abgeschaffte Härtefallkommissionen auf Länder- und Gemeindeebene wieder einführen, die humanitäres Bleiberecht erteilen kann.

Wiener Grüne: "Erster Schritt"

Weil die ÖVP allerdings nicht vorhat, das Asylrecht zu ändern, gründete Kogler die Kindswohlkommission. Der Koalitionspartner hatte dem Vernehmen nach erst kurz vor der Präsentation davon erfahren. Bei den Wiener Grünen heißt es, man nehme die Bemühungen zu Kenntnis. „Die Kindeswohlkommission ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Peter Kristöfel, der interimistische Grünen-Chef in Wien, „den Kampf für Menschenrechte werden wir weiterhin auf allen Ebenen führen.

Die Kindeswohlkommission wurde - ähnlich der Corona- oder der Bioethikkommission - gemäß Paragraph acht des Bundesministeriengesetzes eingerichtet und berät die Justizministerin direkt. Um die Arbeit der Kommission zu unterstützen, wird im Justizministerium eine eigene Geschäftsstelle eingerichtet.